Tests für Schnellzüge:Auf Schienen durch ein Rohr geschossen

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Ein neuer Katapult-Prüfstand soll die Aerodynamik von Hochgeschwindigkeitszügen verbessern - für "eine Art A380 auf Schienen".

Klaus C. Koch

Für Designer ist es seit Jahrzehnten eine Herausforderung, schnittige Züge zu entwerfen, die in Zukunft auf dem europäischen Schienennetz verkehren sollen. Stromlinienförmig sollen sie sein, schnell, und nach Möglichkeit auch noch energiesparend fahren. Auf der Suche nach Möglichkeiten, hohe Geschwindigkeiten zu erproben, verfielen Wissenschaftler jetzt auf eine Technik, die schon bei den alten Römern beliebt war: Sie verwenden neuerdings ein Katapult.

Rasen im Raum: Mit Hilfe einer Hydraulikpumpe bringt das DLR-Katapult das Schienenfahrzeug im Maßstab 1:100 auf ein Tempo von hundert Meter pro Sekunde. (Foto: N/A)

Der Druck, der entsteht, wenn ein Hochgeschwindigkeitszug in einen Tunnel einfährt, ist beträchtlich. Wie der Kolben einer Luftpumpe schiebt er sich in die Röhre. "Wenn sich zwei Züge in der Röhre begegnen, entspricht das schon fast einem Überschallknall", sagt Jens Wucherpfennig vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Göttingen. Für normale Reisende sind die Kräfte, die beispielsweise im Intercity-Express walten, nicht nur durch Geräusche und Veränderungen des Drucks zu spüren, die trotz luftdichter Wagen und Türen immer noch dafür sorgen, dass die Ohren zufallen.

Mit etwas Feingefühl können Fahrgäste zwischen Außenwand und Sitz manchmal sogar ertasten, wie sich das Mobiliar - wie im Innern einer Flugzeugkabine - fast unmerklich bewegt. Die Kräfte, die dabei am Fahrzeug zerren, steigern sich sogar noch, wenn der Zug aus dem Tunnel herauskommt um gleich danach auch noch eine Brücke zu überqueren.

In nächster Zukunft kommt eine weitere Problematik hinzu: Weil die Bahn immer mehr Fahrgäste befördern muss, braucht man auch im Hochgeschwindigkeitsverkehr Doppelstockzüge. Im Regionalverkehr hat das - bei niedrigeren Geschwindigkeiten - bislang gut geklappt.

Die beiden Etagen werden von den Fahrgästen ausgesprochen positiv angenommen. Bei höheren Geschwindigkeiten sind die Doppelstöcker jedoch im Nachteil, was die Empfindlichkeit gegenüber Seitenwind und die Fahreigenschaften im Tunnel betrifft. Für Geschwindigkeiten, die sich um die 400 km/h bewegen, muss die Aerodynamik der Großraumzüge daher komplett überarbeitet werden.

In Frankreich und Japan verkehren zwar bereits seit einiger Zeit Doppelstockversionen der dortigen Hochgeschwindigkeitszüge TGV und des Shinkansen. Allerdings fahren sie auf vorwiegend ebener Strecke.

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In Deutschland bereitet den Ingenieuren die Berg- und Talfahrt auf dem stärker von der Topographie, von Tunnels und hohen Brücken geprägten Schienennetz Probleme: Bei Tempo 300, sagt Andreas Dillmann, Leiter des Göttinger DLR-Instituts für Aerodynamik und Strömungstechnik, werde die Spitze des Zuges deutlich entlastet. Starker Seitenwind könnte die Frontpartie ins Kippen geraten - trotz eines Zuggewichts von rund 800 Tonnen.

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Mit ihrer neuen Tunnelsimulations- und Seitenwindversuchsanlage, die dieser Tage in Göttingen eingeweiht wurde, wollen Forscher und Bahn-Ingenieure den Risiken im kritischen Geschwindigkeitsbereich auf die Spur kommen und auf konstruktivem Weg für Abhilfe sorgen. Das Katapult schießt dazu einen Versuchszug förmlich in die Röhre hinein, allerdings nicht in Originalgröße, sondern im Maßstab 1:100, also im (HO)Modellbauformat.

Mit Hilfe einer Hydraulikpumpe bringt das DLR-Katapult den Zug auf Geschwindigkeiten von beachtlichen 100 Metern pro Sekunde. Zwei Hebelarme katapultieren dabei über Seilzüge einen Rollschlitten, auf dem das Schienenfahrzeug steht. Der Beschleunigungsschlitten selbst hat nach wenigen Metern seine Aufgabe erfüllt und wird durch Magnete abgebremst, während der Zug auf einer 60 Meter langen Schienenstrecke weiter schießt.

Laserscanner, Hochgeschwindigkeitskameras, Druck- und Temperatursensoren nehmen die Testfahrt auf. Zum Stillstand kommt der Modellhut schlussendlich in einer Schüttung aus Styroporkugeln.

Wenn es um die Aussagekraft der Messergebnisse geht, so bestand eine zusätzliche Schwierigkeit darin, dass die Luftströmungen, die analysiert werden sollten, sich im kleinen Maßstab anders verhalten als bei den Objekten in ihrer tatsächlichen Größe.

Die Lösung bestand darin, die Luft im Hochdruckwindkanal auf 100 bar zu komprimieren. Der Zug fährt deshalb unter Druckbedingungen, wie sie in zirka 1000 Metern Wassertiefe herrschen.

Einfließen sollen die Ergebnisse aus dem DLR-Katapult unter anderem in das Projekt "Next Generation Train". Der Zug der Zukunft, der als Entwurf noch vergleichsweise harmlos aussieht, soll statt der bislang knapp über 400 Passagiere, die bislang in einem ICE Platz haben, dereinst einmal 800 Menschen befördern.""So eine Art Airbus A380 der Schiene soll das werden", sagt der Göttinger Strömungsforscher Siegfried Loose.

Die Nachfrage - vor allem nach Hochgeschwindigkeitszügen - ist unterdessen im Steigen begriffen. Zurzeit werden weltweit rund 130 Milliarden Euro pro Jahr für Eisenbahntechnik ausgegeben, im Jahr 2015 könnten es - angeheizt von hohem Nachholbedarf in Russland und China - sogar 160 Milliarden Euro werden. Zum Vergleich: Die Flugzeughersteller Boeing und Airbus zusammen genommen setzten im Jahr 2008 gerade mal rund 80 Milliarden Euro um.

© SZ vom 2.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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