Streit um Taxi-Tarif in Berlin:Da haste mal vier Euro!

In Berlin soll der bundesweit einzigartige und einzigartig günstige Taxi-Tarif "Kurzstrecke" verschwinden. Eine Protestbewegung formiert sich, die Taxi-Verbände streiten.

Boris Herrmann

Eine Erfinderstadt sei Berlin, sagt man zumindest in Berlin. Und zum Beweis wird dann gerne auf den Gummifabrikanten Julius Fromm verwiesen, der im heutigen Fortpflanzungs-Habitat Prenzlauer Berg vor knapp 100 Jahren das erste nahtlose Kondom herstellte. Die Rede ist dann natürlich auch von Konrad Zuse, der 25 Jahre später einen - zugegeben noch nicht ganz so tadellos funktionierenden - Computer baute.

Taxi Berlin

Taxis am Berliner Flughafen Tegel. Der Kurzstrecken-Tarif kommt bei den Fahrern gut an, versichert die Berliner Taxivereinigung. Eine Fahrt zum Discount-Preis sei nämlich allemal besser als eine Leerfahrt. "Das ist ein wirtschaftlicher Erfolg und einer der letzten Magneten des darbenden Taxigewerbes", meint der Vereinigungschef.

(Foto: Getty Images)

In Berlin wurde ferner der erste Pappteller produziert (1867), ohne den eine weitere wegweisende Schöpfung dieser Stadt, die Currywurst (1949), kein passendes Zuhause gefunden hätte. Es gibt nur wenige Berliner Alltags-Erfindungen, die sich bei der Hauptstadtbevölkerung ähnlicher Beliebtheit erfreuen. Eine von ihnen ist aber ganz bestimmt die Taxi-Kurzstrecke. Und ausgerechnet die soll nun abgeschafft werden.

Es mag aus Berliner Sicht schlimmeres Unglück vorstellbar sein (die Abschaffung des Länderfinanzausgleichs zum Beispiel oder ein Verbot der mundgerechten Imbisswurst im Ketchupbad), aber auch in diesem Fall steht gewaltiger Ärger ins Haus. Im Internet formiert sich bereits eine Protestbewegung unter dem Titel: "Rettet die Kurzstrecke!"

Wer in Berlin ein fahrendes Taxi heranwinkt, wird bisher noch zum Fixpreis von vier Euro bis zu zwei Kilometer weit befördert. Das mag wie ein Gebührensatz unter vielen klingen, tatsächlich ist der Tarif bundesweit einzigartig und längst ein Berliner Kulturgut. Die Kurzstrecke, auch "Winkemanntarif" oder "Viereurodings" genannt, ist so etwas wie die Chauffeurfahrt des kleinen Mannes.

Vor allem nachts erfreut sie sich größter Beliebtheit bei Leuten, die unter normalen Umständen eher selten ein Taxi besteigen - Punks, Druffis, Studenten, um nur einige zu nennen. Die Kurzstrecke bringt das junge Partyvolk von Kneipe zu Kneipe, von Club zu Club und im Morgengrauen, wenn schon nicht vor die Haustür, dann zumindest zur nächstgelegenen U-Bahn-Station.

Die Taxe soll für jedermann da sein

Richard Leipold, der Vorsitzende der "Berliner Taxivereinigung", war vor 16 Jahren einer der Ideengeber dieses stilprägenden Nahverkehrskonzepts. Er sagt: "Wir wollten mit der Kurzstrecke erreichen, dass die Taxe wieder das wird, was sie in New York ist und was sie lange in London war." Kein Luxusgefährt also, sondern ein öffentliches Verkehrsmittel für jedermann - in jedem Zustand.

Leipold erzählt, dass die Kurzstrecke auch in Fahrerkreisen gut ankomme, weil eine Fahrt zum Discount-Preis allemal besser sei als eine Leerfahrt. "Das ist ein wirtschaftlicher Erfolg und einer der letzten Magneten des darbenden Taxigewerbes", sagt er. Wieso aber soll verschwinden, was offenbar funktioniert?

Angeblich ist, wie so oft, der neue Berliner Großflughafen schuld. Er soll im Juni 2012 eröffnet werden und liegt genau genommen gar nicht in Berlin, sondern im Landkreis Dahme-Spreewald, in Brandenburg. Dort aber gelten andere Taxitarife, sie sind ab 13 Kilometern deutlich höher.

Wenn ein Fahrer künftig einen Gast vom Flughafen in die Innenstadt bringt, müsste er folglich auf die kostspielige Spreewald-Gebühr umstellen. Etwa 1200 der etwa 7200 Berliner Taxis aber können das nicht so ohne weiteres. Sie sind noch mit einem Taxameter ausgestattet, der vermutlich aus der Zeit Konrad Zuses stammen dürfte und lediglich zwei Tarife speichern kann. Deshalb soll nun - aus Mangel an Speicherplätzen - die Kurzstrecke geopfert werden.

Derzeit sehe man dazu keine Alternative, heißt es aus Kreisen der organisierten Taxibetriebe. Der naheliegende Gedanke, eine Fahrt zum Pauschalpreis müsse auch ohne Taxiuhr zu bewerkstelligen sein, wird dort als Anstiftung zur Schwarzarbeit aufgefasst. Der Taxameter laufe selbstverständlich immer mit, selbst wenn er praktisch gar nicht mitlaufe, erläutert ein Sprecher des Berufsverbandes Berliner Taxi-Innung.

So lange gestritten wird, bleibt alles wie es ist

Die Innung ist wiederum mit Leipolds "Taxivereinigung" in herzlicher Abneigung verbunden, was so oder so ähnlich auch für die beiden anderen Konkurrenzvereine gilt, "Taxi Deutschland" und den "Taxiverband Berlin, Brandenburg".

Überhaupt sind die Kreise der organisierten Taxibetriebe alles andere als geschlossen, und in der gegenwärtigen Debatte scheinen sie geradewegs auf einen Tarif-Kleinkrieg zuzusteuern.

Die einen wollen die Kurzstrecke sofort abschaffen, die anderen nur unter Protest, die nächsten entweder unter Umständen oder im Zusammenhang mit einer grundlegenden Gebührenreform, und der sonst eher sanft argumentierende Leipold bellt: "Ist doch alles Unsinn!"

Genau auf dieser bedingungslosen Streitkultur (die im Übrigen auch zu den großen Berliner Erfindungen gehört) ruhen nun auch die letzten Hoffnungen der Kurzstrecken-Freunde. Denn so lange sich die vier verfehdeten Taxi-Gewerbeverbände nicht auf einen gemeinsamen Änderungs-Antrag einigen können, kann der Berliner Senat auch nicht die Tarife ändern.

So lange gestritten wird, bleibt also alles, wie es ist. So lange bleibt das spontane Winken nach einem Chauffeur erschwinglich.

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