Süddeutsche Zeitung

THC-Grenzwerte für Autofahrer:Gras-Grenze

Lesezeit: 2 min

Seit 1994 sollte der Besitz geringer Mengen Haschisch straflos bleiben. Doch fahrende Kiffer verlieren den Führerschein schneller als alkoholisierte Autofahrer. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet nun, ob das so bleibt.

Von Wolfgang Janisch

Im Frühjahr konnten die Streiter für ein liberales Drogenstrafrecht einen Jahrestag begehen. Vor 20 Jahren, am 9. März 1994, hatte das Bundesverfassungsgericht seinen legendären Cannabis-Beschluss gefällt. Die Revolution war zwar ausgeblieben, ein "Recht auf Rausch" konnten die Richter seinerzeit im Grundgesetz nicht entdecken. Immerhin, fortan sollte der Besitz einer "geringen Menge" Haschisch straflos bleiben. Mancher dürfte zur Feier des Kiffer-Gedenktags ein Tütchen angesteckt oder, bürgerlich geläutert, ein Fläschchen Prosecco geköpft haben.

Sebastian Glathe dagegen sieht auch im Jahr 20 der Drogenliberalisierung keinen Anlass zum Jubel. Gewiss, das Strafrecht sei heute moderater, sagt der Freiburger Rechtsanwalt. Durch die Hintertür werde der Drogenkonsum aber immer noch bestraft, und zwar durch den Entzug der Fahrerlaubnis. Diese ist schon dann weg, wenn man den Rausch nur erahnen kann. Beim Alkohol seien die Gerichte toleranter, sagt Glathe: "Das ist ein evidenter Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung." An diesem Donnerstag verhandelt das Bundesverwaltungsgericht über eine Klage des Anwalts und entscheidet, ob auch für Kiffer gelten soll, was Freunde von Wein und Weißbier längst kennen: eine Promillegrenze.

Fahruntüchtig ab einem Nanogramm pro Milliliter Blut

Glathes Mandant war 2008 leicht bekifft am Steuer erwischt worden, in seinem Blut wurden 1,3 Nanogramm des Wirkstoffs Tetrahydrocannabinol (THC) festgestellt. Zu viel, befand der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim, und entzog dem Mann die Fahrerlaubnis.

Bis vor zehn Jahren galt bei Behörden und Gerichten eine beinharte Null-Toleranz-Linie. THC im Blut, egal in welcher Konzentration, bedeutete: Fahrrad oder Straßenbahn. Ende 2004 schritt das Bundesverfassungsgericht ein. Weil die Gutachter THC inzwischen auch nach Tagen oder Wochen nachweisen könnten, reiche nicht jede noch so geringe Spur für den Nachweis der Fahruntüchtigkeit. Damals kam die Grenze von einem Nanogramm je Milliliter auf, der sich bei fast allen Oberverwaltungsgerichten durchgesetzt hat; nur der Bayerische Verwaltungsgerichtshof erlaubt zwei Nanogramm.

Erhöhtes Unfallrisiko erst bei zwei bis fünf Nanogramm

Der Gutachter im Mannheimer Prozess, Volker Auwärter von der Freiburger Rechtsmedizin, stellte den Wert infrage. Es sei weitgehend gesichert, dass erst bei einer Konzentration zwischen zwei und fünf Nanogramm "deutlich feststellbare Auffälligkeiten oder ein erhöhtes Unfallrisiko" aufträten. Den VGH hat das nicht überzeugt, er hielt an der Ein-Nanogramm-Schwelle fest. Und dies, obwohl auch er ersichtlich davon ausgeht, dass ein Kiffer mit diesem THC-Wert im Normalfall deutlich weniger benebelt ist als der Weintrinker mit 0,5 Promille im Blut. Bei Cannabis genüge aber die bloße "Möglichkeit": Wenn die Einschränkung der Fahrtüchtigkeit "nicht ausgeschlossen" ist, dann ist der Führerschein weg. Wer dagegen durch Alkohol an der 0,5-Promille-Grenze kratzt, ist zwar vermutlich angeheitert - fahren darf er trotzdem.

Den Schein zurückzubekommen ist übrigens aufwendig und teuer. Abstinenznachweis und "Idiotentest" - da kommen rasch 2000 Euro zusammen, sagt Glathe. Sein Mandant, seit sechs Jahren ohne Führerschein, sei längst aufs Fahrrad umgestiegen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2185527
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 23.10.2014
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.