Süddeutsche Zeitung

Historische Straßenbahn:Aus eins mach zwei

Tram-Fans aus Nürnberg und Krakau verfolgen ein gemeinsames Ziel: In beiden Städten sollen künftig zwei identische Trambahn-Oldtimer fahren.

Von Marco Völklein

Nein, es ist kein alltägliches Projekt, das Tobias Schneider und seine Mitstreiter vom Verein "Freunde der Nürnberg-Fürther Straßenbahn" auf die Schienen setzen wollen. Aus einem historischen Trambahnwagen sollen zwei werden - zwei identische "Zeppelinwagen", die künftig zu besonderen Anlässen durch Nürnberg und Krakau fahren sollen. Zwei Fahrzeuge, die die Herzen der Fahrgäste wie auch der Zuschauer höherschlagen lassen und die Verbundenheit zwischen den beiden Städten demonstrieren sollen.

Die Geschichte des Zeppelinwagens ist lang und bewegt. 1906 findet in Nürnberg eine große Leistungsschau statt, für Rundfahrten auf dem Ausstellungsgelände steuert die Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg (MAN) zehn offene Triebwagen bei. Nach dem Ausstellungsende übernimmt die Nürnberg-Fürther Straßenbahn die zehn Waggons, lässt die Aufbauten verschrotten und lagert die Drehgestelle ein.

Ersatzteile werden zu hohen Preise verkauft

Drei Jahre später nehmen MAN-Techniker die Drehgestelle als Basis und fertigen zehn geräumige Straßenbahnwagen mit einer Länge von elf Metern. Aufgrund ihres eleganten Aussehens und der abgerundeten Front erhalten sie den Beinamen "Zeppelinwagen" - schließlich hatten die markanten Luftschiffe des Grafen bereits 1909 in Nürnberg auf der danach so benannten Zeppelinwiese eine Zwischenlandung eingelegt. Bis zu Beginn der Vierzigerjahre versehen die Zeppelinwagen ihren Dienst in Nürnberg, in den Dreißigerjahren sind es unter anderem diese Triebwagen, die die Teilnehmer und Besucher zu den Reichsparteitagen der Nazis auf dem riesigen Areal im Südosten der Stadt chauffieren.

1941 verpflichtet das "Reichsleistungsgesetz" viele deutsche Verkehrsbetriebe, überzählige Straßenbahnwagen zu verkaufen. Die zehn Zeppelinwagen kommen zusammen mit zahlreichen Beiwagen in das von Deutschen besetzte Krakau. "Der Austausch mit den Verkehrsbetrieben in den von den Deutschen besetzten Gebieten ist wenig freundschaftlich", heißt es in einer Chronik des Vereins. "Ersatzteile werden zu hohen Preisen verkauft."

In Krakau bleiben die Wagen auch nach dem Krieg weiter im Einsatz, die Polen ersetzen die schwachen Fahrmotoren durch Antriebe aus englischer Produktion, ändern die Fenstereinteilung, bauen Schiebetüren ein und verpassen den Wagen (statt der grünen Farbe aus Nürnberg) einen blau-weißen Anstrich - das sind die Hausfarben der MPK Kraków, des örtlichen Nahverkehrsbetreibers. 1970 wird der letzte Zeppelinwagen außer Dienst gestellt, der einstige Triebwagen (TW) mit der Nummer 144 wird zu einem Arbeitsfahrzeug umgerüstet, um Arbeiten an der Oberleitung vornehmen zu können, wird unter anderem das Dach zur Hälfte abgebrochen und eine Montagebühne installiert.

Die "gut gemeinte" Ausstattung des Wagens genügt nicht den Anforderungen

In Nürnberg indes halten Trambahn-Fans die Erinnerung an die alten Zeppelinwagen weiter hoch, Mitte der Siebzigerjahre entdeckt ein Vereinsmitglied TW 144. Der Verein nimmt Kontakt mit der MPK auf und formuliert ein ehrgeiziges Ziel: Der Zeppelinwagen soll zurückkehren in seine alte Heimat. Das aber gestaltet sich nicht gerade einfach, im Kalten Krieg herrscht Eiszeit zwischen Ost und West. Erst 1979 schließen Nürnberg und Krakau eine Städtepartnerschaft, Tobias Schneider sagt: "Einen wichtigen Anteil daran hatte auch der Zeppelinwagen." Anfang der Achtzigerjahre einigen sich beide Städte darauf, den Wagen zu restaurieren.

In der MPK-Werkstatt in Krakau wird der Wagenkasten komplett neu erstellt, auch die grüne Farbe wird wieder aufgetragen, 1984 schließlich kehrt TW 144 zurück nach Nürnberg. Die Behörden verweigern aber eine Zulassung für den historischen Fahrbetrieb. In der Chronik heißt es: "Die gut gemeinte Ausstattung des Wagens mit elektrischen Komponenten aus polnischer Produktion genügt den Anforderungen der deutschen Behörden nicht." Wagen 144 landet als zentrales Exponat im Historischen Straßenbahndepot St. Peter.

Doch weder die Straßenbahnfreunde in Mittelfranken noch die in Polen geben klein bei. Ihr Ziel bleibt es, dass Zeppelinwagen in beiden Städten für historische Fahrten zur Verfügung stehen, in Erinnerung an die gemeinsame Technikhistorie. Und so entsteht die Idee, den bestehenden Wagen quasi aufzuteilen - und ihn so zu ertüchtigen, dass am Ende zwei funktionsfähige Straßenbahnen entstehen - eine für Nürnberg und eine für Krakau.

Finanziert wird das Projekt aus Spendengeldern

So ist laut Projektleiter Tobias Schneider der Original-Wagenboden (Baujahr: 1909) für den Krakauer Wagen vorgesehen, ebenfalls in Krakau verbleiben soll der 1984 von den MPK-Leuten rekonstruierte Wagenkasten. In dem für Nürnberg vorgesehenen Wagen wiederum sollen die Original-Drehgestelle von 1906 zum Einsatz kommen, Wagenkasten und -boden müssen neu gefertigt werden. Für den Krakauer Zeppelinwagen müssen indes zwei Drehgestelle neu beschafft werden.

Dabei werden die Planer vor allem das Wissen der Techniker in Polen nutzen, sagt Schneider. Das hatte der Verein zuletzt schon bei zwei anderen Projekten getan. Denn eine technologische Herausforderung stellt insbesondere der Bau des neuen Untergestells für Nürnberg dar, der in genieteter Stahlbauweise erstellt werden muss - so wie beim Original vor mehr als 100 Jahren. In über 1200 Stunden haben die Vereinsmitglieder rund um Schneider dazu technische Zeichnungen angefertigt; zudem, sagt der Projektleiter, beherrschen nur noch wenige Unternehmen diese alte Niettechnik. Mit der Firma Autosan S.A. in Sanok in Südpolen wurde man fündig. Den Holzaufbau aus Eichenholz wiederum wird eine Schreinerei in Wieliczka bei Krakau anhand der Originalzeichnungen von 1909 erstellen. 190 000 Euro wird das Ganze allein den Nürnberger Verein kosten, finanziert wird das Projekt aus Spendengeldern. Wenn alles glatt läuft, sagt Schneider, soll der Zeppelinwagen im Winter 2022 in Betrieb gesetzt werden.

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Quelle:
SZ vom 21.11.2020/reek
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