SUV mit Elektroantrieb im Test:Tesla Model X: 2,5-Tonnen-Dragster mit Klimaproblem

Das neue Tesla Model X.

Ab in den Skiurlaub? Kälte verkürzt die Reichweite des Tesla Model X.

(Foto: Tesla)

Der Komfort ist mau, die Reichweite ein leeres Versprechen und der Innenraum bleibt kalt im Winter: Für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft müssen Fahrer eines Tesla Model X einige Opfer bringen.

Test von Joachim Becker

Ökokiste, Familienkutsche oder Supersportwagen? Dieses Auto passt in keine Schublade. Für die einen ist das Model X das erste voll familientaugliche Elektromobil, in dem man (bei aufgeklappten Fondtüren) sogar aufrecht stehen kann. Für die anderen ist der Flügeltürer eine rund 135 000 Euro teure Spielerei: Öko-Schick für die Betuchten.

Die Befürworter trifft man an Teslas Superchargern. Meist Technik-affine Männer im besten Alter, die ein Zeichen setzen wollen. Und das darf beim Tesla gerne etwas größer ausfallen. Zum Beispiel fünf Meter lang, 2,20 Meter breit und 2,5 Tonnen schwer. Das Trumm übt sich gar nicht erst in Bescheidenheit. Mit seiner XXL-Frontscheibe, die bis über die Köpfe reicht, rückt das Model X optisch an einen ICE-Triebkopf heran.

Tesla-Kunden fungieren als gutmütige Testfahrer

Die Selbstdarstellung hinter dem rollenden Schaufenster ist wichtiger als profane Kosten-Nutzen-Analysen. Das haben viele Tesla-Kunden mit den traditionellen Käufern von Luxusautos gemein. Über den eingeschränkten Gebrauchswert sehen Visionäre genauso hinweg wie über die Kinderkrankheiten. Etwa 20 000 Model X hat Tesla innerhalb eines Jahres weltweit verkauft - trotz gravierender Qualitätsprobleme. Die erschreckend lange Mängelliste hat Tesla selbst veröffentlicht, um die jüngsten Fortschritte zu feiern. Etablierte Hersteller würden für derart unausgereifte Produkte an den Pranger gestellt. Doch Tesla-Kunden fungieren erstaunlich gutmütig als Testfahrer. Hauptsache das Innovationstempo und das Image stimmen.

Soweit die Fan-Perspektive. Für weniger hartgesottene Weltverbesserer sieht die Sache etwas profaner aus. Zum Beispiel die Mär von der Langstreckentauglichkeit. Wer heute mit einem Elektromobil unterwegs ist, kommt abseits der Metropolen schnell in die Bredouille. Das ist nicht anders als bei den Auto-Pionieren vor 130 Jahren. Bertha Benz musste auf ihrer ersten Werbetour für den Motorwagen zehn Liter Reinigungsbenzin in der Apotheke kaufen. Nicht für ihre ölverschmierte Kleidung, sondern für die 106 Kilometer weite Strecke von Mannheim nach Pforzheim. Heute haben wir Autobahnen mit Tankstellen selbst für Elektrofahrzeuge. Trotzdem kommt der Münchner Testfahrer mit einer Tankfüllung ins Schwäbische, aber nicht problemlos zurück.

Geschoss mit der Stirnfläche einer Schrankwand

Ein Kostverächter ist der P90D wahrlich nicht: Auch bei weniger als Autobahnrichtgeschwindigkeit verbraucht das Model X knapp 30 Kilowattstunden auf 100 Kilometer. Oberhalb von 160 km/h kann man zuschauen, wie das Geschoss mit der Stirnfläche einer Schrankwand die Akkus leer saugt. Selbst bei mehr als 500 Kilogramm Batteriegewicht fährt die Reichweitenangst auf der Autobahn also ständig mit. Im Normzyklus wären theoretisch 467 Kilometer drin. Doch im trüben und kalten Spätherbst schrumpft dieser Schönwetterwert auf nicht einmal 300 Kilometer Schleichfahrt.

Dabei hatte der Verkäufer bei der Fahrzeugübergabe vom "ludicrous"-Modus geschwärmt. Das englische Wort für aberwitzig passt zu den Leistungsdaten: Front- und Heckmotor kommen auf 262 beziehungsweise 510 PS. Die Batterie setzt dem Treiben zwar bei 469 PS Grenzen. Im "ludicrous"-Modus kann der Tesla auch einen tieferen Schluck aus der Pulle nehmen. Aber nur kurz, sonst überhitzen die Akkus. Der Leser mag nun Beschleunigungsexzesse unterstellen. Bei Fabelwerten wie dem Spurt aus dem Stand auf 100 km/h in 3,9 Sekunden liegt dieser Verdacht nahe. Doch wie gesagt: Auf langen Strecken erzieht das E-Mobil zum Energiesparen.

Nicht überall ist ausreichend Strom zur Hand

Mit einer Haushaltssteckdose braucht man dem riesigen Batteriespeicher zwischen den Achsen nicht zu kommen. Damit lassen sich über Nacht kaum 100 Kilometer Reichweite gewinnen - wenn er fremde Verlängerungsleitungen überhaupt annimmt. In unserem Fall musste schließlich ein Einöd-Bauer aushelfen. An seinem Profi-Anschluss nuckelte sich der P90D innerhalb von sechs Stunden halb voll. Doch weit oben im zerklüfteten Hinterland von Stuttgart ist Strom ein kostbares Gut. Wie zu Zeiten von Bertha Benz kassiert das schlaue Bäuerlein Apothekerpreise: 25 Euro für 40 Kilowattstunden - gut das Doppelte des Üblichen. Kurz vor dem Melken war seine Hilfsbereitschaft ohnehin zu Ende. Der Tesla musste vom Netz, damit im Stall nicht die Lichter ausgehen.

Vielleicht hat Tesla-Gründer Elon Musk Ähnliches erlebt. Er klingt öfter wie der selige Carl Benz: "Meine ganze Leidenschaft ist auf Erfindungen gerichtet, die uns Menschen voranbringen können", schrieb Benz als 25-Jähriger an seine künftige Frau Bertha: "Selbst wenn am Ende nicht das Gelingen, sondern nur ein Scheitern stünde: Es ist mein Weg, den ich gehen muss." Benz brachte das Automobil gegen alle Widerstände ins Rollen. 130 Jahre später ist die Energieversorgung wieder ein Nadelöhr für die neue Antriebstechnik. Mittlerweile stehen 4600 Supercharger weltweit für 160 000 Tesla Fahrzeuge zur Verfügung. Die Ladesäulen sind Eckpfeiler eines sozialen Netzwerkes: Hier trifft sich die Community, um längere Distanzen zu überwinden. Selbst bei anfänglich 100 Kilowatt Ladeleistung hat man Zeit genug für gepflegtes Fachsimpeln.

Vom Verwöhn-Komfort ist das Model X weit entfernt

Was dabei kaum erwähnt wird, ist das Thema Komfort. Wer die Welt verbessern will, muss schließlich Opfer bringen. Zum Beispiel auf abgefahrenen Autobahnen: Das Model X informiert seine Passagiere detailliert über einen Waschbrett-Belag der Straße, Kanaldeckel werden mit dumpfen Schlägen quittiert. Vom Verwöhn-Komfort einer vergleichbar teuren Luxuslimousine ist auch die Klimatisierung weit entfernt: Mit seiner riesigen Glasfront wird das Model X bei Autobahntempo und Temperaturen um den Gefrierpunkt einfach nicht warm genug. Zudem schmälert selbst der schwache elektrische Zusatzheizer den Energievorrat empfindlich.

Womöglich sind die Supercharger auch deshalb so beliebt. Egal wie der Kaffee beim benachbarten Bulettenbrater schmeckt: Hauptsache, er wärmt die klammen Finger. Die kälteempfindliche Beifahrerin will nach dieser Landpartie nichts mehr von der Elektromobilität wissen. Zumindest nicht bis zum nächsten Sommer. Dabei gefällt ihr das moderne Interieur mit den frei stehenden Lounge-Stühlen durchaus. Und an das stille Dahingleiten ohne Explosionsmotor gewöhnt man sich rasch. So schnell, dass die Krawallmaschinen rings herum wie aus einer vergangenen Epoche wirken.

Insofern ist das unterkühlte Tesla-Cockpit auch eine Zeitmaschine. Nicht perfekt und noch viel zu teuer. Aber die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Dafür muss man wie gesagt Opfer bringen - und sei es ein Wochenende, an dem sich fast alles um dieses verrückte Auto gedreht hat.

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