Tunnelbau:Hindernis am Bosporus

Ein antiker Schiffsfriedhof blockiert die Unterwasserverbindung zwischen Europa und Asien. Mit Videos.

Klaus C. Koch

Nur 1387 Meter ist der Tunnel lang, der unter dem Bosporus, einer der meistbefahrenen Wasserstraßen der Welt, den europäischen mit dem asiatischen Kontinent verbinden soll. Doch auf der europäischen Seite mündet das Unterwasserbauwerk bislang in eine Sackgasse. Grund sind archäologische Ausgrabungen auf einer Baustelle, die den Ausmaßen von Ground Zero in New Yorks Hochhausviertel Manhattan entspricht.

Bosporus Tunnel

Unter Wasser: Knapp 1,4 Kilometer lang ist der Tunnel zwischen Europa und Asien, in dem irgendwann Züge rollen sollen.

(Foto: Foto: oh)

Es ist der alte Hafen von Byzanz, der das Milliardenprojekt blockiert. Bislang kamen 33 Schiffswracks zutage, oft samt Fracht. Krüge, Öllampen und Körbe wurden gefunden, Münzen und Teller geborgen. Seit 2004 wird gesiebt, gesichtet und nummeriert. Eine Arbeit, die an den Kräften zehrt: Schwer wiegen die Klumpen an den Stiefeln der Arbeiter; schwarz ist der Lehmboden, der jede Fuhre träge macht; schwarz ist fast die gesamte Baustelle, wenn es regnet. Jede Schubkarre wird - bevor sie abtransportiert wird - von einer archäologischen Fachkraft beäugt. Erst dann geht es über Bretter und provisorische Stege hinweg zu den Zelten, in denen die Schätze gestapelt und die mehr als tausend Jahre alten Schiffshölzer beregnet werden, um sie nicht zerbröseln zu lassen oder dem Holzwurm preiszugeben. Auf der Fläche von mehreren Fußballfeldern kommen ständig neue Funde ans Licht. Für Aufsehen sorgten zudem die Reste einer neolithischen Siedlung, die auf 6500 vor Christus datiert wurde.

In einem der provisorisch eingerichteten Behelfsbauten türmen sich die Computer der Archäologen, zwei von ihnen hantieren an einem Laserscanner. "Wir versuchen auch, die damalige Schiffsbautechnik nachzuvollziehen", erläutert Evren Turkmenoglu, stellvertretender Grabungsleiter. Auf den Millimeter genau wird jeder Nagel in den Planken registriert. Die Gerippe sind erstaunlich gut erhalten. Viele Schiffe scheinen von einem Moment auf den andern verlassen, auf den Grund des Hafens gesunken oder wie von einer Riesenhand ans Ufer geworfen worden zu sein. Andere hatten tonnenschwere Statuen, Baumaterial, Quader für Festungsanlagen und Prachtbauten an Bord. "Manches deutet darauf hin, dass hier ein Sturm oder Tsunami gewütet hat", sagt Turkmenoglu. Über Ausmaß und Zeitpunkt etwaiger Katastrophen wie Erdbeben oder sintflutartigen Unwettern gibt es nur Spekulationen.

Der Hafen wurde aufgelassen. Ein Flüsschen, das hier bei Yenikapi (türkisch für: "Das Neue Tor") ins Mittelmeer floss, ließ ihn verlanden. Zeitweise war hier nur noch Sumpf, Anwohner pflanzten in dem eher ärmlichen, den Palästen und Moscheen abgewandten Viertel der Stadt Gemüse, nutzten die Reste der Kaimauern und Stege als Abgrenzung für Gärten und Beete.

Hindernis am Bosporus

Mit den Auswertungen dieses größten aller bisherigen Funde von Hafenanlagen im Mittelmeerraum, direkt an der Nahtstelle zwischen dem Marmarabecken und dem Schwarzen Meer, werden noch Generationen beschäftigt sein. Wann die Ausgrabungen beendet sein werden, steht in den Sternen. Zwei, drei Jahre oder ein halbes Jahrhundert? Turkmenoglu zuckt mit den Schultern. Istanbul wird 2010 europäische Kulturhauptstadt sein. Da sollte historisches Material nicht im Schredder verschwinden.

Unterdessen wird den Bauherren die Zeit knapp. Im Hintergrund geht es auch um Milliarden, die die europäische Investmentbank vorgestreckt hat. Die Schnellbahntrasse verläuft entlang der Küste auf insgesamt 76,3 Kilometer Länge zwischen Halkali auf der europäischen und Gebze auf der asiatischen Seite. Im Zwei-Minuten-Takt sollen die S-Bahnzüge 40 Haltestellen, davon drei unterirdisch, bedienen und sich auch die Reisezeiten für Intercity-Züge verkürzen. Güterzüge dürfen nur nachts in die Röhre fahren.

Weil er in 60 Metern Tiefe nur wenige Kilometer von der erdbebengefährdeten nordanatolischen Verwerfung entfernt ist, die 1999 östlich von Istanbul 25.000 Menschen das Leben kostete, muss der Abschnitt unter dem Wasser auch heftigen seismischen Erschütterungen standhalten können. Geoforscher rechnen - ähnlich wie in San Francisco - in den nächsten 30 Jahren mit mindestens einem Beben der Stärke sechs bis sieben. Das stellt besondere Anforderungen an die Ingenieure, die das Bauwerk vor Wassereinbrüchen schützen müssen.

Bauchschmerzen bereitet auch, dass der bislang einzige Zugangsschacht zum Unterwassertunnel eine Angriffsfläche für Schiffe bieten könnte. Denn mit 50.000 Schiffsbewegungen im Jahr ist der Bosporus eine der meistfrequentierten Meerengen der Welt. Scharen von Auto- und Passagierfähren pflügen in teils wildem Bug-an-Bug-Rennen durch das Marmarameer, um die Altstadt des einstigen Konstantinopel mit Harem, Üsküdar und Haydarpasa zu verbinden. Großen Frachtern ist die Passage durch die S-Form am Goldenen Horn erschwert. Als 1994 ein griechischer Tanker mit einem Frachtschiff kollidierte, sprudelten 20.000 Tonnen Rohöl in den Bosporus, der fünf Tage lang brannte.

Hindernis am Bosporus

Mahnung ist auch ein Zwischenfall mit einem ukrainischen Frachter. Der steuerte, nachdem seine Ruderanlage streikte, vor einigen Jahren mit Volldampf auf den Schiffsanleger bei Üsküdar zu. Mit Mühe gelang es, den Koloss knapp vor dem Kai noch zu stoppen. "Wenn Sie wissen, dass so ein 200-Meter-Frachter zwei Kilometer Bremsweg hat", sagt Günter Haass, der im Auftrag der deutschen Gesellschaft für Technologische Zusammenarbeit (GTZ) das Projekt koordiniert, "können sie ahnen, wie knapp das war."

Eine der Gründe für die kritischen Situationen ist nicht nur das Gefälle von 30 Zentimeter zwischen dem Schwarzen und dem Mittelmeer. Dadurch entsteht eine Strömung von bis zu sieben Knoten, während eine darunterliegende Wasserschicht sich mit Schrittgeschwindigkeit in entgegengesetzter Richtung bewegt. Dazwischen bilden sich Turbulenzen, die auch beim Absenken der in einem Trockendock vorgefertigten Tunnelelemente für tückische Momente sorgten. Elf dieser 90 bis 140 Meter langen Betonröhren mussten zentimetergenau in eine zuvor ausgebaggerte Rinne versenkt werden, erläutert Tunnelchef Tolga Pulack. GPS und präzises Manövrieren waren nötig, damit die Schiffskräne ihre Position hielten, bis die Teile verbunden waren.

Während Baustellenbesucher in dem geräumigen Tunnelprofil bereits trockenen Fußes von einem Ufer zum andern gelangen könnten (wenn da nicht die Sackgasse auf dem Westufer wäre), sorgt ein schweres Stahlschott zumindest für ein Gefühl von mehr Sicherheit. Unterdessen pflegt im alten Bahnhof von Sirkeci ein kleines Museum Erinnerungen an Agatha Christie und den Orient-Express, der hier seine Endstation hatte. Auch dort, wo ein Lüftungsschacht den künftig unterirdischen Bahnhof mit Frischluft versorgen soll, stoppten Mauerreste aus vergangenen Zeiten den Fortschritt. Ohnehin halten Kenner es für unmöglich, hier tiefer als einen Meter zu graben, ohne auf archäologisch bedeutsame Funde zu stoßen.

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