Die Wiener Hofburg im Belagerungszustand: "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsere Zukunft klaut", skandierten Schüler am vergangenen Freitag auf dem Heldenplatz. Drinnen tagten die alten weißen Männer mit ihren Verbrennungsmotoren. Fragt sich nur, wo mehr Klimaschützer versammelt waren: Auf dem Wiener Motorensymposium redeten über tausend Entwickler und Topmanager über Dekarbonisierung - also über Mobilität ohne fossile Kraftstoffe. Muss sich " Fridays for Future" ein neues Feindbild suchen?
So bald wohl nicht, der Verkehrssektor bleibt der drittgrößte Erzeuger von Treibhausgasen in Deutschland. Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, dessen CO₂-Ausstoß bis 2030 um mindestens 40 Prozent zu verringern (gegenüber 1990). Statt zu sinken, steigt die Belastung jedoch: Bis zum Klimaschutzziel in Höhe von knapp 100 Millionen Tonnen CO₂ klafft eine Riesenlücke. Mit den bisher beschlossenen Maßnahmen liege das Ergebnis im Verkehrssektor voraussichtlich um gut 50 Millionen Tonnen CO₂ über dem Ziel für 2030. Das hat die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) in ihrem Zwischenbericht vom März dieses Jahres errechnet. Die von der Bundesregierung eingesetzte Expertengruppe fordert ein energisches Umsteuern. Selbst ein Bestand von zehn Millionen (teil-)elektrifizierter Pkw im Jahr 2030 bringe nur eine Minderung um 13 Millionen Tonnen CO₂.
SOS Verkehrswende! Es ist das eine, den klimaneutralen Verkehr zu fordern - und etwas anderes, eine Traditionsbranche umzubauen, an der gut vier Millionen Arbeitsplätze und laut NPM elf Prozent der Wertschöpfung in Deutschland hängen. Es geht also auch um das Geschäftsklima. Bei der Transformation gäbe es "eine gewisse Reibungswärme", spottete Andreas Tostmann, Mitglied des Volkswagen-Markenvorstands auf dem Kongresspodium. Der weltgrößte Autohersteller setzt 30 Milliarden Euro auf die Elektromobilität und fordert eine rasche batterie-elektrische Mobilitätswende. Tostmann verwies auf das Pariser Klimaabkommen sowie die Schülerproteste und forderte ein breites Fundament von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, um den Klimawandel zu stoppen. Doch nicht alle Mitglieder des mächtigen deutschen Automobilverbands VDA glauben an einen schnellen Erfolg der Elektromobilität. Zumal niemand mit den Stromern Geld verdient. Auch Tesla hält sich nur mit rigiden Sparprogrammen notdürftig über Wasser.
Bosch-Chef Volkmar Denner hatte als Auftaktredner vor zu hohen Erwartungen gewarnt. Aus Sicht des weltgrößten Automobilzulieferers und Entwicklungsdienstleisters werde bis zum Jahr 2030 nur jedes vierte Neufahrzeug rein elektrisch fahren. Der Verbrenner bleibe ein wichtiger Teil des Antriebsmixes und werde zunehmend hybridisiert, glaubt Denner. Auch Kongressleiter Bernhard Geringer plädierte wie viele andere Redner für Technologie-Offenheit: Der Kunde möge beim Antrieb der Zukunft entscheiden: "Alle Antriebsformen müssen weiterentwickelt werden. Die nächsten zehn Jahre werden zeigen, was sich durchsetzt."
Das klingt plausibel, hat aber schon bisher nicht funktioniert und hilft dem Verbrenner mehr als dem Klima. Seit Jahrzehnten profitiert Dieselkraftstoff von einem massiven Steuererbonus in Deutschland. Auch deshalb wurde der Ölbrenner zur Leittechnologie der hiesigen Autoindustrie. Der Wiener Kongress hat davon kräftig profitiert und die Fortschritte unter schweren Kristalllüstern alle Jahre wieder zelebriert. Dass die Klimabelastung durch den Verkehr weiter stieg, ging in der allgemeinen Partystimmung unter. Damit die Verbrenner weiter im Geschäft bleiben, wurde in Wien der Ruf nach synthetischen Kraftstoffen laut. Der regenerative Sprit soll auch den CO₂-Ausstoß der Bestandsflotte von derzeit 184 Gramm pro Kilometer reduzieren.
Synthetische Kraftstoffe könnten die Zukunft des Verbrenners sichern
Feinstaubbelastung durch Verkehr:Der meiste Dreck kommt nicht aus dem Auspuff
Der größte Teil des Feinstaubs im Verkehr stammt vom Abrieb von Bremsen, Reifen und der Straße. Den verursachen alle Fahrzeuge - egal ob Diesel, Benziner oder Elektroautos.
Volkmar Denner beklagte, dass elektrisch erzeugte Kraftstoffe (E-Fuels) in der Gesetzgebung überhaupt keine Rolle spielten. "Ich sehe im Moment nur das Ziel, elektrisch zu fahren. Es ist nicht das Ziel, die gesamte CO₂-Kette zu betrachten", betonte der Bosch-Chef und fügte hinzu: "Wenn wir jetzt nicht beginnen, werden wir auch in zehn Jahren keine nennenswerten Mengen an E-Fuels haben." Es ist im Prinzip wie in den Gründerjahren der individuellen Mobilität: Bertha Benz kaufte ihr Benzin auch in der Apotheke. Heute ist nachhaltig erzeugter Flüssigkraftstoff mindestens so rar und teuer. Trotzdem soll die Party mit seiner Hilfe noch ein ganzes Weilchen weitergehen.
Der Designer-Sprit hat viele Freunde auf dem Wiener Motorensymposium. Die Mineralölindustrie zeigt dagegen wenig Interesse, großtechnische Anlagen für eine komplett neue Energiekette aufzubauen. Das liegt nicht nur am hohen Investitionsbedarf und den fehlenden Fördergeldern, sondern wesentlich an der Energieeffizienz: Basis für alle strombasierten Kraftstoffe ist die Gewinnung von Wasserstoff per Elektrolyse. Weil nur eine begrenzte Menge erneuerbaren Stroms für die Mobilität zur Verfügung steht, stecken die Energieerzeuger in einem Dilemma: Wegen der vielen Prozessschritte vom Strom zum Flüssigkraftstoff stehen am Ende laut NPM nur noch rund 13 Prozent der eingesetzten Energie am Rad zur Verfügung (well to wheel). Schuld ist auch der schlechte Wirkungsgrad des Verbrenners, der nach mehr als hundert Jahren Entwicklung immer noch zwei Drittel des Sprits mehr oder weniger ungenutzt als Abwärme verfeuert. Elektrofahrzeuge kommen hingegen auf einen Wirkungsgrad von 69 Prozent - zumindest im Sommer, wenn keine zusätzliche Heizenergie im Innenraum benötigt wird. Das ist auch deshalb relevant, weil das Ziel von 60 Prozent regenerativ erzeugtem Strom in Deutschland bis zum Jahr 2030 nur erreicht werden kann, wenn die Planung neuer Anlagen nicht (wie derzeit häufig) am Widerstand der Bürger scheitert.
Der Ökostrom ist also kostbar und er ist in Deutschland schlicht zu teuer für die großtechnische Herstellung von E-Fuels. "Durch die hohen Energieverluste bei der Herstellung strombasierter Kraftstoffe werden die Herstellungskosten deutlich über denen des fossilen Pendants liegen", prognostiziert die NPM. Die Expertengruppe sieht die Kosten von E-Fuels "in der Größenordnung von ein bis zwei Euro pro Liter ohne Steuern." Zum Vergleich: Die Weltmarktpreise von konventionellem Benzin und Diesel liegen heute bei etwa 50 Cent pro Liter vor Steuern.
Ein geschickter Schachzug der Autoindustrie, ihre Mehrkosten für die Verkehrswende auf - diplomatisch ausgedrückt - mehrere Schultern zu verteilen: Nach den Worten von Volkmar Denner fallen die großtechnischen Anlagen für E-Fuels "in das Regime der Mineralölindustrie". Sektorenkopplung würde demnach bedeuten, dass die Motorenproduktion weiter ausgelastet wäre, während der Energiesektor das wirtschaftliche Risiko für neue Kraftstoffsorten und deren Produktionsanlagen tragen müsste. Weil das derzeit kein Geschäftsmodell ist, würde die Zeche - in Form von Fördermilliarden - die Allgemeinheit zahlen.