SZ-Serie Nahverkehr weltweit:Die Wiener "Öffis" kosten nur einen Euro am Tag

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Vorbei an der Staatsoper: Wer in Wien oberirdisch den Nahverkehr nutzt, bekommt viel Schönes zu sehen.

(Foto: imago/Westend61)

Der Nahverkehr in Österreichs Hauptstadt ist vorbildhaft. Die Verkehrsbetriebe tun viel dafür, dass das so bleibt.

Von Peter Münch, Wien

Um Wien von seinen schönsten Seiten kennenzulernen, kann man eine Fiakerfahrt buchen. Gemächlich geht es mit der Kutsche durch die Stadt, und im Takt der Pferdehufe wird abgerechnet. 40 Minuten, das macht 80 Euro. Man kann sich aber auch für 2,40 Euro eine Fahrkarte für die Straßenbahnlinie D kaufen und auf der ebenfalls gemächlichen Fahrt die Schönheiten der Metropole genießen. Der "D-Wagen" nämlich passiert vom Hauptbahnhof aus das Schloss Belvedere und den Karlsplatz, er zuckelt über die Ringstraße vorbei an Oper, Hofburg, Rathaus und Burgtheater. Schöner als mit der "Bim", wie die Wiener ihre Straßenbahn nennen, geht's kaum.

Die Fahrt mit der Linie D ist die wohl prächtigste Strecke im Wiener Nahverkehr. Doch im Netzplan ist sie natürlich nur eine von vielen: Insgesamt 29 Straßenbahnlinien fahren durch die Stadt und bedienen 1067 Haltestellen. Fünf U-Bahn-Linien befördern die Passagiere zu 104 Stationen. Und die Busse steuern auf 127 Linien 4221 Haltestellen an. Insgesamt fahren die Verkehrsmittel der "Wiener Linien" täglich ungefähr fünf Mal um die Erde, zusammengenommen 210 000 Kilometer. Und das Erstaunlichste: Fast immer funktioniert das reibungslos.

Welche Logistik dahinter steckt, lässt sich in der Zentralen Leitstelle der U-Bahn beobachten: Im Halbrund sitzen die Mitarbeiter vor riesigen Monitoren, die Stromversorgung haben sie im Blick und jede einzelne der fünf U-Bahn-Linien. "Wenn es blinkt, muss es nicht immer schlimm sein", sagt Oliver Taschner, der Teamleiter, "doch wenn ein akustischer Alarm ertönt, dann geht das durch und durch."

Geachtet wird hier darauf, dass der Takt eingehalten wird - in Stoßzeiten fährt alle drei Minuten ein Zug, sonst alle fünf Minuten. Bei Pannen und Störungen greifen die Stellwerkswärter ein, informieren die nachfolgenden Fahrer, organisieren Umleitungen. "Kein Tag ist gleich", sagt Taschner, "jeden Tag gibt es eine andere Störung, langweilig wird es einem nie." Damit daraus aber niemand eine Pleiten-, Pech- und Pannenserie ableitet, weist Unternehmenssprecher Daniel Amann von den Wiener Linien gleich noch darauf hin, "dass wir eine Zuverlässigkeitsstatistik von 99 Komma irgendwas Prozent haben".

2,6 Millionen Fahrgäste am Tag

Eh klar, sagt der Wiener. Denn die knapp zwei Millionen Stadtbewohner pflegen ein ausgeprägtes Naheverhältnis zum öffentlichen Nahverkehr. "Öffis" nennen sie die Busse und Bahnen, das klingt liebevoller als zum Beispiel in München der "Emmvauvau". Im Gegenzug revanchieren sich die Wiener Linien mit dem Werbespruch: "Die Stadt gehört Dir". Das stimmt natürlich nur in den allerwenigsten, oligarchenartigen Fällen, und solche Leute fahren eher nicht mit Bus oder Bahn. Aber der wahre Kern ist, dass die "Öffis" die Eroberung oder auch nur Bewältigung der Stadt sehr leicht machen.

Zu schätzen wissen das täglich im Durchschnitt 2,6 Millionen Fahrgäste. Aufs Jahr gerechnet geht das fast an die Milliardengrenze. Gegenüber 1995 ist dies eine Steigerung um ein Drittel. Aber die Vergleichszahl liegt ja auch noch im vorigen Jahrhundert, dem Jahrhundert des ungebremsten Autoverkehrs. Mittlerweile haben in Wien die öffentlichen Verkehrsmittel das Auto überholt: 39 Prozent der Wege werden mit Bus oder Bahn zurückgelegt, mit dem Auto sind es nur noch 27 Prozent. Aufs Fahrrad entfallen dank gut ausgebauter Radwege gleichfalls 7 Prozent. Der Rest geht zu Fuß (27 Prozent).

Das Jahresticket kostet nur 365 Euro

Wesentlich beigetragen zum Anstieg der Fahrgastzahlen hat eine Maßnahme der rot-grünen Stadtregierung, die in Europa einzigartig ist: Das Jahresticket für das gesamte Netz kostet nur 365 Euro. Ein Euro pro Tag. Da lohnt sich selbst das Schwarzfahren kaum, das allerdings auch relativ drakonisch sanktioniert wird: mit einem Bußgeld von 105 Euro. Mittlerweile nutzen 760 000 Wiener das Jahresticket. Doppelt so viele sind das wie vor der Einführung des Angebots 2012. "Das ist ein unfassbarer Erfolg", meint Amann. Nebenher sorgt Rot-Grün allerdings auch noch dafür, dass das Autofahren weniger Freude macht, vor allem wegen der Parkplatzsuche. In den Innenstadtbezirken sind flächendeckend nur noch sündhaft teure Kurzparkzonen ausgewiesen.

Auf abgeschreckte Autofahrer allein wollen sich die Wiener Linien bei ihren Wachstumsplänen aber nicht verlassen. "Es gibt laufend neue Ausbauvorhaben", sagt Amann. Im Blick halten müssen die Planer dabei immer, dass Wien nach graueren Jahren der Abwanderung inzwischen sehr schnell wächst: derzeit um 30 000 Bewohner pro Jahr. Bis 2026 soll deshalb eine neue U-Bahn-Strecke fertig sein. U 5 wird sie heißen und die bisherige Lücke zwischen den Linien 4 und 6 schließen. Daneben werden noch andere Strecken verlängert, Züge modernisiert und die Elektromobilität verstärkt. Zwei Linien sollen bald schon komplett mit Elektrobussen bedient werden. All das kostet viel Geld, das allein durch den Ticketverkauf in Höhe von 500 Millionen Euro pro Jahr nicht gedeckt werden kann. Mehr als 700 Millionen Euro schießen deshalb Stadt und Bund jährlich zu.

"Im Großen und Ganzen sind die Leute mit uns zufrieden"

Die Kundenzufriedenheit wird regelmäßig in Umfragen erfasst, und natürlich wäre Wien nicht Wien, wenn keiner mosern würde. "Im Großen und Ganzen aber sind die Leute mit uns zufrieden", meint Amann. Neu aufgebaut wurde gerade ein eigener Sicherheitsdienst, auch das war ein Kundenwunsch. Zur Durchsetzung der Regeln und der Ordnung will man aber nicht nur auf Uniformen setzen, sondern auch auf Appelle - wenn es sein muss auch gern drastisch formuliert. "Sie kotzt es an" stand kürzlich auf Plakaten, die zur Rücksichtnahme in den öffentlichen Verkehrsmitteln aufforderten. Verboten ist dort der Alkoholkonsum, ungern gesehen der von Ausdünstungen begleitete Verzehr von Döner, Pizza oder Burger. Und auch das laute Telefonieren verstößt in Wien, welch Glück, noch gegen die guten Sitten.

Verstärkt gehalten wird der Kontakt zum Kunden über die sozialen Medien. Auf Facebook folgen den Wiener Linien mehr als 84 000 Menschen, auf Twitter sind es 18 000. Sie werden in Echtzeit informiert, wenn irgendwo eine Störung auftaucht oder Verspätung droht. Umgekehrt melden die Facebook- und Twitter-Nutzer aber auch, wenn ihnen etwas auffällt - verschmutzte Züge zum Beispiel. Dann rückt vom Leitwerk aus gesteuert ein Reinigungstrupp aus.

Der Nahverkehr gehört zur Lebensqualität in Wien. Ein Auto braucht hier nur, wer raus will aus der Stadt, zum Wandern beispielsweise. Doch selbst das lässt sich oft schon mit öffentlichen Verkehrsmitteln machen. Der D-Wagen nämlich, der die Prachtstrecke auf dem Ring bedient, fährt bis Nußdorf. Wer dort aussteigt, kann gleich einsteigen in den Beethoven-Weg. Der führt per Pedes durch die Weinberge, mit reichlich Möglichkeiten zur Einkehr. Hier und da ein Achtel Wein kann ja nicht schaden, wenn man wieder mit der Straßenbahn zurückfährt.

Die SZ berichtet in dieser Serie über den Nahverkehr in den Metropolen der Welt. Alle Folgen finden sich unter www.sz.de/nahverkehr.

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