Telematik:App in die Zukunft

Navigationssysteme mit Echtzeit-Informationen, Musik aus dem Internet oder Facebook - die Autohersteller liefern sich einen Wettstreit in Sachen Internet.

Joachim Becker

Der Kampf um das Auto als dem letzten weißen Flecken im Internet ist voll entbrannt. "Immer mehr Menschen wollen in ihrer Freizeit jederzeit vernetzt sein, auch im Auto", erklärt Peter Häußermann, Leiter Elektrik/Elektronik und Telematik bei Daimler. Die Zukunft gehört den mobilen, lokal basierten und personalisierten Datendiensten.

Telematik Navigationssystem

Schnelle Post: Vor Staus soll zukünftig in Echtzeit gewarnt werden.

Die Frage ist nur, wer den direkten Zugang zum Kunden hat und wer als trendige (Online-)Marke wahrgenommen wird. Viele Autohersteller wollen die Hoheit über ihre ertragreichen Infotainment-Plattformen behalten. Statt wie Ford und Fiat Lizenzen an große Datenlieferanten wie Microsoft zu zahlen, entwickeln sie viele Online-Funktionalitäten möglichst in Eigenregie. Dabei nehmen sie sogar den zeitlichen Vorsprung der (Internet-)Wettbewerber in Kauf.

Erst seit kurzem helfen Audi und BMW beispielsweise ihren Navigationssystemen mit Echtzeit-Verkehrsinformationen auf die Sprünge, Mercedes und VW werden bis 2013 nachziehen. Einige mobile Navigationsgeräte und Mobiltelefone mit entsprechenden Programmen greifen bereits seit drei Jahren auf Verkehrsflussdaten zurück, die wesentlich aktueller sind als der TMC-Dienst der Radiosender.

Der Trick dabei sind Ortungssignale, die Mobiltelefone in Autos ohnehin an ihren Netzanbieter funken. Werden diese Daten zusammen mit anderen Verkehrsinformationen ausgewertet, lassen sich Fahrgeschwindigkeit und Verkehrsdichte berechnen. Bei Googles Kartendienst Maps werden die Karten bereits kostenlos je nach Verkehrsfluss farblich markiert.

Mit den Echtzeit-Informationen lassen sich im Auto nicht nur die Navigation, sondern eine Vielzahl zusätzlicher Dienste aufpeppen. Entsprechende Apps auf dem Mobiltelefon sind schick, verrückt, ständig neu und kosten in der Regel höchstens ein paar Euro. Wo halten sich beispielsweise meine Facebook-Freunde gerade auf - und wie komme ich direkt zu ihnen?

Auch wenn sich Generationen von Autofahrern als Einzelkämpfer durch den Verkehr geschlagen haben, sind soziale Netzwerke jetzt der letzte Schrei. Apps wie Facebook und Google Street View sind von November an als Comand Online auch für die meisten Mercedes-Modelle erhältlich. Mittelfristig sollen zwölf weitere Programme wie Twitter oder Internet-Musikanbieter integriert werden.

Entwickler als Zensurbehörde

"Mein persönliches Ziel wären 1000 Apps bis zum Jahr 2015. Aber das wird trotz einer Gruppe von 50 Entwicklern wohl nicht darstellbar sein", bedauert Bharat Balasubramanian, Leiter Produktinnovationen bei Daimler. Aus Sicherheitsgründen schaltet Mercedes zwischen den Facebook-Server und das Fahrzeug einen eigenen Backend-Server. Dadurch werden nicht nur Schadprogramme, sondern auch Werbe-Banner abgefangen. Im Gegenzug muss Mercedes Lizenzgebühren für Dienste zahlen, die ansonsten kostenlos sind.

BMW hatte bereits auf der IAA 2009 das Konzept eines App-Stores gezeigt. Das bislang eifersüchtig gehütete Bordsystem wurde bei Mini im vergangenen Jahr erstmals zur (teilweise) offenen Kommunikationsplattform: "Wir wollen beim Thema ConnectedDrive auch in Zukunft an der Spitze bleiben. Deshalb haben wir neben den bereits bestehenden AppCentern in München und Mountain View, Kalifornien, ein neues BMW Group ConnectedDrive Lab in Shanghai gegründet", berichtet Entwicklungsvorstand Klaus Draeger, "die Kollegen dort entwickeln bereits die ersten Apps speziell für den asiatischen Markt."

Die Kapazitätserweiterung in der App-Fabrik zeigt den großen Stellenwert der Fremd-Software. Doch ungefiltert kommen die Applikationen auch bei BMW und Mini nicht ins Auto. Wie eine Zensurbehörde achten die Entwickler sehr darauf, dass die Inhalte den Fahrer nicht zu sehr ablenken oder gar Unfug mit dem Bordnetz treiben. Die Überarbeitung aktueller Apps für den Einsatz im Automobil wird aus diesem Grund jeweils einige Monate dauern.

Von der nächsten Golf-Generation an sollen Apps 2013 erstmals für die Brot-und-Butter-Autos des Volkswagen-Konzerns verfügbar sein. Im gleichen Jahr werden die ersten deutschen Automobilhersteller auch den offenen Mirror-Link-Standard einführen, den sie mit führenden Handyherstellern - ausgenommen Apple - definiert haben. Neue Mobiltelefone werden dann über eine einheitliche Schnittstelle verfügen, die sich leichter mit den Fahrzeugen versteht. Dann können Apps vom Handy per Bluetooth in das Infotainmentsystem geladen und dort bedient werden.

Das Digitalradio DAB+, das auf der IAA gerade als Radio der Zukunft präsentiert wurde, entpuppt sich angesichts der neuen Handy-Integration dagegen als teure und vor allem nutzlose Fehlentwicklung. Da immer mehr Autofahrer über internetfähige Smartphones verfügen, werden sie sich wohl nicht parallel auch noch ein vergleichsweise teures Digitalradio für die Datenübertragung anschaffen.

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