Süddeutsche Zeitung

Supersportwagen im Vergleich:Überflieger für die Rennstrecke

Fahren im Grenzbereich, auch im finanziellen: Porsche 911 GT3 RS, Lamborghini Aventador SV und Ferrari 488 GTB sind Exoten auf den Straßen. Kein Wunder: Ihr bevorzugtes Revier ist die Rennstrecke.

Von Georg Kacher

Auf der IAA im September zündet Porsche den Turbo zwar auch im 911, doch in den GT-Modellen hat der hoch drehende Sauger langfristig eine neue Heimat gefunden. Das ist gut so, denn wer knapp 200 000 Euro für ein Automobil ausgibt, der erwartet vor allem Emotion. Emotionales Design, emotionalen Sound und emotionale Fahreigenschaften. Der auf 2000 Stück limitierte 911 GT3 RS übertrifft in allen drei Disziplinen den ebenfalls ausverkauften GT3, der statt 500 PS nur 476 PS unter der Haube hat. Für happige 45 000 Euro mehr erhält der RS-Kunde die klassische Dröhnung aus tiefer, breiter, stärker und böser. Vor allem böser: Der imposante Heckflügel nutzt die amtlich zulässige Breite und Höhe voll aus, die vorne jetzt 20 und hinten 21 Zoll großen Räder sind empfindlich wie frisch lackierte Fingernägel, der tief fliegende Frontspoiler ist der Feind aller Bodenerhebungen.

Auch innen ist der RS ganz auf Sport getrimmt. Ohne Aufpreis gibt's einen Überrollkäfig, vom 918 inspirierte Schalensitze und flächendeckend Leder oder Alcantara. Was fehlt, sind Assistenzsysteme, das Head-up-Display, adaptives LED-Licht und ein zeitgemäßes Infotainment.

Von Querbeschleunigung völlig unbeeindruckt

Entschädigt wird die Fangemeinde mit sensationellen Fahrleistungen, kurvengierigem Handling und einer Straßenlage, die mit der Querbeschleunigung völlig unbeeindruckt umgeht. Der hochgezüchtete Boxer klingt heiser und verrucht, das PDK-Getriebe schlenzt die Gänge mit viel Verve in Richtung Differenzial, die Lenkung ist eine von Traglasten und Antriebspflichten entbundene Droge mit Sofortwirkung. Das Chassis glänzt mit magischem Grip, spontaner Rückmeldung und einem mal zackig-flinken und dann wieder völlig entspannten Eigenlenkverhalten, das auch dieser Porsche unter anderem der serienmäßigen Hinterachslenkung samt Quersperre verdankt.

Die Haftung der Breitreifen lässt sich auf trockener Bahn nur mit ausgeschaltetem PSM  überwinden, der Abtrieb wurde im Vergleich zum Vorgänger glatt verdoppelt und schon die Stahlbremse hat das Talent einer soliden Lebensversicherung. Dem RS vorbehalten ist ein Tempobegrenzer für die (fiktive) Boxengasse, eine durch Ziehen beider Schaltpaddel aktivierte Auskuppel-Funktion des Getriebes (erhöht vorne die Seitenführung oder destabilisiert das Heck) und ein Leichtbau-Bonus gegenüber dem GT3 von zehn Kilo.

Auf der Rennstrecke in einer eigenen Liga

Der RS ist eine Fahrmaschine der alten Schule - laut, kernig, hart, ungeduldig, kompromisslos und sehr, sehr schnell. Die Beschleunigung von null auf 200 km/h absolviert der geflügelte Elfer in nur 10,9 Sekunden, doch mit 310 km/h ist er etwas langsamer als der schmälere und weniger wuchtig bereifte GT3.

Weil beide Varianten vergriffen sind, ist die Frage nach dem Preis-Leistungs-Verhältnis Makulatur. Während der RS auf der Rennstrecke in einer eigenen Liga spielen mag, täte es für kleine Fluchten zwischendurch - Bescheidenheit ist eine Zier - sicher auch die 476-PS-Variante. Pragmatiker mögen von den neuen Turbomotoren überzeugt sein, doch Puristen sollten vielleicht bis Ende 2016 schon auf den nächsten 911 mit Saugmotor warten, der nach dem Schnittmuster des anerkannt emotionalen Cayman GT4 entstehen soll.

Keine Turbos, keine Direkteinspritzung, kein Doppelkupplungsgetriebe und kein 48-Volt-Bordnetz. Trotzdem bringt der V12 im Lamborghini Aventador 750 PS und 690 Nm auf den Asphalt. Wie er das schafft? Mit 6,5 Liter Hubraum, einer großzügig entdrosselten Ansaug- und Abgasanlage und einem Hochdrehzahlkonzept, das erst bei 8500/min abwinkt.

Auf dem Papier unterscheidet sich der um 50 Kilo abgespeckte SV vom Grundmodell durch 50 Mehr-PS und einen Mehrpreis von 68 000 Euro. Im wirklichen Leben ist der Superveloce eine ganze Nummer anarchischer, fokussierter und aggressiver. Das unterstreicht neben dem dreifach verstellbaren Heckflügel auch die Extra-Dosis Karbon, die man den Seitenschwellern, Türtafeln, Lufteinlässen und Schalensitzen verpasst hat. Weil gleichzeitig Dämmmaterial und Verkleidungsteile entfernt wurden, arbeitet der Fahrer jetzt in einem dunklen Schacht aus Kohlefaser. Auf Teppiche, verstellbare seitliche Ansaugklappen und das Navi wurde komplett verzichtet, nicht aber auf Leichtbau-Pedale und weiträumige Alcantara-Tapezierung.

Marschflugkörper mit gewaltiger Schubkraft

Aventador fahren ist ein Fest für die Sinne. Der Anlasser versteckt sich unter einer roten Alu-Abdeckung. Ein kurzer Druck, und der V12 arbeitet schon im Leerlauf mit der markanten Zündfolge, reizt lasziv hechelnd den Gehörgang, bringt hohl wummernd den Adrenalinfluss auf Touren und Temperatur. Die Sichtverhältnisse sind, nun ja, ziemlich speziell. Nach vorne endet der SV bei den Scheibenwischern, nach hinten dient der Spoiler als Peilkante, zur Seite zeigt der Blick in die Spiegel in Wagenfarbe lackiertes Alu-Origami.

Ein kurzer Zug an der rechten Schaltsichel, die wie ein schwarzer Krummdolch hinter dem Lenkrad lauert, und das sequenzielle Getriebe stellt ruckartig den Kraftschluss her. Wir geben Gas, stemmen uns vergeblich gegen die gewaltige Schubkraft, stoßen prompt an den Begrenzer, bringen etwas zu spät den zweiten Gang ins Spiel, und dann sofort den dritten, und den vierten. Nach nur 8,6 Sekunden ist der 1525 Kilo leichte Marschflugkörper 200 km/h schnell, knapp 13 Sekunden später passiert er die 300-km/h-Marke - mit weiteren 50 km/h Luft nach oben.

Ans Limit kommt der SV nur auf der Rennstrecke

Natürlich fasziniert der Aventador vor allem durch die Emotionalität der superschnellen Fortbewegung. Bereits während der Kennenlernphase singt uns die charakteristische Saugmotor-Akustik in Ekstase: das brüllende Hochdrehen, das Zwischengas-Stakkato beim Zurückschalten im Corsa-Modus, das ungeduldige Teillast-Patschen. Wer in diesem Auto beim Start freiwillig schon bei 3000 Touren in den zweiten schaltet, den bestraft der Kampfstier mit verächtlichem Schnauben.

Um das Limit des Aventador SV auszuloten, ist ein Abstecher auf die Rennstrecke zwingend notwendig. Nur dort kann man den Zwölfzylinder auch in den großen Gängen ausdrehen, sich von den riesigen Karbon-Keramikbremsen absolut spurtreu in die Gurte wuchten lassen, das Handling bis an die Rutschgrenze genießen. Im Gegensatz zur fixen Achslastverteilung (43 zu 57 Prozent) ist die elektronisch gesteuerte Drehmomentverteilung voll variabel. Das heißt, dass im Extremfall die 20 Zoll großen Vorderräder bereits beginnen, den Wagen aus der Kurve herauszuziehen, während die hinten montierten 21-Zöller noch mit der Querkraft kämpfen - ganz großes Kopf-Kino für Italophile, denen ein Ferrari zu wenig extrovertiert ist.

Dort ersetzt der Ferrari 488 den 458. Am V8-Prinzip wird nicht gerüttelt, doch der Sauger mutiert zum Turbo und befördert den GTB  in eine andere Leistungsklasse. Trotz reduziertem Hubraum tischt der neue Ferrari eine Extraportion Leistung (plus 100 PS) und Drehmoment (plus 220 Nm) auf. Das verkürzt den Spurt aus dem Stand auf 100 km/h um vier Zehntel; in den Gängen kommt der rote Renner sogar zwischen zehn und 40 Prozent flinker zur Sache. Das liegt auch daran, dass - wie schon im California T - der Drehmomentfluss in Abhängigkeit von der Fahrstufe reguliert wird.

Obwohl der Wagen seine Kraft selbst in den unteren Gängen problemlos auf den Boden bringt und dabei jede Form von Spieltrieb befriedigt, steht der volle Punch erst im siebten zur Verfügung. Das deutlich niedrigere Drehzahlniveau und die bessere Effizienz senken den Mix-Verbrauch von 13,3 auf 11,4 Liter. Doch es kommt noch besser: Der Aufpreis zum Vorgänger beträgt erstaunlich zivile 5000 Euro. Gibt es das, ein Ferrari frei von Schwächen?

Wir nehmen Platz im bequemen Schalensitz und lassen den Blick über ein aufgeräumtes Cockpit schweifen. Das Multifunktionslenkrad mit dem integrierten LED-Drehzahlmesser verströmt Formel-1-Flair; nur die versteckten Hupentasten, die trotz Apple-Know-how rudimentäre Connectivity und die dem Einrasten abgeneigten Blinker stören. Viel Platz, ordentliche Sicht und gute Verarbeitung komplettieren das Bild.

Engagierter Carver statt kompromissloser Rennwagen

Bereits auf den ersten Metern wird klar, dass dieser Ferrari ganz anders sein will als ein 911 GT3 RS oder der in jeder Hinsicht extreme 458 Speciale. Die Gran Turismo Berlinetta ist kein kompromissloser Rennwagen, sondern ein engagierter Carver. Die Ingenieure haben ihrem jüngsten Baby nämlich nicht nur jede Menge Leistung und Drehmoment anerzogen, sondern auch einen ausgeglichenen Charakter mitgegeben, der Gleiten und Hetzen gleich gut beherrscht.

Bleibt da die viel beschworene Emotion nicht auf der Strecke? Ja und nein. Dem künstlich beatmeten V8 fehlen am obersten Ende der Drehzahlskala 1000 Touren, an die wir uns in den unteren Gängen gerne gewöhnt hatten. Außerdem ist das Ansprechverhalten eine Spur weniger zackig (Ferrari nennt einen Wert von 0,1 Sekunden), und der Motor wird erst bei rund 4000/min zum akustisch selbstbewussten Musikinstrument.

Zwei kleine, leichte Turbos mit geringem Trägheitsmoment lassen in Verbindung mit bis zu 2,4 bar Ladedruck den 32-Ventiler derart leichtfüßig hochdrehen, dass wir mit dem Schalten - wieder einmal - kaum nachkommen. Natürlich gibt es einen Automatikmodus, aber die kühlen Lenkradpaddel machen einfach mehr Spaß. Sehr angenehm, dass Ferrari auf prollige Mätzchen wie Zwischengas-Salven, künstlich erzeugte Teillast-Fehlzündungen und einen in zwei Stimmlagen plärrenden Auspuff verzichtet. Einen weiteren Pluspunkt sammelt der 488 für die Entkoppelung der Dämpfer vom Fahrprogramm (Wet, Sport, Race, CT off, ESC off), die ein Aufsetzen und Durchschlagen zuverlässig verhindert. Noch perfekter als bisher wird das Drehmoment vom Differenzial und der Quersperre in Vortrieb umgewandelt, wobei das kurvenäußere Rad bei Bedarf gezielt abgestützt wird.

Muster an Balance und Geschmeidigkeit

Erst wenn das alles nicht hilft, greifen die Regelsysteme ein. Allzeit bereit ist auch die vom LaFerrari übernommene Karbon-Keramik-Bremse, die den Anhalteweg aus 200 km/h um sechs Meter verkürzt. Verstellbare Luftleitelemente an Bug und Heck erhöhen den Anpressdruck um 50 Prozent, die Querbeschleunigung legt bei abnehmender Seitenneigung deutlich zu, und auch die Lenkung haben die Techniker nochmals giftiger abgestimmt.

Manche mag das beruhigen: Nein, der 488 GTB  ist kein Grund, den 458 gleich wieder zu verkaufen. Aber der Neue malt den Anbruch der Turbo-Ära in unerwartet freundlichen Farben, er ist ein Muster an Balance und Geschmeidigkeit, und er legt die von der Stoppuhr geprägte Messlatte für Lamborghini, Audi und Porsche deutlich höher. In Sachen Emotionalität haben wir kaum Bedenken, aber die Hardcore-Ferraristi können ja auf den offenen Spyder oder auf den radikaler ausgelegten Speciale warten.

Wie schon 911 GT3 RS und Aventador SV zeigen, bieten die am kräftigsten motorisierten Sonderserien nicht nur ein besonderes Fahrerlebnis, sondern auch ein beträchtliches Wertsteigerungspotenzial.

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Quelle:
SZ vom 20.06.2015/harl
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