Triumph Spitfire:Kleiner englischer Albtraum

Triumph Spitfire Mk4 von 1973

Der Triumph Spitfire wurde von 1962 bis 1980 produziert. Im Bild ein Mk4 von 1973.

(Foto: Wikimedia Commons / ChiemseeMan)

Die sprichwörtliche Unzuverlässigkeit englischer Autos: Unser Autor hat sie auf erbarmungslose Weise erlebt. Dennoch hat er den Triumph Spitfire nach diversen heimtückischen Mordversuchen gezähmt und in ihm seine Autoliebe für´s Leben gefunden.

Von Kurt Braatz

So allmählich scheint er sich mit mir abzufinden; seine Mordversuche sind seltener geworden. Es ist schon ewig her, dass er seinen Ventilator in den Kühler schleuderte, während wir einen Lastzug überholten. Er wirft auch nicht mehr die Zuleitung der Benzinpumpe ab, um seinen heißen Motorblock mit Sprit zu übergießen, und die Erinnerung an den tückischen Riss in seinem Hauptbremszylinder, der mir einen Dreher einbrachte, als ich auf einer scharf genommenen Autobahnausfahrt ins Leere trat, stellt mir nicht mehr das Resthaar auf. Der Kolbenfresser im dritten Zylinder letzten Sommer, na gut: den sollte man ihm nach 36 Jahren und 150 000 Kilometern als Herzinfarkt durchgehen lassen . . .

Meister Klos räumte mit den Schlampereien im kollabierten Triebwerk gründlich auf

Da allerdings konnte ich dem Spitfire zum ersten Mal nicht mehr selbst helfen; da musste er auf die Intensivstation. Ich übergab ihn den heilenden Händen des Meisters Bernd Klos in München-Obersendling, der mit sämtlichen englischen Schlampereien im kollabierten Triebwerk aufräumte: Wellen und Pleuel wurden gewogen, gewuchtet, gehärtet; die neuen Kolben kamen maßgefertigt von Mahle; der Ventiltrieb läuft jetzt über eine Duplex-Kette, in den Zylinderkopf schrumpfte Klos Bronzeführungen ein, und unter der äußerlich originalen Verteilerkappe zerlegt digitale Technologie die Hochspannung in exakte Zündfunken. Nun frisst der Spitfire die gewundenen Sträßchen der Hallertau gieriger als je zuvor.

Vielleicht hat er gespürt, dass ich ihn anfangs nicht mochte. Damals, 1978, waren meine Angebetete und ich knappe Zwanzig gewesen und gerade zusammengezogen: sie Lehrling, ich Student. Wir wollten ein Auto; gebraucht, billig, zuverlässig, einen Käfer oder etwas in der Art - bis sie auf unserer Suche plötzlich vor einem Triumph Spitfire stehen blieb. Sie ließ sich weder wegzerren noch von meiner Bemerkung verwirren, dass Produkte des britischen Fahrzeugbaus schon im Prospekt hinfällig seien. Genau dafür war der Spitfire von den Lesern der ADAC Motorwelt mit der "Silbernen Zitrone" ausgezeichnet worden. Aber gegen die schicken Pepita-Sitze half kein Argument.

Vier Wochen später waren wir unser Erspartes los, und da stand er nun: Fünfzehnhundert Kubik, 69 PS, ein Jahr alt, 10 000 Kilometer auf dem Tacho, zwei Vorbesitzer. Hätten wir die 8900 Mark in nigerianische Staatsanleihen gesteckt, wäre mir weniger blümerant zumute gewesen. Und der Spitfire unterbot sogleich die niedrigen Erwartungen. Ich hatte eben die neuen Nummernschilder festgeschraubt, da war schon seine Wasserpumpe hinüber. Dreihundert Mark einschließlich Arbeitszeit, schätzte der Werkstattmeister. Mein Vater lieh mir die Hälfte; davon kaufte ich einen Satz Schraubenschlüssel - man brauchte welche in Zollmaßen -, eine englische Reparaturanleitung und die nötigen Ersatzteile. Einen Nachmittag Gefummel, dann röhrte unser kleiner englischer Albtraum wieder fröhlich durch die Gassen und brütete dabei die nächste Schweinerei aus. Er entschied sich für die Kupplung.

Der Spitfire kannte kein Erbarmen

Und ich entschied mich dafür, nicht nachzugeben. Niemals. Als wolle sie zur Unnachgiebigkeit einladen, ist nämlich die gesamte Vorderkarosserie des schicken Spitfire als Motorhaube ausgelegt. Öffnet man die, liegen Vorderachse, Triebwerk und Nebenaggregate wie auf dem Präsentierteller vor der werkzeugbewehrten Faust. Die bekam im Laufe der Jahre einiges zu tun. Die Studiensemester rauschten vorüber, es wurde Zeit fürs Examen, aber der Spitfire kannte kein Erbarmen. Ich schrieb meine Magisterarbeit über Nietzsche und hatte ein Vokabelheft auf der Werkbank liegen, in das ich Gedanken zur Philosophie der ewigen Wiederkehr des Gleichen eintrug, während das soundsovielte Kreuzgelenk des Einbaus harrte.

Jede Ungeduld, jede Ungenauigkeit bestrafte der kleine Triumph sofort. Er bestand darauf, ernst genommen zu werden. Eben schnell die wieder einmal durchgeblasene Krümmerdichtung wechseln? Da verkantete er verärgert den Flansch des Auspuffrohrs, und schon war ein Stehbolzen ruiniert, den man nur durch stundenlange Nacharbeit ersetzen konnte. Seine Schrauben wollte er genau so festgezogen haben, wie es in der Drehmomenttabelle steht, und Pi mal Daumen bei den Einstelldaten des Motors ahndete er mit Leistungsverweigerung. Welch ein Gefühl, als ich endlich das Gefühl bekam, ein Gefühl für die Interdependenz von Ventilspiel, Schließwinkel, Zündzeitpunkt und Synchronisation der beiden Flachstromvergaser entwickelt zu haben!

Manchmal tauchen starke Gölfe hinter dem Spitfire auf, pilotiert von jungem Gemüse

Danach freilich stand Spaß auf dem Programm. Seine 69 PS braucht der Spitfire für bloße 740 Kilo Leergewicht, womit er leistungsmäßig in der Nähe eines frühen VW Golf R liegt, der 140 PS aufwenden muss, um seine anderthalb Tonnen ähnlich flott zu bewegen. Manchmal tauchen sie hinter dem Spitfire auf, drängelnd, pilotiert von blassem Junggemüse mit Brillantine in den Haaren. Ein kurzer Zwischengasstoß bringt Kraftschluss auf den zweiten Gang, der Spit stemmt seine dünnen Hinterläufe in den Asphalt wie ein English Foxhound, wenn das Jagdhorn schmettert, und zwei Landstraßenkilometer weiter sind sie nur noch Fliegendreck auf seinem Außenspiegel. Gel schießt keine Tore.

Er kann das nicht immer und überall. Trockene, kurvige Strecke, mittlere Temperaturen: da läuft er zu Hochform auf. Sein niedriger Schwerpunkt, der kurze Radstand, seine gleichmäßige Gewichtsverteilung und die Durchzugsstärke des langhubigen, gut beatmeten Vierzylinders bilden ein Gesamtpaket, das dann ebenso spektakulär wie gut beherrschbar um die Ecken driftet. Nässe, Vollgashetzerei? Not good. Oder Bodenwellen in schnellen Biegen. Da kommt sein archaisches Heck nicht mit. Die Achse federt aus und verringert dabei blitzschnell die Spur der Hinterräder. Ehe die wieder ihre Grundstellung gefunden haben, steht er schon verkehrt herum und glotzt dem Golf R ins Antlitz. Wenn alles gut gegangen ist . . .

"Glaubt es mir!", beschwor Nietzsche seine Leser, "Das Geheimnis, um die größte Fruchtbarkeit und den größten Genuß vom Dasein einzuernten, heißt: gefährlich leben!" Aber doch nicht dauernd, Mensch. Es gibt auch die Stunden vor Sonnenuntergang, in denen alle Farben wärmer leuchten, ein seidiges Lüftchen den Duft von Raps durchs Cockpit fächelt und der Motor im leichten Trab selbstvergessen vor sich hinbrabbelt. Wachsam folgt der Spit dem leisesten Lenkausschlag, verspielt schnürt er durch Felder und Hopfengärten, gelegentlich knufft er einen freundschaftlich, wenn er über einen Kanaldeckel hinwegsetzt. Da fährt auch die Angebetete von 1978 noch gerne mit. Sie ist nämlich geblieben. Wie der Spitfire. Wahrscheinlich wegen des Autos.

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