Tempo-Diskussion:Rooooaaaaar. Wrrruuuuummmm.

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Die Klimadiskussion wird nicht ohne Folgen bleiben: Die Autos werden umweltfreundlicher. Aber die Welt verliert dadurch auch einen Mythos: das Tempo.

Von Gerhard Matzig

Dies hier ist ein sparsamer, schadstoffreduzierter Sammel-Nachruf, der maximal 133 Zeilen verbraucht. Dennoch würdigt er viele schöne Dinge, die wir vermissen werden. Zu Recht natürlich, denn es wäre abwegig, wenn man den hochbeinigen Geländepanzerfahrern und den seifenförmigen Rennrasern dieser Welt auf Dauer gestatten würde, die Winter, Gletscher oder Meeresspiegel zu ruinieren.

Ist's vorbei mit der politisch unkorrekten Lust an der Beschleunigung? Die Zukunft gehört dem CO2-armen Fahrzeug ... (Foto: Foto: dpa)

Aber andererseits muss im Sog der Kohlendioxid-Debatte zumindest mal kleinlaut die Frage erlaubt sein, was eine Welt verliert, die in Zukunft vernünftigerweise aus "Kleinwagenfahrern" (Erwin Huber) besteht. Sie verliert - als Massenveranstaltung - das Gegenteil von Vernunft: die Irrationalität der Raserei und die Lust an der Beschleunigung. Sie verliert den gesellschaftlich wirkmächtigsten Mythos des 20. Jahrhunderts: die Lebenslüge der Geschwindigkeit.

Lebenslüge Geschwindigkeit

Für die Ära einer rauschhaften Mobilität hatte der Futurist Marinetti vor einhundert Jahren ein Manifest verfasst, in dem die "Schönheit der Geschwindigkeit" verehrt wird. Berühmt wurde vor allem dieser Satz: "Ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake." Marinetti, dieser Irre, beschwor eine Zeit, in der sich unter den Autoreifen "totgefahrene Hunde wie Hemdkrägen unter dem Bügeleisen biegen".

Mal abgesehen vom Tierschutz: Hat sich der Mann eigentlich überlegt, was AutoBild im aktuellen Ratgeber "CO2 Spezial" dazu sagen würde? Dort werden unter der Rubrik "Das kommt hinten wirklich raus" die "Top Ten" möglichst umweltverträglicher Autos ebenso versammelt wie die "Flop Ten". Und der Stern hat kürzlich nachgerechnet, wieviel Kohlendioxid deutsche Politiker und Spitzenbeamte auf ihren Dienstreisen in die Luft pusten: 100 000 Tonnen im Jahr. Das könnte die aktuelle Motorwelt des ADAC zu einem Titel inspiriert haben, auf dem sich Autobahnen wie Saturnringe um die Erde winden. Im dazugehörigen Editorial wird naturgemäß die "zunehmende Verteufelung des Autos" zunehmend verteufelt.

Es vergeht derzeit kaum ein Tag, an dem nicht irgendein leicht stammelnder Vertreter der deutschen Automobilindustrie vor Mikrofonen und Kameras nach Antworten sucht auf die Frage, warum man denn eigentlich noch seine Autos kaufen solle. Früher hätte der Hinweis genügt, man könne mit dem neuen Siebener, mit der neuen S-Klasse oder mit dem neuen A8 jetzt noch schneller, noch dynamischer und noch sportlicher dem Nachbarn davonfahren.

Das war lange Zeit ein absolut glaubhaftes Kaufargument. Und gerade Deutschland, das Land großartiger Ingenieurkunst-Autobahnen ohne Tempolimit, schien sich in eine Nation von Boxenludern und Bolidenpiloten zu verwandeln. Berichtet wurde aber auch von Touristen aus Japan, die nicht Schloss Neuschwanstein besuchen wollen - sondern nur die A9 zwischen Dreieck Holledau und Kreuz Neufahrn.

Diese Zeit ist vorbei. In Zukunft werden sich die Männer am Tresen nicht mehr PS- und Hubraum-Zahlen, sondern Nachhaltigkeitsstudien und Ökobilanzen zurufen. Der Porsche-Schlüssel bleibt verschämt im Dunkel der Sakkotasche: George Clooney und Brad Pitt fahren ja auch schon Prius. Schon bald wird man Autos sehen, die nach dem Vorbild der Zigarettenschachteln mit großen, schwarzumrandeten Aufschriften versehen sind: "Die Fahrt in diesem Auto gefährdet ihre Umwelt." Die Fahrer darin werden so traurige Dackelaugen wie ihre Smarts und Twingos haben.

Auch ein Mann wie James Bond, die bedeutendste Kunstfigur unsinniger Raserei zwischen Nassau und London, wird dann nicht mehr denkbar sein. Es ist kein Zufall, dass der neue 007-Darsteller Daniel Craig im aktuellen Bond-Film "Casino Royale" wie in einem knarzenden Bühnenstück hauptsächlich auf einem Stuhl beim Poker rumhängt. Frühere Bonds absolvierten die Mindest-Mobilität - Jagd im Aston Martin, U-Boot-Tauchfahrt, Sprung aus einem Flugzeug, Weiterfahrt im Panzer, Umstieg aufs Rennboot - innerhalb der ersten Viertelstunde.

Die Entschleunigung der Zukunft

Die Künste werden verarmen: Der Pop wird nie mehr Songs wie jenen von Janis Joplin hervorbringen ("Oh lord won't you buy me a Mercedes Benz / My friends all drive Porsches, I must make amends"). Die Literatur wird sich nie mehr Gestalten als personifizierte Gegenkulturen ausdenken. Wie etwa jenen Dandy, der seine Schildkröte ausführt, um sein snobistisches Verharren zu feiern. Und die Medizin wird sich kaum fragen, ob Autos Orte unmoralischer Orgiastik sind. Der Medizinalrat Dr. Nacke ist einst sogar in die Geschichte der Geschwindigkeitsforschung eingegangen, indem er Jungfrauen davor gewarnt hat, sich in "selbstfahrende Kutschen" zu begeben. Das schnelle Fahren, so Nacke, sei eine "unnatürliche Form der Trunkenheit", die wegen der Erschütterungen zu "sinnlicher Enthemmung" führe.

Die Entschleunigung der Zukunft wird unsere Welt besser machen. Aber nach all den Jahren der Trunkenheit werden wir uns fühlen wie nach einem Akt sinnlicher Enthemmung auf dem Rücksitz eines unbequemen Kleinwagens.

© SZ vom 9.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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