Tuning-Legende Carlo Abarth:Im Zeichen des Skorpions

Carlo Abarth, einer der großen, eigenwilligen Figuren der Automobilgeschichte, wäre jetzt 100 Jahre alt. Eine Erinnerung.

Eckhard Schimpf

Seine Oberhemden mit den Initialen "K.A." pflegte er dreimal am Tag zu wechseln, und seine handgemachten Londoner Schuhe schützte er bei Regen mit Gamaschen. Nobler als Carlo Abarth mit seinem Mittelscheitel war keiner im Fahrerlager. Längst ist er eine Legende wie seine Autos auch. In der lärmenden, öligen Motorsportwelt der 1960er-Jahre wirkte der stattliche Snob wie in Pfau im Hühnerhof. Dennoch hatte er keine Scheu, sich in feinstem Flanell - die Hose mit messerscharfer Bügelfalte, das Jackett mit Batist-Einstecktuch - plötzlich platt auf den Rasen zu werfen. Inspizierung nannte er das. Die hielt er für nötig, wenn seine Fahrer mal wieder über die Abarths maulten. Dann lag der Chef persönlich wenige Zentimeter neben der Piste, um die Straßenlage zu analysieren. Genügte das nicht, schwang er sich selbst ins Cockpit. "Dabei wehte sein zwei Meter langer, weißer Schal hinter ihm her," erinnert sich sein einstiger Werksfahrer Kurt Ahrens.

Tuning-Legende Carlo Abarth: Früchte eines Lebens: Carlo Abarth, dreimal verheiratet, aß bis zu 20 Äpfel am Tag, weil er unbedingt 100 Jahre alt werden wollte. Das blieb ihm versagt. Er starb mit 71.

Früchte eines Lebens: Carlo Abarth, dreimal verheiratet, aß bis zu 20 Äpfel am Tag, weil er unbedingt 100 Jahre alt werden wollte. Das blieb ihm versagt. Er starb mit 71.

Abarth, der am 15. November 1908 in Wien geboren wurde und am 23. Oktober 1979 ebendort starb, zählte zu den schillerndsten Figuren der Autohistorie. Er war kein genialer Konstrukteur wie Ferdinand Porsche oder Ettore Bugatti. Aber er adelte jene Spezies, die simple Großserienwagen in exklusive Renngeräte verwandelte. Dennoch wollte der "Zauberer von Turin" nie mit Tunern verwechselt werden. "Ich bin keiner von diesen Frisören, die es überall gibt," betonte er, "ich bin Industrieller und Ingenieur."

Der Ruhm der Firma Abarth & Co, die 1971 an den Fiat-Konzern verkauft wurde, ist bis heute nicht verblasst. Noch immer ist der Name ein Synonym für temperamentvolle Kleinwagen, und das Firmenlogo mit dem Skorpion - Abarths Sternzeichen - glänzt nach wie vor als Symbol der Sportlichkeit. Fiat hat diese Botschaft stets genutzt - für schneller gemachte Serienautos, aber ebenso bei Walter Röhrls Rallyesiegen 1980 auf Fiat und heute bei Modellen wie dem Punto, die ebenfalls wieder Abarth heißen und die natürlich profitieren sollen vom schimmernden Glanz tausender Rennsiege.

Karl Abarth, der in Wien als Mechaniker gearbeitet hatte, fuhr zunächst Motorradrennen. Erst Solo, nach einem schweren Sturz mit kompliziertem Beinbruch 1930 in Wels bei Linz dann auf Motorrädern mit Beiwagen. Der Krieg beendete 1939 seine erfolgreiche Rennkarriere. Das Kriegsende 1945 erlebte er in Meran; denn dank seines von dort stammenden Vaters besaß er auch die italienische Staatsbürgerschaft. Was sollte er nun tun? Karl Abarth, der sich nun Carlo nannte, schrieb an Louise Piëch und erkundigte sich nach einer Arbeitsmöglichkeit bei Ferdinand Porsche. Die Antwort kam schnell. Sohn Ferry und Karl Rabe, so hieß es, arbeiteten an einem neuen Grand-Prix-Wagen, dessen Grundkonzeption der noch in Haft sitzende Professor Porsche konstruiert habe. Man könne rennerfahrene Leute wie Abarth bei dem Projekt Cisitalia gut brauchen.

Im Zeichen des Skorpions

So stieß er zum Team des Industriellen Piero Dusio, der mit Porsche-Hilfe einen Zwölfzylinder-Kompressor-Rennwagen und Allradantrieb baute. Abarth wurde dort Rennmanager. Aber Cisitalia schlidderte kurz darauf in die Pleite. So machte sich Abarth 1949 in Turin selbständig. Er setzte einige Jahre lang bei Rennen Cisitalia-Wagen und Eigenkonstruktionen ein. Tazio Nuvolari fuhr auf einem Abarth seinen letzten Sieg heraus - 1950, beim Bergrennen Monte Pellegrino auf Sizilien.

Tuning-Legende Carlo Abarth: Legendär sind seine Autos - wie unter anderem die giftigen kleinen Fiat-Abarth 750 - die bis 1971 Tausende Siege einfuhren.

Legendär sind seine Autos - wie unter anderem die giftigen kleinen Fiat-Abarth 750 - die bis 1971 Tausende Siege einfuhren.

Der jähe Aufschwung der Firma kam 1956. Schon zuvor hatte Carlo Abarth mit der Produktion von Auspuffanlagen begonnen - eine Goldgrube, wie sich bald erwies. Bis zu 300.000 Stück verkaufte er von nun an pro Jahr. Vor allem die Deutschen, die gerade Italien als Urlaubsparadies entdeckt hatten, nahmen - noch trunken von Sonne, von Rimini und dem Schlager "Volare" - neben den bauchigen Bastkorbweinflaschen gern noch eine der vierrohrige Abarth-Anlage für ihren VW-Käfer mit nach Hause.

Noch wichtiger aber war für Abarth & Co das Debüt des Fiat 600 beim Genfer Salon 1956. Dieser Auto-Zwerg schuf die Basis für eine historische Wende: Er wurde umfrisiert - zum supersportlichen Fiat Abarth 750. Die kleine Krawall-Tüte - das erste Exemplar bestellte Fiat-Besitzer Umberto Agnelli - wurde Abarth förmlich aus den Händen gerissen. Einen "genialen Bastler" nannte ihn die Fachpresse. Ein Begriff, der den Wiener, der auch als Gourmet und Kunstkenner galt, schwer beleidigte: "Ich betreibe Neubauten auf bekannter Basis. Wir sind ein Ingenieur-Betrieb."

Die folgenden 15 Jahre brachten eine unglaubliche Typenfülle, die meisten auf Fiat-Basis: Abarth Bialbero, Abarth 850, 1000, 1300, 1600, 2000, 3000, Spider, Coupés (wie der OT), Prototypen, Formel-Wagen, Rekordrenner, Abarth Simca. Selbst aus dem kleinen 500er Fiat wurde ein Abarth-"SS". Die Absatzzahlen schnellten hoch.

Im Zeichen des Skorpions

Carlo Abarth glänzte nicht nur als Organisator und Entwickler, sondern er ist vor allem als diktatorischer Chef seines Rennstalles unvergessen. Der Aufwand war enorm. Zu manchen Rennen - beispielsweise zum 500-km-Rennen auf dem Nürburgring 1964 - schleppten die Tieflader gleich 16 Abarth-Rennwagen heran. Im Cashmere-Pulli stand der "Maestro", dem Arroganz nicht fremd war, dann am Pistenrand und befehligte seine Fahrer mit Armschwüngen wie ein Dirigent. Gehorsam, Disziplin, Sauberheit, Ordnung forderte er vom Team. Blitzblank mussten die Autos sein. Ferrari oder Porsche konnte Abarth nie erreichen, aber in den kleinen Hubraumklassen dominierten seine Autos. Man zählte in Turin bis zu 800 Siege und Rekorde pro Saison.

Viele Deutsche gehörten zu Abarths "Renn-Söldnern". Allen voran der frühere Mercedes-Grand-Prix-Pilot Hans Herrmann, der von 1962 bis 1965 Werksfahrer war. Aber auch Kurt Ahrens, Jochen Neerpasch, Toni Fischhaber, Eberhard Mahle, Willi Kauhsen, Johann Abt, oder Erich Bitter. Und jeder kennt bunteste Abarth-Geschichten.

Einer der treuesten Vasallen war der Österreicher Johannes Ortner. Jahrelang ertrug er die Wutanfälle seines Chefs. Zu Exzessen kam es, wenn beispielsweise der Streckenrekord um ein, zwei Zehntel verfehlt wurde. Auch war es ein Drama, wenn mal ein Abarth von der Piste flog. Ortner: "Er liebte halt zuallererst seine Autos, dann sich selbst, erst dann kamen seine Rennfahrer." Hans Herrmann bestätigt das: "Es bereitete dem Carlo fast körperliche Schmerzen, wenn ein Auto zertrümmert wurde." Als Jochen Rindt einmal einen Abarth an den Strohballen zerbeulte und mit den Worten an der Box ablieferte "da habt's euern Krempel", entschied der "Patron" umgehend: "Der fährt nie mehr für mich."

Klaus Steinmetz, später BMW-Rennleiter und dann Tuner schneller Opel, jonglierte bei Abarth jahrelang in einer Dreifach-Rolle: Rennmanager, Rennfahrer und Entertainer für den Chef. Das führte zu unvergesslichen Szenen. Carlo Abarth, der sich ja tagsüber mächtig aufregte, konnte abends schlecht einschlafen. Deshalb las er zur Entspannung gern "Robinson" oder Märchenbücher. Als seine Fahrer 1965 am Nürburgring einmal abends im Hotel "St. Georg" beim Essen saßen, wurde Klaus Steinmetz in Abarths Zimmer befohlen. Der Chef lag schon im Bett. "Jetzt muss er Carlo wieder Märchen vorlesen," juxten die Fahrer, schlichen hoch in den ersten Stock und lauschten an der Tür. Richtig - das war die Stimme von Steinmetz. Er las vor: "Da sagte der Fuchs zur Katze. Komm, lass uns ein Stück des Weges gemeinsam gehen..." Im Motorsport von heute wäre ein Carlo Abarth undenkbar. Wie schade.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: