Sicherheit im Straßenverkehr:Zu viele Opfer

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Einmal auf den Kopf gestellt: Im Überschlagsimulator können Autofahrer und deren Begleiter erleben, wie sich ein Überschlag des Fahrzeugs anfühlt. (Foto: Robert Haas)

Bis 2020 wollte die Bundesregierung die Zahl der Verkehrstoten deutlich drücken. Doch nach und nach zeigt sich: Das Ziel wird wohl nicht erreicht.

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Seit etwas mehr als dreieinhalb Wochen macht die Polizei in Niedersachsen nun mit einer neuen Methode Jagd auf diejenigen Autofahrer, die das Gaspedal zu weit durchdrücken. Überwacht wird dabei ein etwas mehr als zwei Kilometer langer Abschnitt der Bundesstraße B 6 bei Laatzen, den pro Tag 15 500 Autos passieren. Schwere Unfälle waren dort in der Vergangenheit immer wieder an der Tagesordnung.

Nun misst dort das "Streckenradar" die Geschwindigkeiten. Das Ganze funktioniert so: Beim Einfahren und Verlassen des kontrollierten Abschnitts erfassen Sensoren und Kameras die Autos, ein Computer ermittelt das Durchschnittstempo. Wer zu schnell ist, erhält ein Bußgeld. Datenschutzbedenken und die aufwendige Zulassung der neuen Technik hatten die Inbetriebnahme der schon im Jahr 2015 installierten Anlage bei Hannover verzögert.

Doch nun läuft der Betrieb, wenn auch zunächst nur in einer ersten Erprobungsphase bis Juni 2020. Bußgelder werden nach Angaben des Landesinnenministeriums vom 14. Januar an fällig. In Belgien, der Schweiz oder Italien nutzen Behörden diese Technik, die auch "Section Control" genannt wird, seit Jahren - und zwar mit Erfolg, wie Christian Kellner vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) betont. In Österreich sei die Zahl der Unfälle mit Getöteten oder Schwerverletzten auf den so überwachten Strecken halbiert worden. Denn anders als bei "Blitzern" misst die neue Technik das Tempo nicht nur an einem Punkt, sondern über einen längeren Abschnitt. Das übliche Abbremsen und anschließende Beschleunigen vieler Autofahrer, das man von stationären wie mobilen Blitzern kenne, entfalle damit, so Kellner.

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Seit Jahren schon fordern Verkehrsunfallforscher und Organisationen wie der DVR, die Technik auch in Deutschland einzuführen. Insbesondere auf gefährlichen Strecken mit vielen Unfällen, in Tunneln oder an Baustellen könne man die Autofahrer so dazu bewegen, ihr Tempo anzupassen, hofft der DVR-Geschäftsführer. So könnten die Zahl der Unfälle, vor allem aber die Zahl der auf den Straßen Getöteten und Verletzten gesenkt werden.

Denn da gibt es nach wie vor zu tun. Das Statistische Bundesamt rechnet nach einer Erhebung von Anfang Dezember für das gerade zu Ende gegangene Jahr mit einem Anstieg der bei Unfällen im Straßenverkehr Getöteten um etwa 40 Opfer (rund ein Prozent) auf 3220. Der ADAC erwartet sogar einen Zuwachs um mehr als drei Prozent auf 3285 Tote. Der Wert war in den vergangenen Jahren stetig gesunken und hatte 2017 den tiefsten Stand erreicht. Bei den Verletzten erwartet das Bundesamt übrigens ebenfalls eine Zunahme - um etwa ein Prozent oder 3000 auf 393 000 Menschen. Die tatsächlichen Zahlen werden erst im Laufe des Frühjahrs vorliegen.

Ältere Menschen auf Fahrrädern haben hohes Unfallrisiko

Klar ist für viele Fachleute schon jetzt: Das Anfang der Dekade von der damaligen Bundesregierung formulierte Ziel, die Zahl der Verkehrstoten bis 2020 um 40 Prozent zu senken, wird wohl nicht mehr zu erreichen sein. "Die Verkehrssicherheitsarbeit benötigt dringend neue Impulse", fordert der ADAC. Handlungsbedarf gebe es etwa bei älteren Menschen, deren Zahl insgesamt wächst - und die vermehrt auf Pedelecs und E-Bikes steigen. Und sich so nach Ansicht des Automobilklubs einem höheren Unfallrisiko aussetzen. Siegfried Brockmann, Unfallforscher der Versicherungswirtschaft, führt die gestiegene Zahl der Unfallopfer auf das gute Wetter zurück. Den lang anhaltenden Sommer hätten mehr Menschen als sonst genutzt, um mit dem Rad oder dem Motorrad zu fahren. Der ADAC sieht das ähnlich: Der "außergewöhnlich trockene und heiße Sommer" habe zu einem erhöhten Verkehrsaufkommen geführt, nicht nur von Motor- und Fahrradpendlern, sondern auch von Ausflüglern, so eine Sprecherin.

Um die Unfallzahlen zu senken, fordern Fachleute wie Brockmann, die Innenstädte stärker in den Blick zu nehmen. Dort seien inzwischen mehr Menschen zu Fuß unterwegs, sagt der Forscher. "Und der Radverkehr steigt deutlich schneller als die Kommunen in der Lage sind, eine einigermaßen sichere Infrastruktur herzustellen." Diese brauche nicht nur Geld, sondern koste wegen der Planung auch Zeit. In vielen Städten kämen politische Streitereien dazu, denn "eine gute Radinfrastruktur heißt oft, den Autos Platz wegzunehmen". Aber nicht nur für Radfahrer müssten Straßen sicherer gemacht werden, fordern Fachleute wie Kurt Bodewig, Präsident der Verkehrswacht. Um die "Vision Zero" zu erreichen, also die Zielmarke von null Toten und Schwerverletzten im Straßenverkehr, müssten beispielsweise "fehlerverzeihende Straßen" gebaut werden. Kommt ein Fahrer aus Unachtsamkeit von einer Landstraße ab, wird dies nicht mit einem (schweren) Unfall bestraft, wenn das Bankett zuvor ausreichend breit angelegt und verdichtet wurde. In der Straße ist so eine Art "Sicherheitsreserve" eingebaut.

Hilfreich wäre auch verpflichtende Fahrzeugelektronik, findet Stephanie Krone vom Radfahrerverband ADFC, etwa Abbiege- und Notbremsassistenten: "Es kann nicht sein, dass in Hightech-Deutschland jede Woche Menschen sterben, weil sie von Auto- und Lkw-Fahrern nicht gesehen werden." Ohnehin hoffen Fachleute und Politiker darauf, dass mit autonom und vernetzt fahrenden Autos, die untereinander kommunizieren, künftig die Zahl der Unfälle deutlich sinken wird. Doch bis es soweit ist, dürfte noch viel Zeit ins Land ziehen. Die Hoffnungen jedenfalls "werden in den nächsten Jahren noch nicht erfüllt werden können, da der Anteil dieser Fahrzeuge noch zu gering ist", urteilt der ADAC.

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Wichtig sei daher weiterhin die Prävention, beispielsweise indem man die Verkehrserziehung für Kinder und Jugendliche ausbaut und die Fahranfängerausbildung verbessert. Zudem müssten Radfahrer für die Gefahren berauschender Mittel weiter sensibilisiert werden, so der ADAC. Im vergangenen Jahr plädierten Fachleute auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar zudem für eine "spürbare Anhebung" der Bußgelder bei "sicherheitsrelevanten Vergehen", also etwa bei Tempo-, Abstands- oder Überholverstößen. Und sie fordern eine "verstärkte Androhung von Fahrverboten". Polizeigewerkschafter sprechen sich zudem für eine bessere Personalausstattung der Dienststellen aus, um die Einhaltung der vielen Ge- und Verbote auf den Straßen besser kontrollieren zu können.

Doch das Bundesverkehrsministerium hat deutlich gemacht, dass man den Forderungen nach höheren Bußgeldern wohl nur zum Teil folgen will. Deutschland verfolge - anders als viele andere Länder - eine andere Philosophie, hieß es zuletzt aus dem Haus von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU): Statt mit hohen Geldbeträgen abzuschrecken, versuche man hierzulande, beispielsweise über das Punktesystem und zeitlich befristete Fahrverbote, Verkehrssünder zur Einsicht zu bewegen.

Der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) fordert, ein generelles Tempolimit auf Autobahnen (120 Kilometer pro Stunde) einzuführen, das Höchsttempo auf Landstraßen auf 80 Stundenkilometer zu senken und in den Städten die Regelgeschwindigkeit von 50 auf 30 km/h herabzusetzen. Viele Verletzte litten ihr Leben lang unter den Unfallfolgen, so der VCD. Tempolimits seien der zentrale Hebel, "sie kosten nichts und retten Leben". Minister Scheuer indes lehnt ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ab. Ähnlich sieht es der Automobilklub "Mobil in Deutschland": Autobahnen seien "die mit Abstand sichersten Straßen", Handlungsbedarf bestehe "im nachgeordneten Netz".

© SZ vom 05.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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