Tachos von morgen:Am Puls des Jahrhunderts

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Der Opel Monza Concept

(Foto: STG)

111 Jahre auf der Uhr: Aus dem ersten Tachometer wurden bis zur Gegenwart Multimedia-Zentralen hinter dem Lenkrad. Und die Cockpit-Displays wachsen weiter. Doch wie werden die Fahrerinformationen in Zukunft dargestellt?

Von Joachim Becker

Mode, Marotte, Eintagsfliege? Als das Auto laufen lernte, gehörten Spott und Skepsis zu seinen engsten Begleitern. Kaiser Wilhelm II. war nicht der Einzige, der die Knatterkisten belächelte. 1903 ließ er sich die zehnminütige Startprozedur eines Mercedes Simplex ("Der Einfache") vorführen. "Ja wunderschön, Ihr Motor! Aber, na ganz so simplex ist er ja auch wieder nicht", witzelte der Monarch und trat nach: "Das Auto hat keine Zukunft. Ich setze auf das Pferd." Damals war es einfacher, ein Pferd zu reiten, als die Klaviatur der Mensch-Maschine-Schnittstellen zu bespielen.

Der Spagat zwischen Anlasserkurbel, manueller Zündverstellung und der gar nicht automatischen Gemisch-Regulation erforderte Kraft, Geduld und technisches Fingerspitzengefühl - bevor der erste Meter zurückgelegt war. Selbst der Erfinder des schnell laufenden Benzinmotors hatte daher wenig Hoffnung auf eine Mobilisierung der Massen: "Die Zahl der Automobile wird eine Million nicht überschreiten - allein schon aus Mangel an verfügbaren Chauffeuren", prophezeite Gottlieb Daimler.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schien das Fahren ohne Chauffeur kaum denkbar, weil der Mann am Steuer auch erster Bordingenieur und Mechaniker war. Außerdem ging es nicht vorrangig um Komfort, sondern oft genug um prestigeträchtige Geschwindigkeitsrekorde. Ein Jahr ohne neue Höchstleistungen stellte deshalb das ganze Projekt des Fortschritts auf vier Rädern infrage: "Dass das Automobil praktisch die Grenzen der Entwicklung erreicht hat, wird dadurch deutlich, dass im vergangenen Jahr keine Verbesserungen radikaler Art eingeführt wurden", beklagte das US-Magazin Scientific American im Jahr 1909. Doch die eigentliche Entwicklungs- und vor allem Spaßbremse war der hohe Regelaufwand: Bedienerfreundlichkeit - diese Idee kam den tollkühnen Erfindern in ihren stinkenden Kisten ebenso wenig wie den Software-Programmierern zu Beginn des Computerzeitalters.

Der sechste Sinn des Fahrers

Seinen Durchbruch erlebte das Auto dann als Gefährt für Selbstfahrer. Erst die Kombination von individuellem Komfort und intuitiver Bedienung machte es als stetigen Begleiter attraktiv. Vor 111 Jahren veränderten zwei Erfindungen das Zusammenspiel von Mensch und Maschine - zwar nur langsam, aber nachhaltig: Robert Bosch meldete 1902 die Zündkerze zum Patent an. Mit den schnellen blauen Funken konnten Fahrzeugmotoren nicht nur deutlich höhere Drehzahlen erreichen. Zusammen mit Lichtmaschine, Scheinwerfer und Reglerschalter brachte Bosch elf Jahre später auch das erste elektrische Bordnetz auf den Weg. Der elektrische Anlasser machte das schweißtreibende Ankurbeln überflüssig und erlaubte den Motorstart vom Fahrersitz aus. Gleichzeitig mit der ersten Zündkerze ließ sich Otto Schulze den Wirbelstrom-Tachometer patentieren: Die Geschwindigkeitsanzeige wurde zum sechsten Sinn des Fahrers.

Wie schlecht Menschen die Geschwindigkeit einschätzen können, zeigte schon der erste protokollierte Fußgängerunfall mit einem Auto 1896 in London. Augenzeugen beklagten das "rücksichtslose Tempo, fast wie ein Feuerwehrwagen". Der Fahrer war mit einem Modell der Anglo French Motor Car Company unterwegs, das maximal 4 m/ph, also etwa 6,4 km/h schnell war. Auf dem Kutschbock des Eisenwagens vermittelte bloß der Fahrtwind ein Gefühl für die Geschwindigkeit. Deshalb versuchten die Behörden, der Raserei schon bald mit Tempobegrenzungen und ­messungen Einhalt zu gebieten. Autofahrer waren bereits damals gut beraten, sich einen soliden Messing-Tacho anbringen zu lassen. Serienmäßig wurden Autos noch lange nicht mit dieser neumodischen Form der Fahrerinformation ausgestattet. Erst allmählich verwandelte sich die Hebel- und Knopfbatterie rund um das Lenkrad in ein übersichtliches Armaturenbrett.

Runde Einheitsuhr für den Käferfahrer

Tempo, Tempo, Tempo: Wegbereiter des modernen Cockpits waren die populären Rennwagen. Im Zentrum stand der Tacho mit immer weiter reichenden Skalen. Eine Fülle von Kontrollinstrumenten ließ den Fahrer auch im Alltag von Geschwindigkeitsrekorden träumen. Entsprechende Instrumentenkombis mit Tacho, Tankuhr, Drehzahlmesser und Öltemperaturanzeige wurden von VDO schon Ende der 20er-Jahre angeboten, blieben aber lange Zeit der automobilen Oberklasse vorbehalten. Der gemeine Käferfahrer hatte sich mit der runden Einheitsuhr zu bescheiden - mit integrierter Anzeige für den Kraftstoffvorrat und Kontrollleuchten für Licht sowie Blinker. Der harte Metronom-Takt des Richtungsanzeigers gehört heute genauso zum Inventar der Kindheitserinnerungen wie der Wasserstandsanzeiger des Walzentachos in einer Mercedes-Heckflosse.

Nicht nur für staunende Kinderaugen prägte der Solitär hinter dem Lenkrad das Fahrgefühl: Die Flugzeug- oder gar Raumschiffoptik war in den 70er- und 80er-Jahren nicht nur bei Citroën en vogue. Orange leuchtende Digitaltachos mit Riesenziffern galten genauso als Inbegriff des Fortschritts wie die ersten rot glühenden Leuchtdioden Anfang der Neunzigerjahre.

Wie billige Radiowecker

Bereits in den Fünfzigerjahren hatten elektrische Messwerke die starre Tachowelle verdrängt. Sogenannte Hutzen hielten wie Schirmmützen zu viel Tageslicht fern, während Glühlampen im Geräteinnern für ein schummriges Nachtlicht sorgten. Schatten, mäßige Kontraste und geringe Brillanz waren der Tribut an die indirekte Beleuchtung. Eine Alternative boten ab 1986 die ersten digitalen Kombi-Instrumente im Golf II GTI oder Opel Senator. Ihre LCD-Anzeigen mit Balkendiagrammen und -ziffern leuchteten zwar konturenscharf in Grün oder Gelb. Dafür waren die Displays nicht völlig schwarz, sondern schimmerten bei ausgeschalteter Zündung wie billige Radiowecker mit einem Grün- oder Gelbstich. Nach solchen modernistischen Eskapaden kehrten die Hersteller bald zu klassischen Rundinstrumenten zurück - als ob im Hintergrund weiter Wellenantriebe und Zahnräder laufen würden.

Der Retrolook geht heute so weit, dass Chromringe auf Display-Flächen geklebt werden, um eine elegante Chronometer-Optik zu simulieren. Im BMW Siebener ist bei ausgeschalteter Zündung zunächst nur eine matt schwarze Fläche mit den silbernen Einfassungen zu sehen. Wird der Startknopf gedrückt, leuchten Tankanzeige, Tacho, Drehzahlmesser und Öltemperaturanzeige in den Chromringen auf. In verschiedenen Fahrmodi wie Eco oder Sport kann dieses "Black Panel" seine Farbe und Anmutung wechseln. Solche großformatigen und hochauflösenden Info-Displays sind in der Lage, alle möglichen fahr- und sicherheitsrelevanten Informationen anzuzeigen. In der neuen Mercedes S-Klasse fahren die gewohnten Cockpitanzeigen beispielsweise wie ein Bühnenvorhang zur Seite, um Warnmeldungen und Live-Videos des Nachtsichtgeräts direkt vor die Augen des Fahrers zu rücken.

Der Opel Monza Concept treibt den Fortschritt ins Extrem

Dem Größenwachstum der Anzeigebildschirme scheint - analog zur Unterhaltungselektronik - kaum eine Grenze gesetzt zu sein. Wer auf Automessen auffallen will, muss die beiden 12,7-Zoll-Bildschirme in der Mercedes S-Klasse überbieten. Mit dem Monza Concept hat Opel auf der IAA den Fortschritt ins Extrem getrieben. Die Rüsselsheimer statteten ihre Zukunftsstudie mit einer digitalen Instrumententafel aus, die von Tür zu Tür als Projektionsfläche genutzt wird. Insgesamt 18 LED-Projektoren entwerfen ein durchgängiges, anpassungsfähiges Multifunktionsdisplay, das der Fahrer ganz nach Anforderungen oder Geschmack personalisieren kann. Gesteuert werden die Fahrzeug- und Fahrerinformationen über Internet- und Kommunikationsoptionen per Lenkradtasten, Sprachbefehl, Fingertipp oder potenziell auch per Geste. "Ich denke, das erste Auto mit so einem Bedien- und Infotainmentsystem ist gar nicht mehr so weit weg. In zehn Jahren könnte es so weit sein", schätzt Opel-Designer Boris Jacob.

Die Flut von Knöpfen und Kleinanzeigen rund um das Lenkrad gehört damit der Vergangenheit an - nicht aber das Problem der Ablenkung von der Fahraufgabe. Solange sich die Maschine nicht selbst steuern kann, dürfen die Anzeigen nicht zu viel Aufmerksamkeit beanspruchen. Der Boom von Displays im Fahrzeug hat zudem einen Gewöhnungseffekt: Bisher waren große, hochauflösende und automobiltaugliche Bildschirme teuer. Mit dem Preis sinkt auch der Prestigewert. In wenigen Jahren werden Großbildschirme zum Standard in allen Fahrzeugklassen gehören. Wie bei teuren Uhren dürfte nach dem Digital-Boom eine Besinnung auf klassische Instrumente einsetzen - während viele Anzeigen auf die Scheibe projiziert werden.

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