Teststrecke in Horstwalde:Wo die Autohersteller ihre SUVs quälen

VW Amarok bei einer Wasserdurchfahrt auf dem Offroad-Testgelände in Horstwalde.

Am Ende geht es durch den "Pool": Bei einer Wassertiefe von 40 Zentimetern zeigt sich, ob der Offroader tatsächlich für jedes Gelände gemacht ist.

(Foto: Steve Przybilla)

Geröll, Wasser, Sanddünen: Auf einem Offroad-Parcours bei Berlin sind die Möglichkeiten, Prototypen neuer Geländewagen leiden zu lassen, nahezu grenzenlos.

Reportage von Steve Przybilla

Konzentration ist alles. Radio aus, Hände ans Lenkrad, Fuß langsam von der Bremse. Klaus Urban kennt die Sanddünen in- und auswendig, durch die er gerade seinen VW Amarok steuert. Er weiß um die Tücken des rutschigen Untergrunds. Einmal falsch gelenkt, einmal zu schnell beschleunigt - schon landet das Fahrzeug im Fichtenwald, womöglich in Schräglage. Oder es bleibt komplett im Sand stecken. Also tastet er sich vorsichtig heran. "Bei dieser Strecke muss man eins werden mit dem Motor", sagt der Geländeprofi. "Sonst schafft man es nicht." Er schaltet in den dritten Gang, dann geht es weiter. Der Pick-up rollt ohne zu murren.

Die Dünenstrecke ist nur ein kleiner Teil eines etwa 550 Hektar großen Geländes, auf dem Autokonzerne aus aller Welt ihre Fahrzeuge testen. Die sogenannte Verkehrs-Versuchsanlage liegt neben dem Dorf Horstwalde, gut 70 Kilometer südlich von Berlin. Geröll, Wasser, Sanddünen: Fahrzeuge, die diesen Parcours meistern, sollten im "richtigen" Gelände später keine Probleme mehr haben.

Was früher Armee-Jeeps waren, sind heute SUVs

Schon das preußische Militär erkannte das Potenzial des abgelegenen Waldstücks und nutzte es für Schießübungen. Später schickte die Wehrmacht ihre Panzer-Prototypen über die Steilhänge. In der DDR kamen neben militärischen Fahrzeugen auch zivile zum Zug. Sowohl Truppentransporter als auch Gabelstapler und Lkws ließen sich perfekt über allerlei natürliche und künstliche Hürden jagen.

Was früher Armee-Jeeps waren, sind heute die SUVs der neuesten Generation. Noch immer befindet sich das Gelände in Staatsbesitz, genauer gesagt in Obhut der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM). Diese wiederum vermietet die Verkehrs-Versuchsanlage an einen Förderverein, der sie in Schuss hält. "Solche Testfahrten sind nicht gerade zimperlich", sagt Urban, der sowohl bei der BAM arbeitet als auch dem Förderverein vorsteht. Gerade ungeübte Fahrer blieben im Sand stecken. "Aus den Dünen habe ich schon einige Fahrzeuge wieder ausgegraben", erzählt der Testfahrer. Nicht immer sehe die Strecke danach ansehnlich aus. "Für die Rekultivierung erheben wir eine Nutzungsgebühr." Ansonsten hängt der Preis, den die Testfahrer zahlen müssen, von der Anzahl der Fahrzeugachsen ab.

Am Ende überwiegt aber der Ehrgeiz

Selbst modernste Jeeps stoßen in Horstwalde schnell an ihre Grenzen, wie die nächste Station zeigt: ein fester Geröllhang mit 35-prozentiger Steigung. Gerade erst hat der Förderverein den Hang für 20 000 Euro wiederhergestellt, weil einzelne Steine aus dem Parcours herausgebrochen waren. Klaus Urban zögert mit dem VW kurz. "Meine Ölwanne ist zwar gepanzert, aber ich kenne meine Grenzen", sagt der BAM-Experte. "Dafür habe ich mein Auto zu gerne." Am Ende überwiegt aber der Ehrgeiz. Vorsichtig tastet sich Urban nach vorne. Die kopfgroßen Felsbrocken knirschen unter dem Druck des Pick-ups. Zwei, drei Meter klettert das Fahrzeug nach oben, dann ist Schluss: aufgesetzt.

Wenn Autokonzerne solche Manöver absolvieren, verlassen sie sich nicht einfach auf das Gefühl ihrer Testfahrer. "Die Fahrzeuge sind vollgestopft mit Sensoren", erzählt Urban, dessen Automodell vor vielen Jahren selbst in Horstwalde erprobt wurde. Auf dem Beifahrersitz stehe bei solchen Versuchsfahrten immer ein Laptop, der die gesammelten Daten verarbeite - "natürlich schwingungsgeschützt", wie Urban betont.

Die Computer messen so ziemlich alles, was im Fahrzeug und außen herum passiert: Lagewinkel, Beschleunigung, Schwingungen, GPS-Position, Motordaten. Rein äußerlich erkenne man die Testfahrzeuge hingegen kaum. "Wenn es um ein neues Getriebe oder eine neue Lenkung geht, sieht man das den Autos nicht an", erklärt Urban. Nur komplette Neuentwicklungen fielen direkt ins Auge. "Die kommen mit Tarn-Lackierung angefahren. Das übersieht so schnell niemand."

"Unser Gelände ist nicht dazu da, die Sau rauszulassen"

Die Möglichkeiten, ein Auto zu quälen, sind in Horstwalde nahezu grenzenlos. Es beginnt bei harmlosen, flachen Steilhängen, die sich auf bis zu 65 Prozent steigern. In den Fünfzigerjahren kam es zu einem schweren Unfall, nachdem bei einem Auto die Bremsen versagt hatten. Heute werden deshalb alle Testfahrzeuge an den Hängen mit einer Seilwinde gesichert. Nicht weniger anspruchsvoll gestaltet sich der "Trail-Kurs", eine rutschige Slalomstrecke, die dem Fahrwerk einiges abverlangt. Auf dem Boden liegen Äste, Fichtenzapfen und kleinere Steine. "Jetzt darf ich mich nicht vergreifen", sagt Urban, während er seinen Amarok mit zehn Kilometern pro Stunde durch den Brandenburger Wald lenkt. Geht's nicht auch schneller? "Nein", entgegnet der Fahrer. "Unser Gelände ist nicht dazu da, die Sau rauszulassen."

Anschließend steuert Urban auf die "Verwindungsbahn" zu, die sich wie ein Wellenmuster über den Boden schlängelt - die Fahrt hier ist quasi Folter für Getriebe und Achsen. Kaum ist der Amarok losgefahren, hängt schon ein Rad in der Luft. "Allrad nützt hier nichts", sagt Urban und schaltet die Differenzialsperre ein. Der Sinn der Tortur? "Ermüdungserscheinungen beim Material feststellen", erklärt der Experte. "Manche Hersteller jagen ihre Fahrzeuge hundertmal über diese Bahn."

Das Gelände wird oft komplett abgeschottet

Wie viele Autos bei solchen Exkursionen schon zu Bruch gegangen sind, darf Urban nicht verraten. Die Hersteller schätzen die Verschwiegenheit der Mitarbeiter, die sich um die bundeseigene Anlage kümmern. Für Versuche schotten sie das Areal oft komplett ab. "Es kommt aber immer mal vor, dass ein Fahrzeug stecken bleibt", sagt Urban, ohne das böse zu meinen. Schließlich seien solche Versuche ja dazu da, potenzielle Schwachstellen aufzudecken. "Außerdem fängt jeder mal klein an", ergänzt Urban. "Auch ein Testfahrer."

Vertreter der Autoindustrie bestätigen, dass es die Hindernisse in Horstwalde durchaus in sich haben. "Auch erfahrene Fahrer können dort noch etwas lernen", sagt Armin Lauber von Land Rover Experience, einer Tochter des britischen Autobauers. Zwar testet das Unternehmen keine Prototypen in Brandenburg, nutzt die Versuchsanlage allerdings für Werbeveranstaltungen und Wettbewerbe, bei denen Kunden ans Steuer dürfen. "Wir haben zur Sicherheit immer einen Radlader dabei, um Spurrillen zu beseitigen", sagt Lauber. Das Gelände biete "perfekten Sand in verschiedenen Witterungslagen". Was das in der Praxis bedeutet? "Je stärker sich der Sand erwärmt, desto schwieriger gestaltet sich das Fahren."

Land Rover sammelt Feedback von seinen Kunden ein

Häufig lieferten die genormten Geländetouren auch wertvolle Erkenntnisse, berichtet der Land-Rover-Mann. "Wir sehen, wie neue Systeme in der Praxis genutzt werden - nicht von Ingenieuren, sondern von unseren Kunden." So kämen beispielsweise nicht alle Fahrer mit einem neuen Fahrprogramm klar, das den Halt auf sandigem Untergrund erleichtern soll. "Wir geben solche Hinweise nach England weiter", sagt Lauber. "Sie fließen in die Entwicklung der künftigen Modelle mit ein."

Richtig Spaß macht die Testfahrt übrigens erst ganz am Ende, wenn die geschundenen Autos mit einer Erfrischung im "Pool" belohnt werden: Der bietet 40 Zentimeter Wassertiefe, ein Tiefgang wie in einem Flussbett. Doch auch diese Spritz-Tour ist in Wahrheit eine Prüfung: Wenn der Motor nach der Durchfahrt noch läuft, ist alles in Ordnung. Ansonsten müssen die Pannenhelfer anrücken. Und die Konstrukteure noch einmal über den Bauplänen brüten.

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