Strategie von Audi:Licht und Schatten

Audi, BMW, Porsche, VW, Mercedes, A3, A4, A6, Lamborghini

Erfolg auf tönernen Füßen: Ist Audi bereits auf dem Weg zurück ins Mittelmaß?

(Foto: dpa)

Lange eilte Audi von Erfolg zu Erfolg. Doch das Markenmotto Vorsprung durch Technik muss immer wieder neu untermauert werden, sonst droht der Absturz ins Mittelmaß. Eine Strategie-Kritik.

Von Georg Kacher

Sie alle haben das gleiche Ziel, die Herren Reithofer, Stadler und Zetsche. Die Nummer eins wollen die Chefs von BMW, Audi und Mercedes werden oder bleiben im Konzert der drei deutschen Premium-Solisten. Variabel sind nur die Stückzahlen und der zeitliche Rahmen, nicht aber der Anspruch der absoluten Stärke.

Die Mittel zum Zweck unterscheiden sich allerdings ganz erheblich. Mercedes koaliert mit Renault und Nissan/Infiniti, hängt am Smart-Tropf, verknüpft mutiges A-Klasse-Design mit der Neuerfindung der selbst im Kern nicht mehr stock-konservativen S-Klasse. BMW traut sich mit Project i als Erster ins elektrische Spannungsfeld gegensätzlicher Verpflichtungen und Interessen, geht mit volksnahen Zutaten wie Dreizylinder und Frontantrieb in die CO2-Offensive, verdient mit Mini und Rolls-Royce längst mehr Geld als mit so manchem blassen Volumenmodell.

Der erste Schritt zurück ins Mittelmaß

Und was macht Audi? Audi tut sich leicht, denn im Konzernverbund mit Volkswagen lassen sich Kosten elegant umlegen, Synergien fast aus dem Nichts stemmen und trotzdem genug Geld verdienen um sich unverzichtbar zu machen im globalen Margen-Roulette. Ohne Audi, so viel steht fest, wäre VW an der Umsatzrendite gemessen ein Kleinhäusler. Ohne VW, auch das ist klar, wäre Audi weit weniger erfolgreich. Die Ingolstädter Führungsrolle hat jedoch niemand im Grundgesetz festgeschrieben. Im Gegenteil: Audi muss sich diesen Vorsprung durch Leistung immer wieder neu erarbeiten. Der Status Quo, wie er sich aktuell unter anderem beim Design und den alternativen Antrieben manifestiert, bedeutet möglicherweise bereits den ersten Schritt zurück ins Mittelmaß.

2007 übergab Martin Winterkorn den Audi-Vorstandsvorsitz an Rupert Stadler, einem engen Vertrauten von Ferdinand Piëch, der selbst einmal Herr der Ringe war. Unter dem gelernten Finanzer setzte die Marke ihren Höhenflug fort, wuchs schneller als der Wettbewerb, drehte eine Ergebnis-Rekordrunde nach der anderen. Winterkorn und Piëch hatten zwar die Weichen gestellt, doch Stadler erwies sich als kompetenter Umsetzer, pragmatischer Markenversteher, besonnener Verwalter der rasch anwachsenden Pfründe. Was dem Chef fehlte, war der letzte Mut zum Risiko, das Talent für schnelle Entscheidungen, die große Vision vom nächsten Vorsprung durch Technik.

Alternative Antriebe sind Mangelware

Eine Zeitlang fiel das nicht auf, denn die Marke raste von Erfolg zu Erfolg. Nicht nur in Le Mans, sondern auch im Boom-Markt China, in Nordamerika und gegen den Trend sogar in Europa. Das Design mit dem Singleframegrill erwies sich als Renner, die Qualität der auch ergonomisch überzeugenden Innenräume trug entscheidend zur Legendenbildung bei, der Dynamik-Mix aus TDI, Quattro und S-tronic überzeugte nicht nur markentreue Vielfahrer. Auch der Ausbau der Modellpalette zeigte Wirkung. Der kompakte A1 verkauft sich nach Startproblemen inzwischen ordentlich, der Sportback hat sich zwischen Limousine und Kombi etabliert, die Expansion der Q-Familie quittiert der Markt mit überdurchschnittlichen Zuwachsraten.

Leider ist Audi nicht in allen Bereichen so sattelfest wie die Konkurrenz. Vor allem in Bezug auf die alternativen Antriebe leistet sich die Marke zu viele Zündaussetzer. Der A1 e-tron mit Wankel-Range-Extender wurde als unerlaubt exotisch und nicht Konzern-kompatibel in die Asservatenkammer verfrachtet, der groß angekündigte R8 e-tron erwies sich als Millionengrab, die blumig beschworene Wiedergeburt des schon seinerzeit unprofitablen A2 endete bereits kurz nach Vorstellung der enttäuschenden Studie.

Audi und Porsche - ein schwieriges Verhältnis

Wie so oft in solchen Fällen sollte eine Management-Rochade dabei helfen, das schiefe Bild gerade zu ziehen. Der als wenig visionär kritisierte Entwicklungsvorstand Michael Dick wurde im September 2012 durch den Technokraten Wolfgang Dürheimer ersetzt. Gleichzeitig musste Peter Schwarzenbauer Platz machen für den neuen Vertriebsvorstand Luca de Meo. Trotz fehlender Hausmacht setzte der von Porsche über Bentley zu Audi gewechselte Dürheimer rasch erste Zeichen - sei es in Bezug auf den Ducati-Zukauf und die Motorsport-Offensive, sei es in Bezug auf neue Modelle und Technologien. Doch große Teile der Mannschaft sind nach wie vor skeptisch, denn Dürheimer hinterfragt jedes Detail, bringt viele eigene Ideen ein, will die Designlinie mitbestimmen, geht mit radikalen Denkansätzen ganz bewusst auf Kollisionskurs zu so manchem Bereichsleiter.

Das Trio an der Spitze tut sich manchmal unerwartet schwer beim Auseinanderdividieren der Prioritäten. Es gibt jetzt zwar die Audi Group mit Audi, Lamborghini, Ducati und Ital Design, doch Bentley und Bugatti verbleiben im Paralleluniversum, wo Porsche seine Muskeln spielen lässt und Seat als allseits ungeliebtes Audi-Anhängsel am Tropf hängt. Die wiederholt angedachte Aufteilung des Konzerns in Luxus und Volumen mag nach wie vor Sinn ergeben, aber wem sollte man die Führungsrolle übertragen - Audi mit 4,4 Milliarden Euro Gewinn und einer Umsatzrendite von 12,1 Prozent oder Porsche mit einem Plus von 1,5 Milliarden und einer Umsatzrendite von 18,7 Prozent?

Wohin entwickelt sich die Produktpalette?

Beiden Unternehmen fällt es schwer, sich miteinander zu arrangieren. Porsche lässt seine Geländewagen bei Audi entwickeln, beansprucht aber die künftige Systemführerschaft bei den Sportwagen, wovon nicht nur der übernächste R8, sondern auch Lamborghini betroffen ist. Außerdem entwickelt Porsche einen neuen Standardantrieb-Baukasten für den Panamera und dessen kleineren Bruder (Pajun), der Bentley fast zwangsläufig in die Arme der Schwaben treibt. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob es in einem Konzern, der die Synergie zum Dogma erklärt hat, mit A8/A9/Phaeton und Panamera/Pajun/Bentley zwei teure Parallelentwicklungen in der Oberklasse geben darf.

Die Evolution des Produktprogramms wird unter der neuen Führung noch heißer diskutiert als in der Vergangenheit. Bringt (und braucht) Audi einen Sportvan auf Basis A3 oder A4, um damit jene Quadratur des Kreises zu schaffen, an der Mercedes gescheitert ist und die BMW nie ernsthaft versucht hat? Fährt Audi tatsächlich dem VW XL1 mit einem viersitzigen Einliterauto auf Basis des A1 oder des Q2 in die Parade? Wann reagiert Ingolstadt auf die Project-i-Herausforderung des Erzfeindes aus München mit einem kleinen E-Mobil für die Stadt? Wie lange müssen wir noch auf die Neuauflage des Ur-Quattro warten, der als Coupé mit Plug-in-Hybrid-Option die DNA der Marke perfekt abbilden würde? Wo bleibt der grüne Luxus in Form eines A8, der auf Knopfdruck zwischen Boost-Rakete und Reichweiten-Rekordhalter wechseln kann?

Selbst das außerhalb von Wolfsburg prinzipiell ungeliebte Mittelmotor-Sportwagenkonzept könnte für Audi sinnvoll sein, ohne automatisch den TT zu kannibalisieren. Wie? Indem die Kunstwörter e-tron und ultra endlich mit Inhalt gefüllt werden - zum Beispiel in Form einer Roadster-Leichtbaukarosse nach Art des Lotus Elise, in der ein Dreizylinder-TFSI mit Pufferbatterie sein Unwesen treibt.

Die Realität sieht, wie könnte es anders sein, deutlich nüchterner aus. Beschlossen ist der Ausbau der Q-Palette, die künftig in zwei Ausprägungen auf Kundenfang geht. Die Modelle mit den geraden Typbezeichnungen sind sportlich-elegante Straßenschmeichler im Coupé-Design, die ungeraden Typbezeichnungen setzen dagegen auf die Crossover-Karte. Geplant sind Q2 (Basis A3), Q6 (Basis Q5) und Q8 (Basis Q7). Der Q4 (Basis Q3) wurde inzwischen wieder verworfen. Verabschiedet hat man darüber hinaus den TT-Nachfolger, die zweite Generation des A5 als Coupé und Cabrio, die Neuauflage des A4, den nächsten Q5 und die Wachablöse für den R8. Der große Mittelmotorsportwagen teilt sich die Erbmasse wie gehabt mit dem Lambo Gallardo.

Audi macht vieles richtig und wenig falsch

Hier wird sich Audi mittel- bis langfristig anders aufstellen müssen, denn zum einen braucht es eine klarere Abgrenzung zu Lamborghini und Porsche, und zum anderen fehlt bislang eine nachvollziehbare Querverbindung zwischen den erfolgreichen Le-Mans-Autos und dem Topmodell. Die Idee, den 2013er-Rennwagen in einer straßentauglichen Kleinserie schon zum Jahreswechsel auf den Markt zu bringen, wurde vor kurzem wieder verworfen.

Bei den alternativen Antrieben hatte Audi schlichtweg Glück. Weil die öffentliche Meinung umschlug, und weil sich der warme Rückenwind für E-Antrieb, Hybridisierung und Brennstoffzelle in kalten Gegenwind verwandelt hat, ist es aktuell nicht weiter tragisch, dass die Marke unter akutem Stromausfall leidet. Viel gravierender sind nach wie vor die Versäumnisse bei den klassischen Triebwerken. Während BMW und Mercedes mit ihren Vierzylinder-Dieseln längst die 200-PS-Marke übersprungen haben, fehlt es bei Audi immer noch an Leistung und Drehmoment. Noch schlimmer ist die Situation beim V6 TDI, wo BMW längst davongezogen ist und Mercedes einen neuen Sechszylinder-Reihenmotor im Köcher hat.

Wichtige Weichen müssen jetzt gestellt werden

Auch bei den Dreizylindern kommt man langsamer in die Gänge als BMW. Ebenfalls überfällig sind die nächste Stufe des Quattroantriebs, ein vom teuren Alu-Spaceframe losgelöster Materialmix für Modelle der mittleren Preisklasse und ein neues Infotainment-Konzept. Hier stehen nicht nur der zweite Bildschirm und die in die Jahre gekommene MMI-Bedienung auf dem Prüfstand, sondern auch die momentan wenig zukunftssichere Smartphone-Schnittstelle. Geradewegs in die Sackgasse führt die Inflation der Drive-Select-Komponenten, deren Kalibrierung die meisten Nutzer überfordert.

Audi macht vieles richtig und wenig falsch, doch damit das so bleibt, müssen jetzt rasch einige wichtige Weichen richtig gestellt werden. Man darf gespannt sein, ob zwischen den Herren Stadler, Dürheimer und de Meo Einigkeit herrscht in Bezug auf die Prioritäten. Oder ob es doch des einen oder anderen Machtworts aus Salzburg und Wolfsburg bedarf.

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