TÜV im Ausland:Mit scharfem Blick

Prüforganisationen wie der Tüv sind weltweit unterwegs, um die Sicherheit von in Lizenz gebauten Industrieproduktionen nach deutschem Standard zu gewährleisten.

Klaus C. Koch

Seit 1984 baut Sinotruk, ein ehemals chinesisches Staatsunternehmen, Lastwagen des Fahrzeug- und Maschinenherstellers MAN in Lizenz. Volkswagen feiert gerade das zwanzigjährige Bestehen eines Joint Ventures in Shanghai - bereits fünf Millionen Fahrzeuge sind vom Band gerollt. Und Airbus produziert gemeinsam mit dem chinesischen Flugzeugbauer AVIC Jets vom Typ A320 und A319. Denn Großunternehmen, sagt Airbus-Chef Thomas Enders, können es sich einfach nicht leisten, dort, wo Mobilität ihre stärksten Wachstumsraten hat, nicht zu produzieren.

China Hochgeschwindigkeitszug Wenzhou Kollision

Sicherheitslücke: Im Juli kollidierten zwei Hochgeschwindigkeitszüge nahe der chinesischen Stadt Wenzhou. 32 Menschen starben.

(Foto: Getty Images)

Lange Zeit war es üblich, angesichts vermeintlich schlechter Qualität die Nase über Produkte aus Peking, Shanghai oder Hongkong zu rümpfen. Inzwischen sind dort, wie an vielen anderen Orten der Welt auch, Zertifizierer und Technische Überwachungsvereine tätig. Einst als Dampfkessel-Überwachungsvereine gegründet, prüfen sie heute rund um den Globus Maschinen, Staudämme, Pipelines und Aggregate, von deren Zuverlässigkeit Menschenleben abhängen.

Im Fahrzeugbereich geht es um Bremsen, tragende Karosserieteile, Komponenten und Sicherheitstechnik. Was Sicherheitsfragen betrifft, ist der konstruktive Aufwand, um zu verhindern, dass dem Nutzer gleich die ganze Maschine um die Ohren fliegt, wenn mal ein einzelnes Teil versagt, relativ hoch. Dabei sitzen die Europäer auf einem etwas hohen Ross, wie es heißt. "In Ländern, die sich noch in der Entwicklung befinden, sind viele nicht bereit, für mehr Sicherheit Geld auszugeben", teilt ein Prüfer telefonisch aus Südafrika mit.

Die Frage, ob schwere Unfälle wie das Eisenbahnunglück auf der erst kürzlich eröffneten Hochgeschwindigkeitsstrecke Peking-Shanghai, auf nachlässigen Umgang mit Toleranzen und Sicherheitsnormen zugunsten der schnellen Realisierung ehrgeiziger Ausbaupläne zurückzuführen sind, wird von Fachleuten unterschiedlich bewertet.

Sie wurde aber durch die Entlassung führender Köpfe der Bahnindustrie, das Drosseln der derzeit gefahrenen Geschwindigkeiten um 50 km/h und das angekündigte Überdenken weiterer Hochgeschwindigkeitspläne durch die chinesische Führung selbst beantwortet.

Der Staatsrat erklärte, der Unfall habe "Lücken in der Sicherheit und im Management enthüllt". Nach dem Zusammenstoß zweier Züge bei Wenzhou, der 32 Menschenleben kostete, verblasste die Freude darüber, dass ein in chinesischer Eigenregie gebauter Zug kurz zuvor noch einen Weltrekord aufgestellt hatte.

Trotzdem arbeite die chinesische Industrie inzwischen "nach technischen Standards, die sich durchaus mit unseren messen lassen", heißt es etwa bei Siemens. Der Elektrokonzern hat langjährige Erfahrung mit Telefonanlagen, U-Bahnsystemen und Lokomotiven, die über einen vorbestimmten Zeitraum in exakt festgelegten Stückzahlen aus deutscher Produktion geliefert werden dürfen.

Tausende TÜV-Prüfer arbeiten im Ausland

Danach wird die Herstellung zunehmend von chinesischen Betrieben in Eigenproduktion übernommen. Die Verhandlung über die Eigenquote sind hart. Denn der kommunistischen Partei geht es um die Schaffung von Arbeitsplätzen im Land. Dabei werden internationale Patente in Peking inzwischen stärker beachtet und auf ordentlichem Weg Lizenzgebühren gezahlt.

Die ausländischen Lizenzgeber übernehmen allerdings auch keine Gewähr mehr für die korrekte Umsetzung der jeweiligen Fahrzeugkonstruktion, sondern nur noch für die überlassenen Blaupausen. Was die anschließende Funktionstüchtigkeit betrifft, müssen wiederum andere Instrumentarien greifen.

Ehemalige Staatsbetriebe wie die chinesischen Changchun Railway Vehicles, die 10.000 Menschen beschäftigen und unter anderem mit in Deutschland eingekauftem Design schon mehr als 4000 U- und S-Bahnen nach Nordkorea, in den Irak, Iran, nach Pakistan und Sri Lanka verkauft haben, verweisen auf ihre ISO-9001-Qualität. Zum Zertifikat mit der Nummer 01 100 106127 kommen Mess- und Inspektionssysteme nach ISO 1002-1, ein Umweltmanagement nach ISO 14001, die Deutsche Industrienorm DIN 6700 und SAP-Programme hinzu.

Die Prüfer des TÜV kontrollieren im Auftrag der betreffenden Betriebe die Einhaltung der Normen. Auch die Produktionsüberwachung wird angeboten. Holger Hütz, weltweit für den TÜV Rheinland in Sachen Fahrzeugtechnik unterwegs, legt Wert darauf, dass das keine Spaßveranstaltungen sind: "Wir gehen unangemeldet ins Werk, um einzelne Produkte herauszupicken, den ordnungsgemäßen Zustand und einwandfreien Arbeitsablauf zu kontrollieren".

Allein der TÜV Rheinland zählt weltweit 14.500 Beschäftigte, von denen nur noch 6800 in Deutschland arbeiten - aber mehr als 2000 jeweils in China und Brasilien. Ähnlich sieht es bei der Dekra aus.

"Das mit der Eigenproduktion ist nicht so einfach", sagt ein Sprecher des kanadischen Schienenfahrzeugherstellers Bombardier, der mit dem Eisenbahnwerk in Changchun ein Joint Venture betreibt, "aber wir sitzen alle im selben Boot und suchen deshalb gemeinsam nach Lösungen".

In einigen wenigen Bereichen sind die Chinesen inzwischen Schrittmacher geworden. Da in Shanghai keine Benzin-Roller erlaubt sind, dürfen nur noch Elektroroller verkauft werden, deren Stückzahlen in die Höhe geschnellt sind. Dadurch wurden auch die Lithium-Ionen-Akkus billiger, die nun auch vermehrt nach Europa geliefert werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: