Umbruch zum 100. Geburtstag:So radikal verändert sich BMW

BMW-Chef Norbert Reithofer stellt die Weichen für die Zukunft des Autoherstellers.

BMW-Chef Norbert Reithofer stellt die Weichen für die Zukunft des Automobilherstellers.

(Foto: Bloomberg)

In drei Jahren feiert das Unternehmen sein 100-jähriges Jubiläum. Bis dahin wollen sich die Münchner komplett neu erfinden. BMW-Chef Norbert Reithofer steckt nun mitten in den Renovierungsarbeiten.

Von Georg Kacher

BMW-Land verändert sich - radikal im Bekenntnis zum Elektroauto, pragmatisch durch die Partnerschaft mit Toyota, behutsam in der Formensprache, mutig in den Keimzellen von Mini und Rolls-Royce, konsequent bei der Umstellung auf den Frontantrieb. Während andere in der Krise streichen und kürzen, hat Norbert Reithofer sein Unternehmen so konsequent neu aufgestellt wie kein zweiter Lenker einer Premiummarke. Zum Beispiel mit dem Project i, das mit Karbonkarosserie, Heckmotor und Elektro- oder Hybridantrieb gleich an drei Tabus rüttelt. Was passiert, wenn der i3 schon bei der Markteinführung im Herbst floppt, Herr Reithofer? "Nichts. Das ist kein zweites Rover-Abenteuer, sondern eine Erfahrung, die unser Unternehmen verändert hat. Mag sein, dass wir uns zwei Jahre länger hätten Zeit lassen können. Das Projekt an sich darf man aber nicht in Frage stellen, nur weil sich das Kundenverhalten vielleicht zu langsam anpasst. Wir müssen bereit sein, und das setzt voraus, gewisse Risiken einzugehen."

Egal, ob die Effizienz-Offensive schnell oder langsam anläuft - den Vorsprung durch Technik kann den Münchnern keiner mehr nehmen. Der Umgang mit dem neuen Werkstoff Kohlefaser, die cleveren Fertigungsprozesse, die frühe Erfahrung mit den alternativen Antrieben und das Fahrdynamik-Know-how werden sich in anderen Segmenten gleich mehrfach bezahlt machen. Der i3 startet als Limousine, das bereits gezeigte Coupé soll noch in diesem Jahr grünes Licht für die Serienentwicklung erhalten. Anfang 2014 kommt der i8, ein als Plug-in-Hybrid konzipierter Sportwagen für begüterte Trendsetter. Wie geht es weiter? Sobald sich Produktion und Vertrieb eingespielt haben, könnte ein viertüriger i5 das Programm abrunden. Der als Stadtwagen und Smart-Alternative angedachte, rundum eingekürzte i1 gilt dagegen ebenso als Streichoption wie der kleinste projektierte BMW-Fronttriebler mit dem Decknamen Joy, denn dieser Markt gehört eigentlich dem Mini.

Kompaktklasse ausbauen

Die zweite bedeutende Weichenstellung heißt intern UKL. Die untere Klasse war bislang die Domäne von Mini, doch im nächsten Jahr bringt auch BMW seinen ersten Fronttriebler. Damit sich das rechnet, poolen beide Marken ihre Entwicklung, den Einkauf und die Fertigung. Von der neuen UKL-Architektur sollen langfristig bis zu zehn verschiedene Minis und zunächst fünf verschiedene BMW-Modelle abgeleitet werden. Den Anfang macht 2014 der Compact Active Tourer (ein Einser im Stil des Golf Plus), gefolgt vom Family Sports Tourer (ein Einser nach Art des Touran). Auf der gleichen Matrix basieren die Crossover X1 (zweite Generation) und X2 (der Coupé-Ableger). Die Zweier-Reihe, die im nächsten Frühjahr als Ersatz für das Einser Coupé und Cabrio auf den Markt kommt, bleibt mindestens bis 2020 dem Mix aus Heck- und Allradantrieb treu. Auch für die meisten UKL-Modelle ist xDrive beziehungsweise ALL4 eine wichtige Option. Mini bringt schon im Juli 2014 sein neues Basismodell auch als Viertürer. Der nächste Clubman bekommt 2015 ebenfalls vier Türen, bleibt aber wenigstens der markanten zweiflügeligen hinteren Ladeöffnung treu. Angedacht sind darüber hinaus ein MiniVan im Maxiformat als Gegenstück zum Family Sports Tourer und eine knackige viertürige Limousine mit der vielversprechenden Projektbezeichnung Coolbox. BMW nennt sein zunächst für China reserviertes Stufenheck-Pendant schlicht NES, New Entry Sedan.

Das Phänomen Mini

Audi genießt den Synergieeffekt der VW-Gruppe, Mercedes will vom Deal mit Renault/Nissan profitieren, BMW hat Mini als Partner, der Stückzahlen machen und Kosten senken soll. Ohne Mini wäre die BMW-Frontantriebsoffensive ein Verlustgeschäft, ohne Mini würden sich die neuen Dreizylinder kaum rechnen, ohne Mini hätte die CO2-Bilanz noch viel früher die Öko-Schützenhilfe durch das Project i erforderlich gemacht. Mini ist ein Phänomen: jugendlich, dynamisch, zeitgeistig, freundlich, klassenlos. Und hochprofitabel. Doch die grellen Deko-Verfehlungen in letzter Zeit, das teilweise grenzwertige Design und das Überangebot an Karosserievarianten verheißen nichts Gutes, zumal inzwischen auch an der Fahrdynamik-Vormachtstellung der Zahn der Zeit knabbert. Wenn im März die dritte Mini-Generation antritt, wird die Markenliebe auf eine ernste Probe gestellt, denn hübsch ist anders, obwohl das neue Interieur deutlich funktioneller und gefälliger wirkt. Coupé und Roadster, deren Nachfolger eigentlich 2016 an der Reihe wären, stehen aufgrund wenig berauschender Verkaufszahlen vorläufig auf dem Prüfstand.

Einheitshubraum für die Motoren

Die BMW-Strategen sind Meister der Vereinheitlichung, das zeigt auch die neue Motorengeneration. Egal ob Drei-, Vier- und Sechszylinder, Benziner oder Diesel: Für alle gilt der Einheitshubraum von 500 cm3. Leistungsmäßig greifen die Bayern nach den Sternen. Der stärkste Dreizylinder-Benziner (B38) mobilisiert im i8 224 PS, der stärkste Vierzylinder-Benziner (B48) bringt es im neuen M2 auf 380 PS, der stärkste Sechszylinder-Diesel (B57) mobilisiert als Dreifach-Turbo 394 PS. Die nächste Mini-Generation wird mit Ausnahme der Modelle Cooper S, SD und JCW ausschließlich mit Dreizylindern ausgeliefert, die BMW-UKL-Palette hat mehrheitlich ebenfalls nur drei Zylinder unter der Haube, und in zehn Jahren kann wohl nicht einmal mehr die EfficientDynamics-Variante der Fünfer-Reihe bis vier zählen. Was wenn BMW eine kleinere, leichtere und noch sparsamere Maschine benötigt als den genügsamsten Dreizylinder? Dann wird wohl Toyota in die Bresche springen und sich revanchieren für die vielen BMW-Diesel, die schon bald in die (europäischen) Werke der Japaner geliefert werden.

Apropos Toyota. Die Kooperation mit BMW ist zwar noch jung an Jahren, aber schon sieht man rund ums FIZ diverse GT86 mit belgischer Zulassung, erste Auris Verso mit BMW-Diesel und F46-Aufklebern und gelegentlich sogar immer den selben Lexus LFA. Die Schwerpunkte der Zusammenarbeit betreffen die Themen Leichtbau, alternative Antriebe und Sportwagen. Der Partner aus Fernost hat Nachholbedarf in Sachen Kohlefasertechnologie und Fahrdynamik, die Bayern könnten im Gegenzug von der geballten Kompetenz auf dem Gebiet der Brennstoffzelle und des Hybridantriebs profitieren. Über das gemeinsame Sportwagenprojekt wird derzeit nur hinter vorgehaltener Hand diskutiert. Für BMW besteht hier an zwei Fronten Handlungsbedarf. Problemfall Nummer eins ist der Z4, von dem per April 2013 nur 3865 Einheiten produziert wurden. Auch der Sechser läuft nicht nach Wunsch - zu groß, zu schwer, zu sehr Gran Turismo, zu wenig SL- und CL-Gegner. Wenn Audi 2015 den R8 erneuert und Mercedes 2016 den SLS-Nachfolger vorstellt, wird sich selbst der modellgepflegte Sechser noch schwerer tun. Da könnte es sich anbieten, mit den neuen japanischen Freunden einen modularen Materialmix-Baukasten zu konzipieren, der beide Baustellen beseitigt: am unteren Ende den Z2/Z3/Z4/Z6-Komplex mit MR2/Celica/GT86 auf Toyota-Seite und am oberen Ende das Sechser/Supra-Segment.

Die innere Skepsis gegenüber der grünen Offensive

Dieser Ansatz mag einleuchtend klingen, aber er ist auf BMW-Seite nach innen mindestens so schwer vermittelbar wie nach außen, wo sich nicht nur die markentreuen Kunden an der Sushi-Connection stören dürften. Der Korpsgeist, der früher die Marke in schlechten Zeiten zusammengeschweißt hat wie ein straff geführtes Regiment, leidet spätestens seit Project i unter Auflösungserscheinungen. Geschätzt steht nur jeder dritte leitende Mitarbeiter hinter der grünen Offensive, die Budgets bindet (die Rede ist von 2,6 Milliarden Euro), Prioritäten verschiebt (weg von den mächtigen Fürsten der Stabsabteilungen) und neue Schwerpunkte setzt (Born Electric statt Freude am Fahren). Die ähnlich kritische Grundeinstellung zur Partnerschaft mit Toyota dürfte sich erst mit Klärung der Systemführerschaft bei der Sportwagenentwicklung entspannen. Geschmollt wird auch bei der M GmbH in Garching, die zwar DTM-Rennen gewinnen darf, nicht aber den M8 bauen, der als effizienter Supersportwagen die Messlatte für die Konkurrenz ein gutes Stück höher gehängt hätte. Kurz vor der 100-Jahre-Feier von BMW kann sich der extrem sparsame i8-Flügeltürer nicht von dem extrem leistungsstarken M8 aus dem Windschatten heraus überholen lassen.

In den Volumensegmenten läuft das Geschäft nach wie vor ordentlich, aber es bleibt tendenziell weniger hängen, denn der rabattintensivere Großkundenabsatz ist weiter auf dem Vormarsch. Obwohl BMW bei Einser und Dreier schon kurz nach Markteinführung mit aggressiven Leasingraten versucht hat, gegenzusteuern, zählt der Vertrieb beim Einser die Tage bis zum überfälligen Facelift im nächsten Jahr, und auch der Dreier ist leider nicht so schön, wie er hätte sein können. Noch mehr als das beiläufige Design stört das wachsende Defizit in Bezug auf die Wertigkeit. Manches sieht der Kunde auf den ersten Blick (vor allem die teilweise nicht akzeptablen Oberflächen), manches sieht erst der Wettbewerb bei der Detailanalyse (die teilweise brutale Entfeinerung schon im Rohbau - an der man sich dann anderswo prompt ein Beispiel nimmt). Hier ist Gefahr im Verzug, denn wenn die Wertigkeit nicht mehr stimmt, dann fällt der Premiumanspruch in sich zusammen wie ein löchriger Ballon. Das neue, auch innen wirklich stimmige M6 Gran Coupé könnte ein Anzeichen dafür sein, dass BMW die Situation erkannt hat und zeitnah in den kleineren Klassen nachziehen wird, aber versprechen können wir das nicht, denn bei einem 25 000-Euro-Auto kämpfen die Controller um jeden Cent. Als kurzfristig umsetzbare Goodwill-Maßnahme wünschen wir uns die Neuordnung der umstrittenen Ausstattungs-Lines. Urban und Modern sind verzichtbar, Sport und Luxury brauchen mehr Inhalt und weniger Bling-Bling.

Es fehlt an Ikonen nach dem Stil von Rolls-Royce

Auf den ersten Blick erscheint Rolls-Royce als ein wenig sozialverträglicher Anachronismus, doch bei näherer Betrachtung offenbart gerade diese Marke ein Potenzial, das nur darauf wartet, gehoben zu werden. Wie das gemeint ist? Statt den V12 in Frage zu stellen, muss man ihn ganz einfach noch effizienter machen als den besten V8. Statt über die XXL-Abmessungen und das royale Image des Phantom zu diskutieren, sollte man die teure Project-i-Technik möglichst schnell auch dem renditestärksten Objekt zugänglich machen. Statt den geplanten SUV immer kontroverser zu diskutieren, müsste man mit dem Start der dann passenden Architektur in etwa fünf Jahren den Luxus-Crossover so intelligent neu erfinden, dass sich diese Debatte von selbst erledigt. Kein Wettbewerber traut sich einen großen und imposanten Luxus-Roadster - Rolls-Royce könnte mit BMW-Know-how fast aus dem Stand solch eine Ikone aus dem Ärmel schütteln. Sogar ein Auto unterhalb des Ghost, eine Limousine im Geist des Silver Shadow, würde ab etwa 2020 durchaus ins Portfolio passen. All diese Überlegungen setzen freilich voraus, dass RR sich treu bleibt. Das heißt kleinste Stückzahlen, höchste Preise, unerreichte Handwerklichkeit, atemberaubende Präsenz und natürlich wegweisende technische Inhalte. Warum soll das nicht funktionieren? Auf so manche megateure Armbanduhr warten reiche Käufer auch mehrere Jahre lang, obwohl sie nicht viel mehr anzeigt als die Zeit.

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