Kleine Dreirädlein mit Anti-Atom-Aufkleber am Heck stehen auf dem Hof des Neuen Schlosses, einige Elektro-Smarts und diverse schnittige Teslas, vor denen Einheimische und Touristen posieren. Dutzende Batterieautofahrer haben an diesem Frühsommertag ihre Wagen mitten in Stuttgart vorgefahren: Endlich einmal zeigt sich die Autostadt mit Daimler, Porsche, Bosch und all den anderen Weltfirmen herstellerübergreifend von seiner modernen Seite, will man meinen. Das tut auch Not, denn Stuttgart ist geplagt von Stau, fehlenden Parkplätzen und schlechter Luft. Bald drohen Fahrverbote, da braucht es neue Lösungen.
Doch einer der Begeisterten, der Fahrer eines elektrisch betriebenen BMW, Modell i3, erklärt, dass dies hier mitnichten eine Schau der Industrie ist: "Wir sind ein Verein, Elektrify BW, und haben uns zusammengetan, weil wir zeigen wollen, was heute schon möglich ist!" Eine Initiative von Privatleuten? Ja, die Autofirmen habe man angesprochen, aber viele wollten sich nicht beteiligen. So zufällig wie symbolisch fährt an diesem Vormittag auch Daimler-Chef Dieter Zetsche am Neuen Schloss vor. Anderer Termin, andere Wagenklasse: in einer schweren Verbrennerlimousine.
Die Zurückhaltung muss ein Ende haben
Tatsächlich ist Stuttgart eben nicht Avantgarde, wenn es um neue Techniken geht, die den Verkehr sicherer, sauberer und bequemer machen sollen, all den Bemühungen von Stuttgarts grünem Oberbürgermeister Fritz Kuhn zum Trotz. Beziehungsweise ist das meiste hinter den Werkstoren verschlossen. Diese Zurückhaltung müsse ein Ende haben, fordern nun maßgebliche Mobilitätsdenker. Die Autoindustrie im Südwesten müsse Selbstbewusstsein zeigen, müsse neue Techniken erlebbar machen, sagte Marcus Berret, Chef der Autosparte beim Beratungsunternehmen Roland Berger bei einer Diskussionsrunde der Stuttgarter Zeitung. "Wir müssen die ganzen PS hier in der Region auf die Straße bekommen!"
Zwar fahren einige Stadtbusse mit Hybridantrieb, es gibt auch das Car-Sharing-Angebot car2go, bei dem man einfach per Handy elektrisch betriebene Smarts ausleihen kann sowie die verkehrsmittelübergreifende App "Moovel" aus dem Hause Daimler. Aber es ist alles nicht der ganz große, laute und koordinierte Aufschlag. So gestehen selbst Daimler-Menschen ein, dass 200 oder 300 zusätzliche car2gos notwendig wären, damit das System wirklich gut nutzbar wird.
Daimler hält die Kritik für überzogen
Die Folge: Selbst in Stuttgart wird, sobald es um die Zukunft des Verkehrs geht, vor allem über Softwareplattformen und Elektroautos aus dem Silicon Valley geredet, etwa über den Taxidienstleister Uber oder Tesla. Es könnte anders sein, findet Wilhelm Bauer, Technologieforscher und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation. Diese Region mit ihren Staus und Umweltproblemen, aber auch ihrer Automobilhistorie müsse endlich zu einem "Innovationsshowcase", einem Schaufenster der Innovationen, werden, das auch stark durch den Staat unterstützt werde, etwa durch Ladesäulen.
Bei Daimler hält man diese Kritik hingegen für deutlich überzogen. Man könne in der Region bereits fast alles bekommen, was man im Silicon Valley auch bekommen kann, erwidert der Unternehmensvertreter auf der Bühne, Daimler-Vertriebsvorstand Ola Källenius. Und im Übrigen entscheide am Ende "nicht die kurzfristige Public Relation, sondern die Substanz".