U-Bahn in Paris:Todsicher durch den Untergrund

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In der U-Bahn von Paris wird es künftig keine Fahrer mehr geben. Bahnsteigbarrieren und Türschleusen sollen dafür sorgen, dass auf einer der dichtbefahrensten Strecken der Welt niemand mehr unter die Räder gerät. Doch kann das funktionieren? Und ist das nur eine Sparmaßnahme?

Klaus C. Koch

Das Gewirr aus Katakomben, Tunnelröhren und Abwässerkanälen, das sich durch den Untergrund von Paris zieht, ist legendär. Jetzt eilt auf einer der dichtbefahrensten Metrostrecken der Welt ein automatisches System durch die Seine-Metropole, das aufgrund seiner historischen Linienführung, teils deutlichem Bahnsteiggefälle und engen Kurven buchstäblich als Achterbahn gilt.

Demnächst hinter Glas: Neue Türschleusen sollen in der Metro in Zukunft sicheres Ein- und Aussteigen garantieren. (Foto: rtr)

Die älteste Linie der französischen Hauptstadt, die Nummer Eins, sammelt zwischen den Tuilerien, dem Louvre und dem Gare de Lyon täglich eine Dreiviertelmillion Menschen ein - und spuckt sie im Rekordtempo wieder aus. Seit kurzem sorgen nun neue Bahnsteigbarrieren und Türschleusen dafür, dass in dem Gedränge niemand unter die Räder gerät.

Ein Netz von Kameras und Scannern überwacht auch noch den letzten Spalt zwischen Wagentür und Bahnsteigkante, um bösem Zufall vorzubeugen: einer Einkaufstasche, die sich am Schließmechanismus verklemmt, einem Gehstock oder dem Reifen eines Kinderwagens, der sich in einer Ritze verkeilt.

Der technische Aufwand hat seinen Grund. Demnächst, erklärt Siemens Ingenieur Melih Arpaci, soll hier, wie seit einiger Zeit auch auf der Linie 14 und zahlreichen anderen Strecken der Welt, kein Fahrer und kein Zugbegleiter mehr dabei sein, der persönlich und direkt vor Ort die Lage im Auge behält.

Stattdessen laufen die Fäden in einem Kontrollzentrum nahe der Bastille zusammen. Dort hören alle auf das Kommando von Gerald Churchill. Der graumelierte Mittfünfziger, Chef der Metro-Betriebsleitzentrale, ist davon überzeugt, dass das Personal von hier aus per Kamera den Verkehr besser überwacht als ein im Zug sitzender Fahrer, der zu Stoßzeiten auf ein Monitorbild vom Zug-Ende starrt.

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Das Problem ist, dass zahlreiche U-Bahnen und Metros der Welt, vom New Yorker Subway über Londons Tube bis hin zur U-Bahn von Tokio - letztere mit drei Milliarden Fahrgästen pro Jahr - inzwischen an den Grenzen ihrer Kapazität angelangt sind.

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Nachdem fast überall die Taktzeiten schon auf zwei bis drei Minuten verkürzt wurden, gibt es kaum noch Möglichkeiten, den weiter zunehmenden Ansturm aufzunehmen. Neue Röhren zu bohren, ohne historische Bausubstanz zu gefährden, kritische Zonen, Lockermaterial oder gar Flussläufe zu queren, kostet Milliarden.

Die Lösung, sagt Arpaci, sind noch schnellere Systeme, die in noch kürzerem Abstand auf bereits vorhandenen Strecken verkehren. Die Schwierigkeit besteht darin, den Betrieb tatsächlich sicher zu machen. Denn Unfälle in Bahnhöfen und auf den Gleisen gehören mit zu den grausamsten Vorkommnissen, die sich Unbeteiligte, Zugpersonal und Rettungskräfte vorstellen können.

Zumal auch an deutschen Bahnsteigen manchem mulmig wird, wenn knapp eine Handtuchbreite entfernt Züge mit hohem Tempo fahren, die durch einen einzigen Fehltritt in einem unbedachten Moment das Leben kosten können. In Deutschland wurde 2008 die erste vollautomatische U-Bahn in Nürnberg eröffnet. Leider reichten dort der Schutz nicht aus. Nur zwei Monate nach der Einweihung geriet eine 54-jährige Frau auf die Gleise und wurde von einem einfahrenden Zug erfasst, der nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte.

Wirklich sicher sind nur Bahnsteigbarrieren mit Türschleusen, die erst dann den Einstieg freigeben, wenn die Türöffnung des Zuges mit der Öffnung an der Bahnsteigkante übereinstimmt. In Nürnberg war darauf aus baulichen Gründen verzichtet worden. Stattdessen überwacht eine Art Radar den Gleisraum. Am Bremsweg, der immer noch etliche Meter beträgt, konnte auch der Nothalt nichts ändern. Der Unfall, so hieß es, wäre auch mit Fahrer nicht zu verhindern gewesen.

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Die Pariser Metro entschied sich für die etwas teurere Lösung mit Barriere und Türschleusen. "Mit dem Effekt", erklärt Metro-Projektleiter Paul Edouard Basse, "dass die mehr als 100 Jahre alten Bahnsteige im Unterbau verstärkt werden mussten, um die jeweils 480 Kilogramm schweren Schließmechanismen eines Schweizer Herstellers aufnehmen zu können".

150 Millionen Euro kostete es, an den 25 Stationen der 16 Kilometer langen Metrostrecke 954 Schleusen einzubauen und Niveau-Unterschiede auszugleichen.

Der laufende Betrieb durfte dabei nicht beeinträchtigt werden, Installationen und Umbaumaßnahmen nur während der nächtlichen Betriebspausen erfolgen. Weitgehend unbemerkt ging der Wechsel beim Rollmaterial vonstatten. Momentan wird noch im Mischbetrieb gefahren. Seit Anfang November sind acht Züge ohne Fahrer unterwegs, jeden Monat werden zwei alte gegen die neuen ausgetauscht. 49 sollen es am Schluss sein.

Ausgestattet mit einem Zugsicherungssystem, das sich am potentiellen Bremsweg orientiert und seine Steuerbefehle elektronisch überträgt, soll der Zugabstand von 105 auf 85 Sekunden verkürzt werden. Der Behauptung der Kritiker, dass es möglicherweise nur darum ging, Zugpersonal einzusparen, stehen die Kosten entgegen.

Trotzdem verhandelten die Gewerkschaften hart mit der Metro, bevor sie sich auf einen Handel einließen. 40 der 65 Fahrer schieben künftig als Supervisor in den Kontrollzentren oder als Teamchefs in den Bahnhöfen Dienst. Der Rest durfte auf eine der noch mit Fahrer betriebenen Pariser Linien ausweichen.

© SZ vom 05.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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