Süddeutsche Zeitung

Trends des Oldtimermarktes:Millionenpreise für Schrott

  • Kürzlich wurden in Paris 59 Oldtimer in desolatem Zustand versteigert. Bis auf einen erzielten alle einen höheren Preis als erwartet.
  • Teuerstes Auto war ein Ferrari für 14,2 Millionen Euro. Ein schrottreifer Maserati erzielte zwei Millionen Euro.
  • Originalautos mit Patina sind gefragt wie nie. Die Preisschere zu Fahrzeugen in perfektem Zustand geht immer weiter auf.
  • Das stellt Sammler vor die entscheidende Frage: restaurieren oder als Original erhalten?

Von Mathias Paulokat

Viel Rost und Scherben für 25 Millionen Euro: Auf der Oldtimermesse Rétromobile in Paris wurde die außerordentliche Baillon-Sammlung versteigert. Alle 59 Fahrzeuge präsentierten sich in einem desolaten Zustand, um es milde auszudrücken. Kein Wunder, denn viele der Automobile überdauerten Jahrzehnte ohne jede Pflege unter löchrigem Wellblech. Der Transportunternehmer und Selfmademan Roger Baillon hatte sie mit seinem Sohn Jacques bis in die Sechzigerjahre auf dem Hofgelände seines Schlosses in der Nähe von Niort zusammengetragen. Und seitdem nie wieder bewegt. Ihre gemeinsame Vision, die Automobile zu restaurieren und die ganze Sammlung irgendwann in ein Museum einzubringen, blieb ein Hirngespinst.

Restaurieren oder nicht - das ist die große Frage. Für originale Patina wird am meisten bezahlt

Das alles ist für Sammlerkreise natürlich eine Sensation. Zumal, wenn große Marken im Spiel sind wie etwa Bugatti, Hispano-Suiza, Talbot-Lago oder auch Panhard-Levassor, Delahaye und Delage. Immer wieder tauchen zwar einzelne Scheunenfunde auf, ein katalogfüllendes Konvolut unberührter Klassiker bleibt aber die absolute Ausnahme.

Höhepunkt des über elf Stunden dauernden Auktions-Krimis war erwartungsgemäß ein Ferrari 250 GT SWB California Spider, Baujahr 1961. Die Preziose war in einer Garage gealtert und gehörte ehemals dem Schauspieler Alain Delon. Viel echte Patina für sagenhafte 14,2 Millionen Euro, was sich mit Aufgeld auf sogar 16,3 Millionen summierte - ein neuer Rekord für diesen Fahrzeugtyp, von dem nur 37 Exemplare entstanden.

Teurer als ein perfektes Exemplar

Weitere oft schrottreife Fahrzeuge brachten es jeweils auf über eine Million Euro. Darunter auch ein ehemals rarer Maserati A6G 2000 Gran Sport Berlinetta Frua aus dem Jahr 1956. Mit zwei Millionen Euro markierte das Restaurationsobjekt mit filigraner Technik aus dem Rennsport ebenfalls einen neuen Weltrekord. Nur sieben Fahrzeuge dieses grazilen Maserati sollen überhaupt jemals produziert worden sein. Und noch vor drei Jahren brachte ein perfektes Fahrzeug gleichen Typs beim Auktionshaus Gooding & Company umgerechnet 1,4 Millionen Euro ein. Wenn man die notwendigen Restaurationskosten des Garagenfundus mit in Betracht zieht, beträgt der rechnerische Aufschlag beinahe 100 Prozent.

Ähnlich verhielt es sich bei den anderen Losen Anfang Februar: Immer wieder ließ Maître Hervé Poulain den Hammer fallen und schlug zu. Am Ende war die gesamte Baillon-Collection komplett verkauft. 58 der 59 angebotenen Fahrzeuge erzielten dabei teils deutlich mehr, als die Taxe erwartete.

Ganz so unerwartet und überraschend war der Fund der Collection Baillon indes nicht: Schließlich gab es schon 1979 und 1985 jeweils zwei Auktionen, die Teile der über 200 Fahrzeuge zählenden Sammlung Baillon unter den Hammer brachten. Diese waren nötig geworden, weil der Unternehmer mit seinem Transportgewerbe in die Insolvenz geschlittert war und weitere Vermögensgegenstände versilbern musste.

Dann fielen die restlichen Fahrzeuge in einen temporären Dornröschenschlaf. Auch weil Jacques seinen Kindern auftrug, unbedingtes Stillschweigen zu wahren. Sein Tod 2013 schuf jedoch neue Tatsachen. Schließlich soll der profane Wunsch der französischen Finanzdeputation nach Tilgung der Erbschaftssteuer dazu geführt haben, das letzte Drittel der Sammlung an den Markt zu bringen. Und so gründeten die Erben und das Auktionshaus Artcurial eine Zweckgemeinschaft. Mit dem Ziel, den höchstmöglichen Preis für die Relikte einzutreiben.

Beinahe sakral anmutende Ikonen

Dabei inszenierten sich die Klassikexperten ganz im Stile filmreifer Schatzsucher. Sie fingen den verklärt morbiden Charme der Sammlung in ihrem Urzustand ein. Im Herbst vergangenen Jahres tauchten die ersten Bilder und Informationen im Web auf. Es folgte eine gekonnte Filminszenierung, die es per Youtube in praktisch alle Online-Magazine schaffte, die das Ressort Auto in ihrer Sitemap führten. Für die Verkaufsunterlagen wurden schließlich alle Fahrzeuge geborgen und in ihrem ansonsten unberührten Zustand in einer weißen Hohlkehle fotografiert und damit zu beinahe sakral anmutenden Ikonen inszeniert. Und selbst auf dem Pariser Salon schlummerten die Fahrzeuge noch in schummrigen Licht, von Moos und Farnresten umsäumt.

In dem knapp 180 Seiten starken Auktionskatalog konnte das Expertenteam mit zahlreichen, unzweifelhaften Belegen die Geschichte jedes Modells der Sammlung erzählen. Kein Wunder, dass sich rund 3500 Besucher im Auktionssaal drängten, um dem Spektakel beizuwohnen. 1600 Bieter hatten sich registriert, weitere 1000 Personen nahmen über die Live-Plattform online am Geschehen teil. Wenn so viel Nachfrage auf ein begrenztes Angebot trifft, kennen die Preise nur eine Richtung.

Restaurieren oder im Originalzustand erhalten?

"Die Preisspanne zwischen historisch einwandfreien sowie gut dokumentierten Fahrzeugen und solchen, deren Herkunft eher zweifelhaft ist, nimmt gravierend zu", notiert der Londoner Oldtimer-Händler Gregor Fisken. Und genau das verdeutlicht das Dilemma der Baillon-Akquisiteure. Sollte man die Fahrzeuge nun von Grund auf restaurieren oder doch lieber in ihrem einzigartigen Zustand erhalten? Und damit in Kauf nehmen, dass sie praktisch unfahrbar bleiben?

Wer in die Ausnahmefahrzeuge nochmals einen vermutlich hohen sechsstelligen Betrag für eine Totalrestauration investiert, handelt paradoxerweise kaum rational. Denn perfekt restaurierte Fahrzeuge gibt es bereits für weniger Geld am Markt. Unrestaurierte Originale indes bleiben die Unikate. Dieses Kalkül der Knappheit dürfte die wissenden Bieter zu den neuerlichen Höchstkursen angespornt haben. Und vermutlich sind sie auf der sicheren Seite - wenigstens solange bis der nächste Sensationsfund auftaucht.

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Quelle:
SZ vom 14.02.2015/harl
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