Es klingt nach technischem Firlefanz, dieser Streit um Mittelchen mit Namen R134a und HFO 1234yf. Dass es um mehr geht, dürfte an diesem Freitagvormittag deutlich werden. In den ehrwürdigen Hallen des Conseil d'État, des französischen Staatsrates in Paris, treffen Vertreter des deutschen Autokonzerns Daimler auf Vertreter des französischen Staates und werden darüber diskutieren, ob neue Mercedes-Autos in Frankreich fahren dürfen oder nicht. Derzeit bekommen neue A-, B- und SL-Klasse-Wagen keine Zulassung - weil darin 134a eingefüllt ist und nicht 1234yf. Um Chemie geht es also. Aber die beiden Parteien werden wohl auch andere Kapitel dieser Geschichte diskutieren, die von Lobbyismus handelt, von Milliarden-Geschäften und von tödlichen Gefahren.
Das Präludium ist recht schnell erzählt: In Klimaanlagen tun Kältemittel ihren Dienst; seit vielen Jahren ist es eine Chemikalie namens 134a. Äußerst klimaschädlich ist das Zeug und soll deswegen ersetzt werden, so schreibt es die EU vor. Es gibt einige natürliche Stoffe, die man nun einsetzen könnte, Kohlendioxid etwa wäre recht ungefährlich und billig zu haben.
Chemiefirmen könnten damit indes kaum mehr ein Geschäft machen - und so haben die großen US-Chemiekonzerne Honeywell und Dupont jahrelang herumgemischt, um eine eigene Lösung zu präsentieren: HFO 1234yf heißt ihr Mittel. Es ist tatsächlich weit weniger klimaschädlich und kann zudem recht unkompliziert in existierende Klimaanlagen eingefüllt werden. Für viele Autohersteller war das ein guter Weg, sparen sie sich doch Entwicklungskosten für technisch aufwendige Kohlendioxid-Systeme. Es gab zwar manche Sicherheitsbedenken - aber dennoch schwenkten vor fünf Jahren alle Hersteller auf 1234yf um.
Auch Daimler. Bis der Stuttgarter Hersteller seine Testwagen im vergangenen Jahr bei Crash-Versuchen damit unverhofft in Flammen setzte. 70 oder 80 Mal haben die Daimler-Ingenieure das mittlerweile zuwege gebracht. Oft entstand dabei - aus Fluorwasserstoffen, die mit Feuchtigkeit reagierten - eine der giftigsten Chemikalien, die es überhaupt gibt: Flusssäure. So ätzend, dass sie selbst Glas durchdringt. Es drohten "irreversible Schäden für die menschliche Gesundheit", urteilt das Umweltbundesamt, das eine eigene Analyse durchgeführt hat. "Man hat das geringere Treibhauspotenzial mit größerer chemischer Instabilität und einer leichteren Entflammbarkeit erkauft - das ist eine Gefahr für Autofahrer und Rettungskräfte", warnt auch Patrick Huth von der Deutschen Umwelthilfe. Und das Kraftfahrtbundesamt (KBA) sieht nach aktuellen Tests die Gefahrenlage zumindest erhöht. Daimler hat sich jedenfalls entschlossen, kein einziges Auto mit dem neuen 1234yf zu befüllen. Stattdessen verwenden die Stuttgarter das alte, verbotene, klimaschädliche 134a - und konstruieren parallel dazu nun doch möglichst rasch CO2-Anlagen. Andere deutsche Hersteller haben das brandgefährliche Problem vorerst übrigens umgangen: Sie haben ihre Typenzulassungen für beinahe alle ihre Wagen trickreich vor dem Verbot angemeldet - und so dürfen auch neue Modelle ohne Probleme mit R134a fahren.
Die französische Regierung glaubt dagegen nicht an Brandgefahren - und hat Beschwerde bei der EU eingelegt: Deutschland und das KBA verletzten europäische Verträge, wenn sie solch ein Handeln von Daimler billigten. Auf nationaler Ebene ist bereits ein Fahrverbot erlassen - über dessen Zulässigkeit an diesem Freitag eben der Conseil d'État verhandelt. Was steckt dahinter? Vor allem eine Retourkutsche gegen die Deutschen, die zuletzt bei einer anderen industriepolitischen Entscheidung gegen Frankreich agiert haben, heißt es von EU-Parlamentariern: Erst jüngst wurde auf Druck Deutschlands die CO2-Grenze nach oben hin aufgeweicht, davon profitieren vor allem deutsche Hersteller mit ihren großen, schweren Wagen. Die EU-Kommission tendiert bei der aktuellen Kältemittel-Frage zur französischen Haltung. Weil sie ihre europaweiten Richtlinien durchsetzen will und weil dort die Klimaschutz-Fraktion stärker ist als die Anhänger der Produktsicherheit, heißt es von deutschen Beamten.
Und vielleicht ist die Haltung auf europäischer Ebene für Daimler auch deshalb so schwierig, weil die Hersteller des neuen Kältemittels vehement Druck machen - sie fürchten natürlich, dass Daimlers Haltung das neue Produkt bei allen Abnehmern diskreditiert. In dieser Woche erst hat Honeywell-Manager Kenneth Gayer einen geharnischten Brief an KBA-Chef Ekhard Zinke geschrieben, in dem er ihm unsaubere Tests zugunsten von Daimler vorwirft. Die KBW-Versuche, die neuerdings auch eine gewisse Gefahr durch 1234yf bestätigen, "vernebeln" die Wahrheit, schimpft Gayer in dem Schreiben, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Die deutsche Behörde habe unübliche Tests durchgeführt und die Ergebnisse seien intransparent, beklagt der Chemie-Manager. Ja, es dränge sich gar der Verdacht auf, dass die Tests "mit Blick auf ein erwartetes Resultat entwickelt, durchgeführt und im Verlauf der Testreihen solange angepasst wurden, bis das gewünschte Ergebnis endlich erzielt wurde".
Starker Tobak. Und nicht zuletzt die Adressaten machen klar, dass die Angelegenheit nicht vom Conseil d'État geklärt werden dürfte. In Kopie ging die Beschwerde an EU-Vizepräsident Antonio Tajani und den Handelsminister der USA.