Süddeutsche Zeitung

Überschallflugzeuge:Mach-Werk

Überschallflieger sind wieder im Gespräch, die Nachfrage und die Neugier sind ungebrochen. Doch Experten warnen.

Andreas Spaeth

Der Franzose Jean Botti, der Engländer Richard Lugg und der Deutsche Werner Granzeier kennen sich nicht. Aber alle drei waren im Juni in Paris auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung. Und sie alle waren dort auf ganz unterschiedliche Weise mit dem selben Thema beschäftigt: Wie kann die Menschheit in Zukunft schneller fliegen als heute - und das umweltverträglich?

Paris-Le Bourget ist ein guter Ort für solche Überlegungen, denn: Auf dem Flughafen nördlich der französischen Hauptstadt stehen gleich zwei Exemplare der Concorde, des bisher einzigen Überschall-Verkehrsflugzeugs der Geschichte - der Prototyp von 1969 und eine 2003 ausgemusterte Maschine der Air France.

Die Concorde ist Vergangenheit, gescheitert an ihrer geringen Effizienz, der extremen Lautstärke sowie wegen ihres gigantischen Spritverbrauchs. Während eines dreieinhalbstündigen Transatlantikfluges mit maximal 100 Passagieren verfeuerten die vier Olympus-Motoren mehr Kerosin als ein moderner Airbus A380 mit 500 Fluggästen in acht Stunden auf gleicher Strecke. Von Schadstoff-Emissionen wie CO2 oder Stickoxiden (NOx) ganz zu schweigen.

Das ist heute anders. "Das Thema Zeit sparen durch Überschall ist nicht totzukriegen", sagt Werner Granzeier, Professor an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) und Experte für Zukunftsflugzeuge, "Voraussetzung aber sind umweltfreundliche Konzepte."

Da sieht auch Jean Botti so. Der Franzose ist Technologie-Vorstand im europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern EADS und hatte in Paris seinen großen Auftritt. Botti präsentierte die Konzeptstudie ZEHST (Zero Emission High Speed Transport), von den Medien gleich Öko-Concorde getauft. Botti aber warnt: "Wenn der Name irgendwie an die Concorde erinnert, kann ich das Vorhaben gleich beerdigen".

Denn das hypothetische Ziel ist es, mit einem Hochgeschwindigkeitsflugzeug mit bis zu vierfacher Schallgeschwindigkeit (Mach 4) und in bis zu 32 Kilometer Höhe in weniger als zweieinhalb Stunden von London nach Tokio oder von Frankfurt nach Los Angeles zu fliegen - und das ohne Emissionen.

Etwa im Jahr 2050 könnte es soweit sein, meinen die EADS-Ingenieure, 50 bis 100 betuchte Passagiere sollen in dem Flugzeug reisen können. Daran, dass das wirklich ohne jede Emission und ohne Überschallknall gehen könnte, glaubt selbst bei EADS niemand wirklich. Aber der Werbeffekt am Messestand war groß - und darauf, so unkt die Branche, kam es an.

"Das Projekt ist ein reiner PR-Gag, sehr vage", kritisiert Werner Granzeier. Vor allem das komplexe Triebwerkskonzept erregt seinen Argwohn. Denn EADS setzt darauf, vorhandene Technologien einzusetzen. Das Flugzeug soll, so der Plan, von einer ganz normalen Piste abheben; dabei kommen Biosprit-Turbojet-Triebwerke zum Einsatz, wie sie heute bereits üblich sind.

In etwa 5000 Meter Höhe zünden dann zunächst zwei kleine Raketenmotoren, dann ein größerer; diese Aggregate kommen seit langem in der europäischen Trägerrakete Ariane zum Einsatz und werden angetrieben von flüssigem Wasser- und Sauerstoff.

Diese drei Motoren sollen den steilen Aufstieg bis auf eine Fughöhe von 23.000 Meter bei Mach 2,5 möglich machen - doppelt so hoch wie heutige Flugzeuge und schneller als die Concorde. Hier beginnt dann der weitere Aufstieg auf die eigentliche Reiseflughöhe von 32.000 Metern.

Dafür kommen zwei unter den Tragflächen montierte, mit Wasserstoff betriebene Staustrahl-Triebwerke, sogenannte Ramjets, zum Einsatz. Diese arbeiten erst oberhalb von Mach 2 nur durch das Anströmen der Luft in die Brennkammern ohne rotierende Turbinenteile.

Um zur Landung anzusetzen, wird dann der Sinkflug eingeleitet, das Flugzeug bremst ab. In 10.000 Metern Höhe schließlich werden die Düsentriebwerke wieder gezündet, es folgt die normale Landung.

"Das Geheimnis liegt darin, diese Antriebe so zu kombinieren, dass es bei den verschiedenen Geschwindigkeiten optimal funktioniert - das ist nicht einfach", gibt Granzeier zu bedenken. Auch stört ihn, dass bisher kaum die Rede davon ist, wie die Passagiere diese Reise erleben werden. "Wenn das Publikum diese Form des Reisens nicht akzeptiert, kann man das alles vergessen", so Granzeier, der mit Studien zu fensterlosen Nurflüglern Erfahrungen gesammelt hat.

Die EADS betont dagegen, dass es an Bord eine "normale und komfortable Flugerfahrung" geben werde, für die keine spezielle Ausrüstung oder ein Training erforderlich sei.

Nur während der kurzen, steilen Aufstiegsphase mit Raketenantrieb seien "milde Beschleunigungskräfte" zu erwarten - das 1,2-fache der Erdanziehung, weniger als in einer Achterbahn. "Selbst dann sind etwa für ältere Leute Schalensitze in Liegeposition nötig", weiß Granzeier. Botti verspricht "Sitze, die sich den Leuten anpassen". In zehn Jahren soll der erste unbemannte Prototyp fliegen.

Das dauert Richard Lugg viel zu lange. Er plant, bereits im Juni 2012 seinen 20-sitzigen Hyperschalljet Sonic Star flugfertig zu zeigen: "Wir wollen die Luftfahrt für immer revolutionieren, das Unmögliche möglich machen". In vier Stunden von New York nach Sydney, in weniger als fünf Stunden einmal rund um die Welt - in der Vision des Unternehmens Hypermach schrumpfen Weltreisen auf die Dauer von Wochenendausflügen zusammen.

Entscheidende Neuerung des Sonic Star ist sein Hybridantrieb. Ein starker Elektromagnet soll dabei eine große Menge Elektrizität erzeugen - "neun Millionen Watt, das ist die größte Energiedichte aller Antriebe jemals", erklärt Lugg.

Mit dem Strom werden 30 Prozent der Schubkraft erzeugt, aber auch die Atmosphäre rund um das Flugzeug elektrisch aufgeladen, um so den Überschallknall abzumildern oder sogar zu eliminieren.

"Wir können mit Mach 3,6 in 20.000 Meter Höhe auch ohne Restriktionen über Land fliegen", behauptet Lugg, der unter anderem am langjährigen Hochgeschwindigkeits-Forschungsprogramm der Nasa beteiligt war. Genauere Erklärungen lehnt der von der britischen Regierung geförderte Firmenchef jedoch ab. Geschäftsgeheimnis, heißt es, man suche noch Investoren. In zwei bis drei Jahren werde es aber ein unbemanntes Testflugzeug geben.

Auf bis zu 400 Maschinen schätzt Lugg den gesamten Markt dafür, die Hälfte will Hypermach zukünftig abdecken. Werner Granzeier aber ist misstrauisch, ob dies nicht eines von den "vielen hanebüchenen Projekten" ist, die schnell wieder verworfen und vergessen werden.

Auch die Möglichkeit, eine Art Hülle oder Schutzschirm um das Flugzeug zu erzeugen, um den Überschallknall abzumildern und den Rumpf beim Wiedereintritt in tiefere Luftschichten vor Hitze zu schützen, wird von der Wissenschaft bereits diskutiert, weiß Granzeier.

"Die Nachfrage nach Lösungen im Überschallbereich ist ungebrochen - etwa nach neuen Materialien, die leichter sind als CFK, aber hitzebeständig auch über 3000 Grad Celsius". Um aber marktfähige Lösungen zu entwickeln, müssten sich die Forscher weltweit zusammentun. "Und selbst dann wird es noch 30 bis 50 Jahre dauern", davon ist der Wissenschaftler überzeugt.

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Quelle:
SZ vom 11.07.2011/gf
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