Teslas Robotaxi-Pläne:Todsichere Wette oder gefährlicher Größenwahn?

FILE PHOTO: A Tesla Model 3 sedan is displayed during its launch in Hawthorne

Tesla kommt auch mit dem Model 3 nicht aus den roten Zahlen.

(Foto: Joe White/Reuters)

Tesla-Chef Elon Musk will schon im nächsten Jahr eine Million selbstfahrende Autos auf der Straße haben. Warum das ein äußerst riskanter Plan ist.

Von Joachim Becker

Ein Taxi-Unternehmen, das an der Börse 100 Milliarden Euro wert ist? Gut möglich, dass die Uber-Erstplatzierung im Laufe dieses Jahres der größte Börsengang aller Zeiten wird. Aus dem aktuellen Geschäft lässt sich der stolze Preis nicht herleiten. Die Mitfahr-Firma transportiert zwar Menschen in 63 Ländern, macht damit aber Milliarden-Verluste. Tesla geht es kaum besser, trotzdem sind die Kalifornier die wertvollste US-Autofirma. Kurstreiber ist jeweils der absehbare Technologiewandel im Transportsektor. 2018 haben Uber-Fahrzeuge 26 Milliarden Kilometer zurückgelegt. Das sei nur ein Tausendstel des insgesamt adressierbaren Marktes. Die globalen Chancen lägen bei fünf Billionen Euro pro Jahr, rechnet Uber vor: das ist eine Zahl mit zwölf Nullen.

Interessant wird das Geschäftsmodell ohne den Fahrer als Kostenfaktor. Robotertaxis als globales, digitales Plattformgeschäft - davon träumt auch Elon Musk. Der Tesla-Boss hat Anfang der Woche seine Pläne bekräftigt, ein "Tesla Network" aufzubauen. Wenn die Besitzer ihre Fahrzeuge nicht bräuchten, könnten diese im autonomen Taxi-Modus Geld verdienen. Das Geniale an der Geschäftsidee: Die Autokäufer schießen die Investitionskosten vor, dafür bekommen sie 70 bis 75 Prozent der Einnahmen. Im Schnitt 27 000 Euro pro Jahr, rechnet Musk vor. Mit dem restlichen Gewinn würde Tesla so profitabel wie kein anderer Autohersteller.

Die Idee klingt so utopisch wie viele andere Einfälle des Tesla-Gründers, zumal er sie mit der typischen Prise an Größenwahn würzt: "Es ist aus finanzieller Sicht irrsinnig, irgendetwas anderes als einen Tesla zu kaufen", so Musk. Der tatsächliche Wert jedes Tesla läge inklusive des autonomen Taxi-Modus bei rund 175 000 Euro. Eine todsichere Wette, möchte man meinen, wenn man auf die Fahrzeugtechnik blickt: Selbst die Einstiegsversion des Model 3, die es in den USA für 35 000 Dollar gibt, hat die nötige Hardware an Bord, um schon bald autonom zu fahren. Sagt Elon Musk.

Seit vier Wochen werden alle Tesla-Modelle ab Werk mit einem Radar, acht Kameras, zwölf Ultraschallsensoren sowie einem neuen Supercomputer ausgestattet. Um das "volle Potenzial für autonomes Fahren" zu aktivieren, werden beim Model 3 in Deutschland 5200 Euro extra fällig. Damit soll der Autopilot nicht nur den richtigen Abstand und die Spur halten, sondern auch Ampeln und Stoppschilder erkennen. Sobald die Freigabe der Behörden erfolgt, soll das System automatisiert auf Stadtstraßen fahren können. In Europa ist damit auf absehbare Zeit allerdings nicht zu rechnen: Selbst hochautomatisierte Autobahnpiloten (Level 3) sind hierzulande ohne aktive Überwachung durch den Fahrer noch nicht zulässig.

Autonomes Fahren für 5200 Euro

Musk will schon im nächsten Jahr den fahrerlosen Betrieb beginnen (Level 4/5). Mehr Vorsprung durch Technik geht nicht. Zumal sich 425 000 bisher verkaufte Tesla-Fahrzeuge mit dem neuen Supercomputer nachrüsten ließen. Per Software-Upgrade würden dann über Nacht - die Genehmigung der Behörden vorausgesetzt - mehr als eine Million scheinbar konventionelle Fahrzeuge zum Fahrroboter. Ein Versprechen, bei dem weder Online-Plattformbetreiber wie Uber oder Google/Waymo noch andere Autohersteller mithalten können.

Zumal das Tesla-Angebot unschlagbar günstig ist. Alle Wettbewerber setzen im nächsten Schritt zum hoch- oder vollautomatisierten Fahren weitaus mehr Sensoren ein. Insbesondere die auffälligen Lidar-Scanner auf dem Dach vieler Prototypen gehen bisher richtig ins Geld. Die Google-Schwestermarke Waymo hat die Größe des Waschtrommel-förmigen Sensors zwar deutlich geschrumpft und die Kosten um 90 Prozent reduziert. Statt etwa 67 000 Euro werden pro Stück nur noch knapp 7000 Euro fällig. Dafür müssen vier Laser-Scanner an allen Ecken des Dachs untergebracht werden - ein Aufbau, der an einen Skigepäckträger erinnert. Derart ausgerüstet lässt sich die gesamte Umgebung mit Laserstrahlen abtasten und die Position sowie Geschwindigkeit von Objekten im gesamten Umfeld in Echtzeit messen. Was Elon Musk für völlig überbewertet hält. Als einziger Auto-Boss traut er sich zu, größtenteils auf der Basis von billigen Kameras autonom zu fahren: "Meine Prognose ist, dass alle Wettbewerber ihre Lidare auf den Müll werfen werden", stichelt er: "Mit dem Lidar baut man ein teures System ins Auto, das wertlos ist. Wenn man ein günstiges Radarsystem hat, das Nebel oder Schnee durchdringt, dann braucht man kein aktives optisches System mehr - ganz einfach, weil sich die (passiven) Kameras darum kümmern können."

Wie groß Teslas Vorsprung wirklich ist

Ganz anders sieht das Alejandro Vukotich: "Für eine Level-3-Fahrt auf der Autobahn braucht man dreifach redundante Sensoren: Lidar als Basis, Kamera und Radar. Unsere Versuchsfahrten zeigen: Allein die Kamera reicht nicht", sagt der BMW-Bereichsleiter für autonomes Fahren. Mit dem israelischen Start-up Innoviz arbeiten die Münchner an einer neuen Lidar-Generation, die ohne bewegliche Teile auskommt. Bis zum Start des BMW iNext 2021 sollen diese Halbleiter-basierten Sensoren für wenige Hundert Euro pro Stück einsatzbereit sein: "Unser Ziel ist ein System, das verlässlich und präzise 200 Meter weit sehen kann. Diese Reichweite brauchen wir mindestens bei 140 km/h." Auf deutschen Autobahnen ist dieses Tempo nichts Ungewöhnliches, auf US-Highways allerdings verboten. Auch davon profitiert Teslas kamerabasierte Lösung.

Tesla beharrt darauf, dass sich auch menschliche Fahrer nur auf ihre Augen verlassen. Selbst bei Schnee würden hochauflösende Kameras Straßenmarkierungen erkennen, solange Menschen noch irgendwelche Anhaltspunkte fänden. Gravierende Probleme bekommen Kameras aber bei Blendungen durch die tief stehende Sonne und Nachtfahrten ganz allgemein. Der Laser-Scanner strahlt das Licht dagegen selbst aus, dessen Widerschein er misst: Nur so lassen sich bei wechselnden Witterungsbedingungen auch die letzten Promille an Unsicherheiten aus dem Weg räumen. Ein unerwartetes Problem ist zum Beispiel ein (verrutschtes) Rohr, das weit über die Ladefläche eines Lkw nach hinten herausragt: Aufgrund seines kleinen Querschnitts können Kamera oder Radar dieses Objekt nicht zuverlässig erkennen, es würde in der Rasterung der Sensoren als Fehlerrauschen untergehen. Deshalb entwickelt BMW Lidar-Scanner mit 150 Ebenen.

Letztlich versucht Tesla, teure Sensoren durch vergleichsweise günstige neuronale Netzwerke zu ersetzen. Um die künstliche Intelligenz (KI) auf Trab zu bringen, und die Videobilder von acht Kameras in Echtzeit auswerten zu können, hat Tesla in nur drei Jahren einen maßgeschneiderten Hochleistungs-Computer entwickelt. Die Platine im Format eines Schulheftes ist nicht größer als der Computer für den Standard-Autopiloten. Doch sie arbeitet 21-mal so schnell.

Hat Tesla die Konkurrenz mit 144 TOPS Leistung wieder einmal abgehängt, wie Musk behauptet? Die Abkürzung steht für 144 Tera-OPS, was 144 Billionen Rechenschritten pro Sekunde entspricht. Doch Teslas Vergleich mit den 21 TOPS des Nvidia-Chip Drive Xavier hinke, stellte Nvidia sofort klar: Der neueste Computer für autonomes Fahren (Drive AGX Pegasus) leiste 320 TOPS. So beeindruckend das Wettrüsten in der Halbleiter-Branche auch ist - es wird den Ausgang des Roboterrennens nicht entscheidend beeinflussen. Sowohl Nvidia als auch Intel werden bis zum nächsten Jahr im großen Stil maßgeschneiderte Rechner für verschiedenste KI-Aufgaben auf den Markt bringen. So weitsichtig es 2016 von Musk auch war, konsequent auf Künstliche Intelligenz zu setzen: Anwendungs-optimierte Chips mit extrem hoher Leistung und geringem Energieverbrauch werden momentan zur Basistechnologie. Und es wäre vermessen, in dem globalen Rennen der Chip-Giganten (die alles aufkaufen, was an neuen Technologien entsteht) als Autohersteller mithalten zu wollen. Der Vorsprung durch Technik, soviel zeichnet sich jetzt schon ab, wird nicht ausschlaggebend sein. Viel wichtiger sind die Fähigkeiten des Betriebssystems.

Elon Musk jongliert gerne mit falschen Zahlen

Es geht darum, die Erfahrung eines versierten Menschen in Software zu gießen. Was nicht so einfach ist, weil Maschinen völlig anders wahrnehmen und "denken" als ein menschlicher Fahrer. Und genau das ist das Problem. Selbstlernende neuronale Netzwerke sind eben kein genau bekanntes Computer-Programm, sondern letztlich eine Black Box. Einem Menschen kann man zwar auch nicht ins Hirn schauen, aber man kann ihn nach einem Unfall zumindest befragen. Deshalb gehen viele Experten davon aus, dass Teslas eilige Plattform-Träume an den Zulassungsbehörden oder spätestens an den ersten Schadensersatzklagen von Unfallopfern oder deren Hinterbliebenen platzen werden. Denn noch ist unklar, wie sich die Entscheidungswege der Künstlichen Intelligenz vor Gericht nachvollziehen und im Einzelfall als "sicher" qualifizieren lassen.

Fest steht momentan nur, dass Musk einen Befreiungsschlag braucht, weil er ein Getriebener seiner schlechten Quartalszahlen ist. Er hat auf der Analystenkonferenz am Montag durchblicken lassen, dass die Firma ohne das Tesla-Network absehbar auf keinen grünen Zweig komme. Das überstürzt eingeführte autonome Fahren ist seine bisher riskanteste Wette, bei der die Zukunft der Firma auf dem Spiel steht. Dabei hätte Tesla strategisch eigentlich gute Karten: Seit Jahren haben alle ausgelieferten Fahrzeuge Verkehrsdaten gesammelt und die wichtigsten an Zentralrechner in der Cloud gesendet. Anhand von schwierigen Verkehrssituationen wurde der Algorithmus ständig verbessert. Im Hintergrund habe man zudem das vollautonome System mitlaufen lassen und dessen Entscheidungen überprüft. Unbemerkt von den Kunden seien so Milliarden Testkilometer im "Shadow-Mode" zusammengekommen. Getarnt hinter der Fassade des eher mittelprächtigen Autopiloten haben die Kalifornier demnach ähnlich viel Erfahrung mit Roboterautos gesammelt wie der weltweit anerkannte Innovationsführer Waymo.

Was das in der Praxis bedeutet, wird das nächste Jahr zeigen: Wenn der Computer regelmäßig den Dienst quittiert, weil er sich nicht sicher ist, dann floppt das Tesla-Network. Oder er ist auf gut Glück unterwegs - dann setzt Tesla mutwillig Menschenleben aufs Spiel.

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