Technikdenkmal:Eine Ampel auf dem Meer 

LETZTE GÄSTE AUF LEUCHTTURM ROTER SAND

Der Leuchtturm "Roter Sand" wurde im November 1885 ein Betrieb genommen. Acht Jahrzehnte lang wies er Schiffsführern den Weg.

(Foto: DPA)

Eines der bekanntesten Wahrzeichen an der Nordseeküste, der Leuchtturm "Roter Sand" in der Deutschen Bucht, muss saniert werden. Die Frage ist nur: Wie?

Von Janet Binder/dpa

Eine der einsamsten Herbergen in Deutschland liegt mitten in der Nordsee: der Leuchtturm Roter Sand. Viele Menschen träumen davon, ihn zu besuchen. "Die Nachfrage ist groß", sagt Rolf Pilz, der Vorsitzende des Fördervereins, der sich für den Erhalt des traditionsreichen Leuchtfeuers einsetzt. In den Kojen des berühmten Wahrzeichens ist Platz für sechs Abenteuerlustige. Doch in diesem Jahr bleiben die Betten wieder leer. Und das hat - anders als in vielen anderen Bereichen - nichts mit Corona zu tun.

Zuletzt fuhr 2018 das Spezialschiff Lev Taifun Tages- und Übernachtungsgäste zu dem Leuchtturm. Die verantwortliche Reederei kündigte an, nach dem vergangenen Jahr auch in diesem Sommer die Fahrten auszusetzen - selbst wenn sie in Corona-Zeiten erlaubt wären. Die Lev Taifun werde für lukrativere Aufträge im Offshore-Bereich benötigt, sagt Thomas Mertz von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Sie trägt zusammen mit der Reederei, der Bremerhaven Touristik und dem Förderverein dafür Sorge, dass das maritime Bauwerk trotz seiner Lage von der Öffentlichkeit besucht werden kann.

135 Jahre ist der Leuchtturm alt, errichtet wurde das markante Bauwerk in den 1880er Jahren. Rund zweieinhalb Stunden dauert eine Fahrt von Bremerhaven zum Leuchtturm. Wirtschaftlich sei das touristische Angebot ein Nullsummenspiel, sagt Mertz. Aufgrund von EU-Verordnungen dürfe auf den Törns lediglich ein Dutzend Passagiere transportiert werden. "Sonst müsste das Schiff nach den Sicherheitsstandards von Kreuzfahrtschiffen ausgestattet sein", sagt Pilz.

Der 74-Jährige weiß um die Faszination des mehr als 50 Meter hohen Leuchtturms mit seinem markanten rot-weißen Anstrich: "Es ist ein einmaliges, geschichtsträchtiges Bauwerk." Man könne dort Ruhe genießen, den Schiffsverkehr beobachten, bei klarem Wetter bis Helgoland und Bremerhaven sehen und abends bei einer Tasse Tee im Laternenhaus sitzen und "palavern". Er selbst war in den vergangenen 19 Jahren nach eigenen Schätzungen 20 bis 30 Mal auf dem Leuchtturm.

Die ausbleibenden Touristen-Törns haben auch Folgen für den Zustand des Bauwerks. Denn mit an Bord waren stets ein, zwei handwerklich begabte Ehrenamtliche des Fördervereins. "Wir wollten im Herbst 2019 eigentlich notwendige Reparaturen machen", sagt Pilz, "das hat nicht geklappt." Wann das nächste Mal Ausbesserungen gemacht werden könnten, sei ungewiss. Zum Anlegen am Leuchtturm werde ein Spezialschiff wie die Lev Taifun benötigt. Ein solches nach herkömmlichen Tarifen zu chartern, sei zu teuer.

Mit kleineren Arbeiten ist dem Turm langfristig allerdings sowieso nicht geholfen: Das Wahrzeichen muss von Grund auf saniert werden. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz will spätestens in zwei Monaten ein Konzept zum Erhalt des Bauwerks vorstellen. Denn die immer häufigeren Sturmfluten und der steigende Meeresspiegel bedrohten auf lange Sicht die Substanz des maritimen Denkmals, sagt Mertz. "Die letzten umfangreichen Arbeiten wurden vor über 30 Jahren gemacht." Wie viel die Sanierung koste, hänge davon ab, welches Konzept umgesetzt werde. "Es gibt verschiedene Szenarien", sagt Mertz. Sicher sei nur, dass es teuer werde.

1987 war der Leuchtturm auf spektakuläre Weise gerettet worden: Das Bauwerk drohte einzustürzen, weil sein Fundament marode war. Um das zu verhindern, wurde ein 15 Meter hoher Stahlmantel über den Turm gestülpt und unter Wasser um den zerstörten Fuß gesetzt. Anschließend wurde der Zwischenraum zwischen Manschette und Fundament mit Beton gefüllt. Seitdem steht der Turm wieder fest, doch die Korrosionsschäden werden immer mehr: "Das Bauwerk ist stark der Witterung ausgesetzt", sagt Mertz. "Es steht ja völlig frei im Meer. Das hinterlässt seine Spuren."

Der Leuchtturm Roter Sand gilt als erstes Offshore-Bauwerk der Welt: Am 1. November 1885 erstrahlte das Seefeuer zum ersten Mal, es wies acht Jahrzehnte Schiffsführern den Weg. Drei Leuchtturmwärter lebten zeitgleich dort, sie wurden alle acht Wochen gegen ein neues Trio ausgetauscht. Von 1964 an wurde das Seezeichen nicht mehr benötigt, seit 1982 steht es unter Denkmalschutz. 2010 erhielt es den Titel "Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland".

Seit der Rettungsaktion 1987 flossen rund eine Million Euro aus Mitteln der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und einer von ihr verwalteten Treuhandstiftung sowie aus Spenden in die Instandhaltung. So braucht der Turm etwa alle paar Jahre einen neuen Anstrich.

Wie es nun in Zeiten des Coronavirus mit dem Leuchtturm weitergeht, vermag Pilz nicht zu sagen. "Ob wir öffentliches Geld für die notwendige Sanierung bekommen, muss abgewartet werden", sagt der ehemalige Marinesoldat. Falls kein Geld zur Verfügung gestellt werde könne, mag er sich die Folgen für das Bauwerk gar nicht ausmalen.

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