Verkehr in Megacitys:So wollen Metropolen dem Verkehrschaos entgehen

Millionenstädte wandeln sich ständig. Der Verkehr muss mit diesen Veränderungen Schritt halten: weg von der Straße, hin zu Untergrund- und Hochbahnen. Weg von der Individualmobilität, hin zum öffentlichen Nahverkehr. Doch seine Steuerung ist schwierig - und anfällig.

Klaus C. Koch

Baumeister der Moderne entwerfen Städte, die in schwindelerregende Höhen vorstoßen. Auf gewagten Konstruktionen, Brücken und Wegen sollen künftige Generationen über Straßen, Häuserschluchten und Grünanlagen hinweg eilen, als seien sie schwerelos. Doch unten, sozusagen auf dem harten Boden der Tatsachen, herrscht nach wie vor drangvolle Enge. Bereits heute lebt mehr als die Hälfte der Menschheit in Ballungsgebieten. Rund fünf Milliarden werden es bis zum Jahr 2030 vermutlich sein - samt dem Verkehr, der daraus resultiert.

Das als Austragungsstätte der Olympischen Spiele 2012 gerade stark beanspruchte London war von 1825 bis 1925 die bevölkerungsreichste Stadt der Welt, bis sie von New York überholt wurde. Heute ist die britische Hauptstadt der zweitgrößte Ballungsraum Europas. Fünf Flughäfen fertigen jährlich mehr als 120 Millionen Passagiere ab. Ganz nebenbei hat der Nabel des Commonwealth auch das älteste und mit mehr als 400 Kilometern Länge größte U-Bahn-Netz sowie mit 700 Linien eines der komplexesten Busnetze der Welt. Satelliten erfassen die Position von 8000 Bussen alle 30 Sekunden auf 100 Meter genau und speisen die Daten an 2000 Haltestellen in ein Fahrgast-Informationssystem ein. Dass anlässlich der Spiele Engpässe auftraten, war dennoch unvermeidlich.

In Shanghai gab es noch Anfang der Achtzigerjahre nur einige wenige Hochhäuser. Heute sind es mehr als 5000 - insbesondere im Stadtteil Pudong. Dort standen vor 25 Jahren die Bauernhäuser noch auf sumpfigem Acker. Ehrgeizige Projekte wie die Trabantenstädte Luchao Harbor City, ein ehrgeiziger Entwurf für 300 000 Einwohner aus der Hand des Hamburger Stararchitekten Meinhard von Gerkan, oder eine "Automobile City" in einem fast schon bajuwarisch klingenden Vorort namens Anting werden das Bild der Stadt in den nächsten Jahren weiter verändern. Aus deutscher Produktion stammen die Magnetschwebebahn, zwei Metrolinien, Signaltechnik und Telekommunikation, aber auch Gebäudetechnik und Brandschutz für das von der Anzahl der Etagen her vor kurzem noch höchste Hotel der Welt, das Grand Hyatt im Jin Mao Tower, für das Fortune Plaza und den Citibank Tower.

Bangkok ist ein Vorbild

Siemens, Deutschlands größter Technologiekonzern, vom Schienenverkehr über die Elektro-Mobilität bis hin zu Solaranlagen in zahlreichen Sparten unterwegs, hat derlei Aktivitäten seit Kurzem unter "Infrastrukturen und Städte" zusammengefasst; und zeigt sich damit um einen Ansatz bemüht, der durchaus ganzheitlich genannt werden könnte. Als Beispiel dafür, wie es gelingen kann, städtische Verkehrsprobleme mit einem Gesamtkonzept in den Griff zu kriegen, gilt Bangkok.

Verkehr, Überwachung, Kfz-Versicherung, Datenschutz

Technologien und IT-gestützte Lösungen im Bereich Bahnautomatisierung sorgen neben einer intelligenten Vernetzung der Informationen auch für eine Optimierung des gesamten Betriebsablaufs im Bahnverkehr.

(Foto: Siemens AG)

In der thailändischen Hauptstadt schien mit acht Millionen Einwohnern im Stadtgebiet und weiteren elf Millionen in der Region der Verkehrskollaps noch in den Neunzigerjahren programmiert. 80 Prozent aller Fahrten wurden mit Bus, Auto, Moped oder dem Taxi zurückgelegt. Die Einführung eines leistungsfähigen Öffentlichen Nahverkehrs war der Schlüssel zur Entlastung des Molochs. Ein Skytrain - kein Transrapid - mit einer Linie zum Sukhumvit-Quartier und einer zum Chaopraya-River, mangels Platz auf Stelzen errichtet, war das erste Nahverkehrssystem. 2004 ging die erste U-Bahn in Betrieb, bis 2029 sind zwölf weitere Linien geplant. Ausgebaut werden derzeit auch die Metros in Delhi, Rennes (Frankreich) und Santo Domingo (Dominikanische Republik).

Der Bedarf, der in den kommenden Jahren weltweit an Schienenverkehrsmitteln besteht, wird auf 80 Milliarden Euro geschätzt - davon allein 15 Milliarden für den Nahverkehr. "Die Städte der Welt ersticken im Verkehr", sagt Hans-Jörg Grundmann, Chef der Schienenverkehrssparte bei Siemens. "Unsere Metros und U-Bahnen bringen Lebensqualität." Natürlich leisten auch Nahverkehrssysteme anderer Hersteller ihren Beitrag. Aber bei Siemens, heißt es, stecke "mehr System" dahinter.

Vor einigen Jahren mochte es noch ausreichen, Straßenbahnen zu produzieren, die aussahen wie unbekannte Flugobjekte auf Schienen. Möglichst viel Platz und die Niederflurbauweise standen im Vordergrund. Wobei auch mal Stabilitätskriterien unterschätzt wurden: Beim Combino traten Risse im Wagenkasten auf, der Nachfolger namens Avenio trat wieder mit beweglichen Drehgestellen an.

Inzwischen verringern elektrische Bremsen, gummigefederte Radreifen und Hilfsaggregate, die im Stand gedrosselt werden, den Lärmpegel. In Warschau fahren demnächst U-Bahnen, deren Äußeres aus der Design-Schmiede von BMW stammt, und die konsequent in Leichtbauweise ausgelegt sind. Außerdem bestehen sie zu 95 Prozent aus wiederverwertbarem Material. Praktisch: Sollte eines der auf dieser Strecke eingesetzten Fahrzeuge eines tschechischen Herstellers liegen bleiben, sind die neuen Endwagen mit Kupplungen versehen, die das Abschleppen liegen gebliebener Altfahrzeuge erleichtern.

Münchens neue U-Bahn ist zu 97 Prozent recycelbar

Sogar zu 97 Prozent recycelbar soll die neue U-Bahn für München sein, die noch 2012 ausgeliefert wird. LEDs statt Halogenleuchten senken den Stromverbrauch. Ab 2014 soll dann im Zwei-Minuten-Takt gefahren werden statt bislang zweieinhalb. Wichtig sind deshalb auch Kontrollzentralen, in denen computergestützte Betriebsleitsysteme die Züge und ihre jeweilige Position überwachen, Weichen stellen, frühzeitig Konflikte, Verspätungen und Mängel erkennen.

In den Fahrzeugen selbst wird inzwischen vielfach über Motoren, die beim Bremsen als Generator wirken, Energie gespeichert und ins Netz rückgespeist. Dezentrale Kraftwerke und "Klein-Einspeiser" sollen künftig über selbst regelnde Verteilnetze, sogenannte Smart Grids stabilisiert und mit dem Bahnstrom gekoppelt werden. Elektromobilität über strombetriebene Fahrzeuge, die an Bahnhöfen bereitgestellt werden, und die Vernetzung von Bahn-, Bus- und Carsharing-Systemen über elektronische Vielzweck-Tickets sind weitere Bausteine. Fahrgäste könnten künftig je nach Verkehrslage vom Auto zur U-Bahn und von dort aufs Fahrrad wechseln, ohne sich Gedanken über die Bezahlung zu machen, die durch eine Smartcard vereinheitlicht würde. Auf einem anderen Blatt steht, dass es die Abrechnung erfordert, den Reiseweg zurückzuverfolgen und zu speichern. Komplette Bewegungsbilder zu erstellen, ist seit den Siebzigerjahren, als per Rasterfahndung nach Terroristen der RAF gesucht wurde, freilich unpopulär.

Problem des ganzheitlichen Ansatzes könnte womöglich nicht zuletzt auch sein, dass das Gesamtsystem umso anfälliger wird, je mehr Fäden an einer zentralen Stelle zusammenlaufen, um von dort aus gesteuert zu werden. Schwierigkeiten dieser Art hatten beispielsweise auch schon Lokführer eines Triebwagenherstellers, deren Führerstand mit neuen, elektronischen Systemen überfrachtet wurde. Hängte sich eines der Programme auf, folgten in einer Art Dominoeffekt in rascher Folge auch die anderen. Der Fehler war oft nur durch einen völligen Neustart zu beheben. Unter Bahnherstellern ist deshalb der Slogan, "einfach mal abschalten" inzwischen eher gefürchtet.

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