Unterwegs:Vespa - Göttin mit 70 Jahren

Auf der Insel, wo die Zitronen blühen und die Olivenbäume uralt werden, tragen Oldtimer eine besondere Patina. Betagte Vespas sind dort nicht auf den Veteranentreffen, sondern im täglichen Trott unterwegs.

Von Jochen Wagner

Auf der Insel, wo die Zitronen blühen und die Olivenbäume uralt werden, tragen auch manche Oldtimer eine besondere Patina. Gepflegt, weil begehrt scheinen selbst Zweiräder unsterblich zu werden. So wie die Vespa des lokalen Mechanikers, die auch heuer wieder vor seiner Autowerkstatt steht. Der Kenner mit den Ölfingern verzichtet auf zwei Räder und fährt stattdessen "Wespe". Von diesem Anblick inspiriert, fällt mir im Kiosk ein paar Meter weiter ein Heft in die Hände, das man einfach kaufen muss. Der Kiosk klebt wie ein Wespennest an einer Kirche. Wie praktisch, dass "edicola" im Italienischen beides bedeuten kann: Kiosk und Kirchlein. Aus den ewigen Magazinen scheint dann auch die angestaubte Sondernummer zu stammen: Ein Speciale Vespa aus der Reihe "moto storiche & d'epoca".

Im Nu zieht mich das Magazin in seinen Bann. Nostalgie, ja Magie beseelt den Sardinien-Reisenden, während er in der Genese des Kult-Rollers blättert. Zeiten unbeschwerter fossiler Fortbewegung wehen heran. Heute gibt es die "Wespe" mit 300 Kubik und 120 Sachen schnell. Aber wen interessiert Leistung, wenn er die Vespa 98 von 1946 wieder trifft? Alle Modelle atmen die zeitlose Form leichter, ja unschuldiger Automobilität - vielleicht fahren deshalb viele Vespisti oft ungeschützt, also mit viel Gottvertrauen helmlos herum. Ob alt oder jung, prominent (Audrey Hepburn, Gregory Peck) oder profan, was für Fahrer wie Rollertyp gilt: eine Vespa ist Mythos. Auch einem Maurer in der Straße unseres Feriendomizils dient noch eine uralte Novantotto. Der 98er durchgesessene Monoposto, ein Ledersitz mit demonstrativen Schraubfedern, bezeugt den Gebrauchswert. Ihr Sammlerwert interessiert den Muratore nicht.

Ihre Patina von Jahrzehnten Abertausender Kilometer - dagegen schaut eine Neue alt aus - adelt sie wie ihn. Zu einem Vespa-Treffen fahren? Nö. Sie ist ihm Alltagsgefährt(in), kein quasi religiöser Fetisch. Ja, eine 125er von 1956 hatte er mal im Auge, und seiner Frau gefiel die rote 90SS Super Sprint mit dem 2er-Sitz schon sehr. Liebäugeln tut er immer noch mit der Rallye 200, von 1968 bis 1979 gebaut: gute zehn cavalli! Aber PS hin oder her, Vespa ist Vespa. Solange die Alte fährt, kommt nix Neues her. Wer liebt, tauscht nicht.

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