Süddeutsche Zeitung

Trends der CES 2018:Autos wandeln sich zu Quasselstrippen

  • Die Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas zeigt einen eindeutigen Trend: Digitale Sprachassistenten erobern das Auto.
  • Der von Mercedes vorgestellte Innenraum der neuen A-Klasse beispielsweise kombiniert zwei 10-Zoll-Bildschirme mit einer intuitiven Sprachsteuerung.
  • Die neueste Technik lernt dazu und denkt mit. Computer sollen so zu natürlicher Sprache fähig sein.

Von Joachim Becker

Die Krone der Schöpfung? Klar der Mensch. Durch Sprache und Denkvermögen allen anderen Lebewesen überlegen. Aber es gibt Tiere, die Sprachbefehle verstehen. Glaubt man den Technik-Auguren auf der eben zu Ende gegangenen Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas, werden elektronische Geräte in dieser Hinsicht schon bald alles in der Tierwelt überholen. Sprachassistenten wie Alexa, Siri, Google, Cortana und Bixby haben schon den smarten Haushalt im Griff, steuern Licht und Staubsauger. Anders als jedes Haustier können sie nachfragen, um besser zu verstehen, was wir von ihnen wollen. Bloß im Auto schlagen wir uns noch immer mit schwerhörigen Navigationsgeräten herum und versuchen, eine Flut von Funktionen zu beherrschen.

Lange Zeit ging es im Auto um die ergonomische Anordnung von immer mehr Knöpfen und Bildschirmen. Doch die Zeiten der flugzeugähnlichen Cockpits sind vorbei. "Unsere Mercedes S-Klasse hat mehr als 120 Funktionen. Die wenigsten Kunden schauen in die Bedienungsanleitung, wenn Sie etwas nicht verstehen", weiß Sabine Scheunert. Als Digital-Chefin kümmert Sie sich auch um neue Mensch-Maschine-Schnittstellen im Fahrzeug. 120 Funktionen lassen sich nicht mehr sinnvoll mit fest verschalteten Knöpfen bedienen. Auch die Suche in Bildschirmmenüs kann schnell in ein Labyrinth führen. Deshalb setzt nicht nur Mercedes auf künstliche Intelligenz im Auto: "Ich bin mir immer sicher gewesen, dass Sprachsteuerung der nächste Schritt bei der Interaktion mit Maschinen ist, weil es für uns Menschen die natürlichste Form der Verständigung ist", sagt Scheunert.

Auf der CES hat Mercedes jetzt einen lernfähigen Assistenten vorgestellt, der das Command-System in der A-Klasse ablöst. Die neue Generation des Infotainment-Systems wird von diesem Frühjahr an erstmals zwei hochauflösende 10-Zoll-Bildschirme mit einer intuitiven Sprachsteuerung kombinieren: Wo gibt es die beste Pizza der Stadt und welche Termine stehen heute im Office-Kalender? Der Sprachassistent auf dem Niveau von Apple Siri und dem Google-Assistenten weiß Bescheid und funktioniert einfacher als die Touch-Bedienung. Die schicke Anzeige der Suchergebnisse auf der Bildschirmbühne und die direkte Verknüpfung mit dem Navigationssystem machen das neue Kompaktauto, zumindest aus Sicht der Stuttgarter, zum ultimativen mobilen Endgerät. Mercedes-Entwicklungsvorstand Ola Källenius spricht von einer Revolution - was ganz bestimmt für den Fortschritt gegenüber dem alten, begriffsstutzigen Command-Navigationssystem gilt.

Was sich bisher in Handy-Applikationen versteckte, lässt sich nun schneller und weniger ablenkend über die Sprachsteuerung im Auto nutzen. Mercedes will das neue Bediensystem über alle Modellreihen ausrollen. Wer sich kein neues Auto kaufen will, kann zumindest den Sprachassistenten "Ask Mercedes" nutzen. Die Modelle mit dem Stern lassen sich damit spielerisch erkunden.

Der Chatbot kennt den Geburtstag von Dieter Zetsche

Diese Infos zu Anzeigen, Funktionen und Bedienung stecken allerdings nicht im Fahrzeug, sondern in einer Handy-Applikation: Fragen müssen per Spracherkennung oder per Tippen auf den mobilen Bildschirm eingegeben werden. Mit der eingebauten Kamera kann man auch das Interieur scannen. Die Bilderkennung platziert dann Nummern auf den Bedienelementen, hinter denen sich Erklärungen verstecken. Das funktioniert per Augmented Reality (digital überlagerter Realität), ähnlich wie bei der Pokémon-Jagd per Smartphone.

Prinzipiell unterscheiden sich die Mercedes-Assistenten nicht von anderen Chatbots, wie wir sie etwa von der Online-Versicherung aus dem Internet kennen. Kaum jemand kann auf Anhieb sagen, ob hinter dem sprachbasierten Dialogsystem (englisch: "to chat"/sprechen und " bot"/Roboter) ein Mensch oder eine Maschine oder beide stecken. Denn je nach Einsatzgebiet beherrschen die Konversationsmaschinen ganz verschiedene Themenfelder. Im Fall von "Ask Mercedes" ist es der Supercomputer IBM Watson, der selbst Fragen zu historischen Modellen aus dem Mercedes-Museum beantworten kann. Auch die 6000 häufigsten Fragen, die Menschen solchen Assistenten stellen, hat das Digital-Team von Mercedes ausgewertet. Und ja: Auch den Geburtstag von Mercedes-Boss Dieter Zetsche kennt der Chatbot.

Was die Plappermaschinen bisher vom Treppenplausch mit dem Nachbarn unterschieden hat, ist weniger das Niveau von Klatsch und Tratsch, sondern die Qualität der Sprachausgabe - und das Kontextwissen über die Situation und den Sprecher. Seit 60 Jahren tüfteln Informatiker an denkenden und sprechenden Maschinen. Längst ist es nichts Ungewöhnliches mehr, dass sie Schach, Go oder selbst Pokerspiele gewinnen. Jetzt lernen neuronale Netzwerke und Hochleistungsrechner auch den Sprecher als Person kennen und sie lernen, Antworten nahezu perfekt in natürliche Sprache zu übersetzen. "Sagen, was man will, wie man es will - Bosch bringt einen Sprachassistenten ins Auto, der Autofahrer versteht, wie ein Mensch", verspricht Bosch-Geschäftsführer Dirk Hoheisel. Auch der Zulieferer hat seine Spracheingabe nun zum denkenden und lernenden Sprachassistenten weiterentwickelt.

Höheres Bewusstsein ist beim maschinellen Lernen nicht am Werk. Es genügt, mithilfe von Hochleistungsrechnern einen geordneten Datenstrom aus Texten oder Bildern auf bestimmte Muster hin abzuklopfen. Bei "Ask Mercedes" wird das Superhirn in der Cloud über die Luftschnittstelle angefunkt. Boschs Sprachassistenten "Casey" und das neue Mercedes Infotainment-System rechnen auch lokal im Auto und funktionieren selbst in Funklöchern - wenn auch nicht ganz so gut.

Alexa bekommt bald einen festen Platz im Auto

Die Apps von Android Auto und Apple Car Play werden durch die Sprachassistenten weitgehend überflüssig, denn alle Dienste aus dem Internet können direkt über die Sprachschnittstelle angesteuert werden. "Amazon Alexa ist ein Vorbote dieses Trends zu digitalen Assistenten, der die gesamte Tech-Branche umkrempeln wird", glaubt Gabriel Seiberth, Geschäftsführer Digital der Strategieberatung Accenture. Amazon hat zu Weihnachten mindestens 20 Millionen Alexa-Geräte abgesetzt, Google verkauft pro Sekunde mehr als einen Google Home. Experten schätzen, dass auch in Deutschland mittlerweile die Millionengrenze überschritten worden ist.

Die nächste Welle der digitalen Revolution ist nicht aufzuhalten. Sprachassistenten sind die Suchmaschine der nächsten Generation, denn sie begleiten uns rund um die Uhr. BMW- und Mercedes-Kunden können schon seit einiger Zeit Fahrzeuginformationen und Termine von zu Hause via Alexa abfragen. BMW will ab dem Sommer dieses Jahres nahezu die gesamte Palette von Zehntausenden Alexa Skills im Auto zur Verfügung zu stellen. Der Zulieferer Continental kündigte auf der CES an, den Dienst schnell für die breite Masse der Autofahrer verfügbar zu machen: Fragen stellen, Musik abspielen, Nachrichten, Wetter- und Verkehrsberichte hören oder das Smart Home vom Auto aus zu steuern soll in wenigen Jahren zur unverzichtbaren digitalen Grundausstattung gehören. Dass die IT-Riesen mit ihren riesigen Datenstaubsaugern demnächst jedes Detail aus unserem Leben kennen, scheint dabei kaum zu stören.

Geben die Hersteller die Kundeninteraktion aus der Hand?

Es geht also nur noch um das schönste Design der Mensch-Maschine-Schnittstelle. Immer leistungsfähigere Grafik-Chips machen die Mattscheiben im Auto zur perfekten digitalen Bühne. Continental stellte in Las Vegas eine neue Generation von Head-up-Displays vor, die Mini-Projektoren statt platzraubende Umlenkspiegel nutzen. Damit lassen sich von der nächsten Dekade an auch die Seitenscheiben von Autos vollflächig für eine kunterbunte Augmented Reality verwenden: Wenn die Assistenten per Innenraumkameras Gesten verstehen, dann wird die ganze Welt im Vorbeifahren zur Inszenierung. Jedes Haus erzählt auf Fingertipp seine eigene Geschichte, und das Restaurant oder der Supermarkt darin bieten lokale Dienste an: Ein Riesengeschäft, dass sich am Ende wohl nur wenige große Plattformanbieter sichern werden. "Die Autohersteller haben zwar den ersten Angriff von Tech-Firmen wie Apple, Google und Uber beim autonomen Fahren zurückgeschlagen. Aber jetzt geben sie etwas viel Wertvolleres aus der Hand als das Betriebssystem des Fahrzeugs. Und das ist die gesamte Kundeninteraktion", warnt Gabriel Seiberth.

Vom Fernseher bis zur Smartwatch: Viele Neuerscheinungen auf der CES nutzen ganz selbstverständlich einen intelligenten Sprachassistenten. Und die Hersteller behaupten fast unisono, dass sie den Datenstrom kontrollieren und die Kundenschnittstelle in ihrer Hand behalten. Doch für eine geschützte Privatsphäre werden wir demnächst wohl genauso extra bezahlen müssen wie für Ledersitze und Ruhe im Auto. Alternativ gibt es dann nur noch Billigautos oder Oldtimer ohne das ganze Vernetzungsgedöns.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3818384
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 13.01.2018/harl
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.