Autotest Porsche Taycan:Das E-Auto der Extreme

Porsche Taycan
Pressefoto

Sportlich und elektrisch: Zum Jahresanfang 2020 will Porsche seinen ersten rein elektrisch angetriebenen Sportwagen auf den Markt bringen.

(Foto: Porsche)

Schnelles Laden, hohe Reichweite, viel Drehmoment: Mit dem Taycan präsentiert Porsche einen batteriebetriebenen Sportwagen, der vieles besser können soll als Tesla. Das allerdings hat seinen Preis.

Von Georg Kacher

Keine Spur von Donner. Aber dass über Weissach die Wetter leuchten, daran gibt es keinen Zweifel, denn der nur mehr leicht getarnte Taycan-Versuchsträger (Verkaufsstart ist noch in diesem Jahr) fädelt sich aus der Einfahrt des Porsche-Entwicklungszentrums in den Verkehr ein wie ein fast lautloser Blitz. Bei voller Beschleunigung aus dem Stand besteht für gebrechliche Beifahrer sogar eine gewisse Verletzungsgefahr, denn der brutale Anfahrkick tackert die Wirbelsäule mit Vehemenz an die Rückenlehne, und die Kopfstütze muss sich ihren Namen wiederholt aufs Neue verdienen. Wer das volle Drehmoment bei jeder Gelegenheit ohne Vorwarnung ausleben möchte, darf sich nicht wundern, wenn sich die Mitfahrer mit weit aufgerissenen Augen im Sitz einspreizen, statt die Fahrt im Null-Emissions-Porsche entspannt zu genießen.

Der Taycan ist eine von Grund auf neu entwickelte Porsche-Eigenkreation

Es ist überhaupt vieles ganz anders im knapp 150 000 Euro teuren E-Porsche, einem viertürigen Sportcoupé ohne Filter und Weichzeichner. "Die spontane Kraftentfaltung ist ein großes Plus des E-Prinzips," weiß der Projektleiter Stefan Weckbach. "Der Antrieb arbeitet fast verzögerungsfrei ohne Kardanwelle, Winkeltrieb und Vielgang-Getriebe. Im turbo sind zwei E-Maschinen an Bord, die jedes Rad präzise einzeln ansteuern. Unser Credo ist null Prozent Verlust, 100 Prozent dynamische Effizienz." Auch Weckbach ist zu 100 Prozent von seiner Schöpfung überzeugt: "Dieses Auto bewegt sich in einer anderen Liga - ohne typische Schwachstellen wie Temperaturprobleme, früher Leistungsabfall und Fantasiereichweiten."

Der Taycan ist eine von Grund auf neu entwickelte Porsche-Eigenkreation, die mit dem Anspruch startet, alles besser zu machen als der seiner Zeit vorausgeeilte Tesla. Während viele Hersteller die Akkus en bloc monolithisch im Unterboden verstauen, entschied man sich in Weissach für eine topografische Flachbodenarchitektur mit als Fußgarage bezeichneten Vertiefungen vor den Sitzen. Dieser konstruktive Trick war der Schlüssel für die aus Sicht der Markenhüter unverzichtbare sportlich-elegante Silhouette. Die etwas unbequemere Sitzposition im Fond und die knappere Kopffreiheit nahm man zugunsten der besseren Aerodynamik und des schmucken Designs billigend in Kauf. 2021 debütiert als zweite Variante der Sport Cross, eine Mischung aus Coupé, Kombi und SUV.

Der Taycan turbo ist in vieler Hinsicht das bislang extremste E-Auto. Es lädt - die entsprechende Infrastruktur vorausgesetzt - bei 800 Volt mit bis zu 250 Kilowatt, rekuperiert ebenfalls mit maximal 250 kW, lässt die Motoren 16 000 Touren drehen und mobilisiert im zehn Sekunden lang verfügbaren Overboost-Modus ein maximales Drehmoment von 1000 Newtonmeter. Das 96 Kilowattstunden starke Batteriepaket treibt im Topmodell zwei Maschinen mit 160 kW (Vorderachse) und 300 kW (Hinterachse) an. Der Sprint von null auf Tempo 100 dauert kaum länger als drei Sekunden, Tempo 200 ist in weniger als zehn Sekunden erreicht. Die erste Übung kann ohne Leistungsverlust zehn Mal wiederholt werden, bei der zweiten Übung nimmt sich die Batterie frühestens ab dem sechsten Versuch etwas mehr Zeit.

Im Gegensatz zur Konkurrenz pfeifen die Porsche-Ingenieure auf das viel zitierte One Pedal Feeling. "Ein Sportwagen sollte beim Gas wegnehmen nicht nachdrücklich verzögern, sondern mit möglichst viel Schwung ausrollen", findet Weckbach. "Man kann zwar auch im Taycan per Knopfdruck eine milde Rekuperationsstufe aktivieren, genauso wie sich die Reichweite im Range-Programm bei Bedarf um rund zehn Prozent verlängern lässt. Der Schwerpunkt unseres Konzepts liegt jedoch ganz klar auf ultimativem Fahrspaß. Deshalb steht selbst bei fast leerer Batterie bis kurz vor der Notlauf-Reserve die volle Leistung zur Verfügung."

Der Taycan turbo läuft 260 Kilometer pro Stunde in der Spitze (angesichts der Verkehrsdichte ein eher theoretischer Wert), doch Tempo ist nicht seine einzige Tugend. In gleichem Maß begeistert die enorme Durchzugskraft, die ihr spontanes Anfahrmoment trotz Allradantrieb und gesperrtem ersten Gang nur mit Mühe in Traktion umsetzt. Als könnte er Gedanken lesen, wechselt der Chauffeur als Probe aufs Exempel von Sport auf Sport Plus und gibt Gas bis ESP-Eingriffe die 20-Zoll-Räder kurz vor der Haftgrenze immer wieder aufs Neue einfangen müssen. Anders als im Elfer ist der schnelle Vorlauf im 625 PS starken Taycan kein Drama in sechs Hochschalt-Akten, sondern eine Art tiefenentspannte Vorwärts-Kompression ohne jedes Gangwechselruckeln und dadurch ausgelöste kleine Durchhänger. Statt dessen brilliert der Porsche mit progressiv-linearer Kraftentfaltung, wie von Geisterhand gesteuerter Richtungsstabilität und der aktiven Wankstabilisierung als Therapie gegen unerwünschte Aufbaubewegungen.

Die Assistenzsysteme stammen aus dem Audi A8, die 34 aus jeweils 408 Einzelzellen bestehenden Batterie-Module werden von LG zugeliefert, die Radaufhängung ist eine Evolution des 911, der auch im Innenraum in Form von klassisch angeordneten digitalen Rundinstrumenten die Linie vorgibt. Die Mittelkonsole wirkt aufgeräumter als im Panamera, der Beifahrer bekommt auf Wunsch seinen eigenen Bildschirm, die Sitze schaffen eine formschlüssige Verbindung zwischen Mensch und Maschine. In Reihe zwei lässt sich freilich beim besten Willen keine dritte Person unterbringen, und auch der Federungskomfort stand im Lastenheft offensichtlich nicht an erster Stelle. Dafür sorgen die fetten Reifen, die breite Spur und das hohe Gewicht von knapp 2100 Kilogramm für ein Maß an Bodenhaftung, das durch die spurtreue Hinterachslenkung und die adaptive Luftfederung souverän abgerundet wird. Kommentar des Entwicklungsleiters: "Besonders stolz sind wir auf die exakte Rückmeldung der direkten Lenkung und auf den nahtlosen Übergang von elektrischer zu hydraulischer Verzögerung."

Im Projektaufwand von 800 Millionen Euro enthalten sind neue Produktionsanlagen im Stammwerk Zuffenhausen, die zunächst für 60 000 Einheiten pro Jahr ausgelegt sind. Neben dem turbo und dem turbo S schickt Porsche zwei weitere Varianten ins Rennen: Im Basismodell für etwa 90 000 Euro übernimmt ein kleineres Batteriepaket mit 80 kWh die Energieversorgung des 240 bis 280 kW starken Elektromotors, der ausschließlich die Hinterräder antreibt. Der über 100 000 Euro teure Taycan 4 S glänzt mit Allradantrieb, zwei E-Maschinen mit 320 bis 360 kW Systemleistung und einer erweiterten Ausstattung. Die Reichweite nach WLTP dürfte zwischen 400 und 600 Kilometer betragen, die Ladeleistung soll von 2021 an auf 350 kW steigen, was die Standzeit auf gut 14 Minuten verkürzt. Induktives Laden ist allerdings erst mittelfristig ein Thema.

Nach zwei Stunden flotter Landstraßenfahrt zeigt das Multifunktionsdisplay des Taycan 44 Prozent Ladezustand und 190 Kilometer Reichweite an. Der Verbrauch betrug auf den schnellsten Passagen laut Bordcomputer 50 kWh und mehr - Elektroautos können eben auch nicht hexen. Dafür machen sie ungewohnte Geräusche, die erst ab Tempo 80 durch den Fahrtwind und die laut abrollenden Reifen übertönt werden. Wer mag, kann sich als Hintergrundmusik einen Soundgenerator bestellen, der manuell zugeschaltet wird und angeblich so ähnlich klingt wie ein elektrisch angetriebener, in Watte gepackter Achtzylinder. Durchaus möglich, dass der Abschied von der Verbrennerwelt für den einen oder anderen gewisse Entzugserscheinungen mit sich bringt.

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