Ungewöhnliches Motorenkonzept:Fünfzylinder bei Audi: Anarchie im Motorraum

Audi Sport Quattro

Der Audi Sport Quattro ist bei seinem Debüt 1983 das teuerste Serienauto aus deutscher Produktion. Und er hat einen Fünfzylindermotor.

(Foto: oh)

Wie sonst kaum etwas verleiht er einem Audi Emotionen. Dabei ist der Fünfzylindermotor, der im Quattro und im Motorsport zur Ikone wurde, ursprünglich als Notlösung entstanden.

Von Thomas Harloff

Die Melodie hat ihren ganz eigenen Rhythmus. 1-2-4-5-3: Es ist die Zündfolge, die den rauen und unrunden, damit aber auch sehr speziellen Motorklang entwickelt. Der Fünfzylinder ist eine der wenigen Unangepasstheiten in der gewaltigen Gleichmacherei, die den modernen Automobilbau kennzeichnet. Außer Audi traut sich derzeit kein Autohersteller, den Punk unter den Motoren in seine Autos einzubauen. Audi ist eine von wenigen Marken, bei denen dieses Triebwerkskonzept eine Historie entwickelt hat - eine mit Unterbrechungen 40 Jahre währende und sehr bewegte.

Als 1976 Audis erster Fünfzylinder debütiert, ist der Werdegang des Motors noch nicht abzusehen. Sicher, die 136 PS starke Einspritzerversion - parallel gibt es eine Vergaservariante mit 115 PS - spielt die Rolle des Top-Aggregats in der damals neuen zweiten Generation des Audi 100. Aber sie steckt eben auch in der biederen Limousine einer Marke, die zwar dezent nach oben strebt, aber noch lange nicht den BMW- und Mercedes-ähnlichen Status genießt wie heutzutage. Die Mittelklasse-Konkurrenten aus München und Stuttgart fahren unter anderem mit prestigeträchtigen Sechszylindern - und dem neuen Audi mit dem eigenwilligen Motor in punkto Leistung und Schnelligkeit davon.

Die Antriebsquelle des legendären Urquattros

Ebenfalls auf den Sechszylinder umzusteigen, kommt für die Ingolstädter Ingenieure in den Folgejahren nicht infrage. Im Motorraum der Audi-Modelle gibt es zu wenig Platz, und ein schwererer Reihensechser würde sich ungünstig auf die Gewichtsverteilung auswirken. Die vor der angetriebenen Vorderachse eingebauten Motoren würden die Autos mit den vier Ringen noch "kopflastiger" machen als ohnehin schon. Um trotzdem mit einem BMW 528i oder Mercedes 280 E W123 mithalten zu können, laden Audis Techniker ihren Fünfzylinder lieber per Turbolader auf. Die Konstruktion leistet 170 PS und kommt zum Jahresanfang 1980 erstmals im damaligen Topmodell Audi 200 5T zum Einsatz.

Wenige Wochen später gibt es einen Popularitäts- und Imageschub für den Motor. Auf dem Genfer Autosalon präsentiert Audi mit dem Urquattro sein erstes Sportcoupé nach dem Zweiten Weltkrieg. Der bringt einerseits den Allradantrieb in die Großserie und zeigt damit, dass vier angetriebene Räder nicht nur Offroader besser voranbringen, sondern auch Sportwagen. Andererseits zeigt er, dass ein solcher Dynamiker mit einem Fünfzylinder angemessen motorisiert sein kann. Wie in der ursprünglichen Version von 1976 hat der Motor nur 2,1 Liter Hubraum, aber die Turboaufladung entlockt ihm 200 PS. Um das einzuordnen: Ein Porsche 911 leistet zu diesem Zeitpunkt 204 PS.

720 PS aus nicht einmal 2,2 Litern Hubraum

Welches Potenzial dem Triebwerk innewohnt, zeigt es im Motorsport. Auf den internationalen Rallyepisten fährt der Quattro den Gegnern zeitweise davon, auch weil der Motor mächtig an Kraft zulegt. Bis 1986 erstarkt der Fünfzylinder in den diversen Rennversionen auf offiziell 450 PS, in Wahrheit dürften es mehr als 500 PS gewesen sein. 1987 bricht Walter Röhrl mit dem Audi Sport Quattro S1 alle Rekorde des legendären Bergrennens am Pikes Peak in Colorado; der Motor leistet nun fast 600 PS. Als Audi in den Folgejahren die amerikanische Tourenwagenszene aufmischt, klettert die Leistung zeitweise sogar auf 720 PS.

Auch in den Serienautos wird der Motor immer kräftiger. Das Maximum waren 315 PS aus 2,2 Litern Hubraum im zwischen 1994 und 1996 gebauten und gemeinsam mit Porsche entwickelten Sportkombi RS2 Avant. Doch bei all dem Streben nach Höchstleistung wird gerne vergessen, dass Audis Fünfzylinder auch ganz bescheiden auftreten können. Es gibt sie nämlich auch als Diesel. Der erste von ihnen startete 1977 mit schmächtigen 70 PS, mit Turboaufladung und Ladeluftkühlung geht es später auf bis zu 100 PS hinauf.

1997 ist Schluss mit Fünfzylinder - vorerst

Zur kräftigen Benziner-Alternative wird der Diesel aber erst, als er 1989 mit Direkteinspritzung und vollelektronischer Motorsteuerung aufgewertet wird. Einem Audi 100 der dritten Generation ist es auf der IAA in Frankfurt vorbehalten, die Technik einem breiten Publikum näherzubringen und das Kürzel TDI zur Marke zu machen. Seine 2,5 Liter Hubraum verteilen sich, natürlich, auf fünf Brennräume.

Bis der VW-Konzern - und damit auch die Tochterfirma Audi - 2015 von der Abgasaffäre eingeholt wird, die unter dem Namen "Dieselgate" weltberühmt wird, tritt die TDI-Technologie einen Siegeszug an. Der Fünfzylinder wird jedoch nach und nach verdrängt. Der Druck kommt von zwei Seiten: Einerseits von immer stärkeren und laufruhigeren Vierzylindern, andererseits von kompakten V6-Motoren. Das Bauraum- und Gewichtsproblem aus den Siebzigern ist in Zeiten, in denen sogar V8-Triebwerke in den Bug eines Mittelklasse-Audis passen, gelöst. 1997 rollen die vorerst letzten Audis mit Fünfzylindermotor vom Band: ein 2,5-Liter-TDI und ein S6 mit 2,2-Liter-Turbobenziner.

Mehr als drei Jahrzehnte Fünfzylinder-Diesel bei Mercedes

Fünfzylinder tauchten zuvor und danach immer mal wieder auch bei anderen Herstellern auf. Volvo baut eine Zeit lang Benziner und Diesel mit der ungeraden Anzahl an Brennräumen, bei denen sich auch die einstige Schwestermarke Ford bedient. Im Fiat-Konzern werden zwischenzeitlich Fünfzylinder eingesetzt, etwa im extravaganten Fiat Coupé, in dem ein Zweiliter-Turbo 220 PS leistet. VW bietet Fünfzylinder in den Neunzigern und 2000ern als Benziner im Golf, Bora und Passat an. Beim Transporter und im Touareg kommen noch Dieselmotoren hinzu.

Den Fünfzylinder als Automotor hat jedoch Mercedes salonfähig gemacht: 1974 debütiert im Strich-Acht ein Dreiliter-Diesel mit fünf Brennkammern. Konstrukteur dieses Motors ist der spätere Audi- und Volkswagen-Chef Ferdinand Piëch, der damals in Stuttgart ein Ingenieursbüro betreibt. Der Motor leistet 80 PS und ist Wegbereiter für viele Fünfzylinder-Diesel, die bei Mercedes noch folgen. Der stärkste von ihnen leistet 231 PS und darf sogar das AMG-Signet tragen, der letzte verlässt 2007 in einem C 270 CDI das Werk.

2009 bringt der Fünfzylinder die Emotionen zurück

In den Nullerjahren dämmert den Verantwortlichen in Ingolstadt, dass sie mit dem Fünfzylinder ohne große Not ein Alleinstellungsmerkmal aufgegeben haben. Den technokratisch und perfektionistisch anmutenden Audi-Modellen - vor allem den sportlichen - fehlt das Emotionale und Freigeistige, mithin das Anarchische. Also kehrt ein solches Triebwerk 2009 in ausgewählte Modelle zurück. Zuerst in den damaligen TT RS, in dem der 2,5-Liter-Turbo 340 PS leistet. Auch im RS3 Sportback und im RS Q3 setzt Audi den mehrmaligen "Engine of the Year" ein.

Im aktuellen TT RS ist er inzwischen auf 400 PS erstarkt. Selbst mit einem etwas verklärten Blick zurück muss man festhalten: Nie war der Fünfzylinder in einem straßenzugelassenen Auto besser und kräftiger. Er beschleunigt das Sportcoupé in 3,7 Sekunden von Null auf Hundert und auf maximal 280 km/h. Er erspart seinem Fahrer das früher typische Turboloch und entfaltet sein maximales Drehmoment kontinuierlich über das gesamte Drehzahlband. Und er klingt, als wäre er nie weg gewesen. 1-2-4-5-3: Diese Melodie bleibt einfach unverwechselbar.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: