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Verkehr in Großstädten: Oben Radler, unten Autos: Die Stadt Eindhoven hat ein besonders spektakuläres Zeichen für umweltfreundliche Fortbewegung gesetzt.

Oben Radler, unten Autos: Die Stadt Eindhoven hat ein besonders spektakuläres Zeichen für umweltfreundliche Fortbewegung gesetzt.

(Foto: Helibeeld/IPV Delft)
  • Großstädte werden in den kommenden Jahren mit immer größeren Verkehrsproblemen zu kämpfen haben.
  • Auf Hamburgs Harvestehuder Weg haben Fahrräder nun auf 1,25 Kilometern Vorrang.
  • Ein umfassendes Konzept, wie man der Staus Herr werden und den öffentlichen Nahverkehr verbessern kann, gibt es aber nicht.
  • In Deutschland herrscht immer noch die Mentalität einer Autofahrer-Gesellschaft vor.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Anfang November fuhren Männer mit schwerem Gerät vor am Harvestehuder Weg in Hamburg, gleich am Westufer der Alster. Und dann ging es los. Ohne Verzug machten sich die Bauarbeiter über die Straße her, die bisher den Autos gehörte. Sie rissen den Asphalt auf, hoben Bordsteine aus und verlegten eine neue, schöne, schwarze Straße, die sie mit Fahrrad-Piktogrammen und Richtungspfeilen markierten. Fast überfallartig schnell schritten die Arbeiten voran zwischen Alter Rabenstraße und Anglo German Club.

Nach nur 33 Arbeitstagen war die Straße wieder frei, und seither ist Hamburgs Harvestehuder Weg auf 1,25 Kilometern eine andere Straße. Fahrräder haben dort jetzt Vorrang. 1,5 Millionen Euro hat der Umbau gekostet, er ist der Anfang eines Zukunftsprojektes mit dem Titel "Fahrradstraßen für Hamburg", und es wirkt so, als habe die Hansestadt damit Zeichen gesetzt für ein neues Verständnis von Stadt als Lebens- und Verkehrsraum. Aber stimmt das auch?

Die deutschen Städte wachsen, immerzu. Dieser Befund ist ein Symptom des demografischen Wandels, das man erst mal verstehen muss. Denn seit Jahrzehnten heißt es doch, dass Deutschland an Bevölkerung verliere, weil die Zahl der Alten steige und die Zahl der Geburten sinke.

Aber je schwächer die ländlichen Räume werden, je mehr Schulen oder Arztpraxen dort schließen, desto mehr ziehen die Menschen dorthin, wo die meisten anderen wohnen und wo deshalb keine Schulen und Arztpraxen schließen. Dazu kommt die Zuwanderung von Menschen aus anderen Ländern. So erklärt es sich, dass eine Stadt wie Hamburg nach Prognosen der Bertelsmann-Stiftung bis 2025 von knapp 1,8 auf knapp 1,9 Millionen Einwohner anwachsen dürfte.

Man muss kein Rechenkünstler sein, um zu erfassen, dass dieser Zuwachs die Städte vor Herausforderungen stellt. Zumal die Ansprüche an den urbanen Raum gestiegen sind. Er soll mehr Menschen fassen, gleichzeitig soll er lebenswerter sein, sauberer und barrierefrei. Verkehr ist dabei ein Schlüsselthema. Und Hamburg ist ein gutes Beispiel dafür, wie sehr sich eine Stadt abplagen kann mit der Zukunft ihres Binnenverkehrs. Das Thema ist hoch emotional, praktisch jeder Bürger hat eine Meinung dazu, weil jeder davon betroffen ist. Hamburgs Politik kann hingebungsvoll streiten darüber, wie man die Staus kleinkriegen oder den öffentlichen Nahverkehr mit mehr Tempo versehen könnte.

Viel Gegeneinander in Hamburgs Verkehrsfragen

Die Debatte erscheint bisweilen etwas kleinteilig und aufgeregt. Ein großes Streitthema ist zum Beispiel das 259 Millionen Euro teure Programm des SPD-Senats zur sogenannten Busbeschleunigung. Eine Bürgerinitiative hat sich dagegen gegründet, der sich sogleich die FDP anschloss. Auch Grüne und CDU halten wenig von dem Projekt. Sie plädieren für eine Stadtbahn als Ergänzung zu Bus, U- und S-Bahn, was wiederum die SPD wegen der gewachsenen, dichten Hamburger Stadtarchitektur als ein Ding der Unmöglichkeit sieht.

In einem anderen Konflikt klagte im Herbst ein Bürger aus Altona mit der Naturschutzorganisation BUND erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht gegen die Stadt: Hamburg müsse mehr tun gegen die überhöhten Stickstoffdioxid-Werte in manchen Stadtteilen, lautete das Urteil - Die Stadt will es anfechten, weil sie die Vorgabe für "nicht einhaltbar" hält, wie Bürgermeister Olaf Scholz sagt. Es herrscht viel Gegeneinander in Hamburgs Verkehrsfragen - dabei müsste die Verkehrswende doch eine gemeinsame Anstrengung sein. Die Stadt wächst schließlich für alle gleich.

Hamburgs Bürgermeister Scholz kann fließend und ausführlich über seine Verkehrspläne für die Zukunft sprechen, die insgesamt fünf Millionen Menschen in der Hamburger Metropolregion mobil halten sollen. Er zählt aufwendige Vorhaben zum Ausbau von S- und U-Bahnen auf. Er spricht von mehr Radwegen. Von intermodalen Angeboten fürs Fortkommen im städtischen Raum, Apps zur Fahrplanauskunft, Carsharing, Leihfahrrädern, Taxibestellservice, Umrüstung der Busflotte auf emissionsfreie Technologien. "Meine These ist: Wir müssen den begrenzten Verkehrsraum, den wir haben, klüger als in der Vergangenheit nutzen", sagt Scholz. Aber wie weit greift die These?

Vorbilder: Kopenhagen, Helsinki, Eindhoven

An Hamburgs Straßennetz als Lebensraum des Autos kann oder möchte er jedenfalls nicht wirklich ran: "Die Politik, die gegen Autos gerichtet ist, halte ich für absurd in einer Stadt, in der es 700 000 angemeldete Kraftfahrzeuge gibt." Scholz sieht sich offenbar als Gefangenen einer Auto-Kultur, die seit den Sechzigern deutsche Stadtbilder prägte. Scholz schaut auf Dänemark. "Kopenhagen hat mit dem Aufkommen des Autos das Fahrrad als Alltagsverkehrsmittel nicht vergessen", sagt er, "das haben wir in Deutschland getan. Alle."

Fahrradstraße an der Alster

Nur Fahrräder? Nein. Auf Hamburgs Harvestehuder Weg dürfen auch Anlieger mit ihren Autos oder Lkw fahren.

(Foto: picture alliance / dpa)

Kopenhagen gilt als Musterstadt der Verkehrsentwicklung, weil die Einwohner dort nach Auskunft der Stadt 37 Prozent aller Wege mit dem Rad zurücklegen; die Hamburger Grünen wären froh, wenn sie bis 2025 in ihrer Stadt 25 Prozent erreichen könnten. In Science-Fiction-Filmen sehen Städte oft wie bodenlose Betonwüsten aus, in denen Raumscooter die Wolkenkratzer umschwirren.

In der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts hingegen ist das Fahrrad das Fortbewegungsmittel der Zukunft. Zumindest in den Vorstellungen des dänischen Architekten Jan Gehl, dessen Firma weltweit als Berater in Fragen des Stadtdesigns tätig ist. Er sieht Städte als offenen Raum der kurzen Wege. Ein billiger, effektiver Stadtverkehr ist für ihn der Schlüssel dafür - und dafür wiederum braucht es mehr Raum für den Menschen, sich aus eigener Kraft fortzubewegen, zu Fuß oder eben mit dem Rad.

Schwebender Radweg über dem Auto-Kreisverkehr

Der Hovenring in Eindhoven steht für diese Philosophie: Die Niederländer haben dort den viel befahrenen Auto-Kreisverkehr mit einem schwebenden Radweg überspannt, der an Stahlseilen von einem Pylon gehalten wird. Gehl selbst nennt gerne New York als Beispiel für nachhaltige Stadtentwicklung mit 6000 Kilometern neuen Radwegen und weniger Autostraßen.

Mit Interesse schaut Gehl ins finnische Helsinki, wo die Stadt öffentlichen Nahverkehr und verschiedenste kommunale Leihfahrzeuge unter ein Tarifsystem bringen will. Gehl glaubt: "Wir können mit Leichtigkeit Städte erschaffen, in denen du kein eigenes Auto mehr brauchst für deine individuelle Fortbewegung."

Eine gewisse Konsequenz braucht es dazu aber wohl schon, und mit der tut sich die deutsche Autofahrer-Gesellschaft offensichtlich noch schwer. Die neue Fahrradstraße am Harvestehuder Weg wirkt nach den ersten Wochen ihres Bestehens jedenfalls noch nicht wie der ganz große Wurf. Autos und Stadtrundfahrt-Busse dürfen dort immer noch fahren. Erste Unfälle hat es schon gegeben. Die Fahrradfahrer haben nicht den Eindruck, dass ihnen diese Straße gehört und weichen aus auf den alten Radweg, den es bald nicht mehr geben soll.

In einer früheren Version des Artikels wurde der Eindruck erweckt, die sogenannte Fahrradstraße am Harvestehuder Weg in Hamburg sei nur für Anlieger mit Autos und Stadtrundfahrt-Busse frei. Wir haben das nachträglich korrigiert.

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