Achtung, auf der A9 kommen Ihnen Geisterfahrer entgegen. Nicht vereinzelt, sondern ständig. Die Autos sind zwar in der richtigen Richtung unterwegs und verhalten sich auch sonst völlig unauffällig. Aber sie werden freihändig gefahren und tauschen geheime Botschaften aus.
Was der Bundesverkehrsminister etwas pompös "Digitales Testfeld Autobahn" nennt, ist eine Grundlage für den ersten größeren Praxisversuch mit hoch automatisierten Fahrzeugen: Die Geisterfahrer im Dienst des Fortschritts müssen miteinander reden, um Warnmeldungen auszutauschen. Ganz einfach deshalb, weil ihr Universum sonst nach 200 Metern zu Ende wäre. Nur mit rasend schnellen Ad-hoc-Netzwerken können sie weiter schauen, als ihre Sensoren reichen. Doch der Wandel von der isolierten Blechbüchse zum interaktiven Schwarmwesen ist schwierig.
In Las Vegas gehören solche "talking cars" zum ganz normalen Straßenbild - zumindest während der Consumer Electronics Show International (CES). Kaum jemand schaut noch den bunt bemalten Testfahrzeugen hinterher, die sich mit allem und jedem vernetzen können. Ein Versuchsträger des Zulieferers Delphi spricht nicht nur mit den Autos, die beim Linksabbiegen von anderen Fahrzeugen verdeckt werden. Auch unaufmerksame Fußgänger können an einem speziellen Funkchip im Handy erkannt werden.
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2020 sollen alle Neuwagen miteinander kommunizieren
Dass die Umfeld-Kommunikation mit Ampeln und Wanderbaustellen klappt, wundert da schon niemanden mehr. In Zukunft kann auch vor einem Stauende, Glatteis, Geisterfahrern und vor Unfällen punktgenau gewarnt werden. Wie im Fußball werden die Nachrichten über das ganze Spielfeld hin und her gepasst. Ziel der rasend schnellen Meldeketten ist nicht nur das gemütliche Mitschwimmen von Ampel zu Ampel, sondern vor allem die Verkehrssicherheit.
Die Vereinten Nationen haben sich im September letzten Jahres das Ziel gesetzt, die Zahl der weltweiten Verkehrsopfer bis 2020 zu halbieren. Dieses Ziel ist deutlich anspruchsvoller als alle bisherigen internationalen Vorgaben. Nach wie vor fallen aber 10,6 von 100 000 Amerikanern Verkehrsunfällen zum Opfer. Dieser Prozentsatz ist mehr als doppelt so hoch als in Deutschland. Ohne konsequente Vernetzung der Verkehrsteilnehmer wird es nur wenig Besserung geben. Das hat auch die US-Regierung erkannt. Die nationale Behörde für Verkehrssicherheit (NHTSA) steht kurz vor dem Abschluss einer entsprechenden Gesetzesinitiative: Im nächsten Jahr soll das Repräsentantenhaus beschließen, dass alle Neuwagen von 2020 an miteinander sprechen müssen.
Europas Politiker wollen zwar Vorreiter in der Verkehrssicherheit sein, in Sachen Punkt-zu-Punkt-Verbindung zwischen Fahrzeugen (car2car) haben sie jedoch (zu) lange auf die Eigeninitiative der Hersteller gesetzt. Die können sich auch nach zwanzig Jahren Forschung und Entwicklung nicht auf ein gemeinsames Einführungsszenario einigen.
Nach dem erfolgreichen Abschluss des großen Feldversuchs "Sichere Intelligente Mobilität - Testfeld Deutschland" (simTD), sollte die Spontanverständigung zwischen Autos eigentlich schon 2015 in Serie gehen. 16 Autohersteller haben sich im car2car-Konsortium auf einen Übertragungsstandard mit 5.9 GHz geeinigt. Anders als die heimischen Wlan-Verbindungen funktioniert dieses mobile Netzwerk mit bis zu 500 Metern Reichweite. Damit ist nicht nur die Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation möglich, sondern auch die Verknüpfung mit der Infrastruktur.
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Roboterautos sind auf Schwarmintelligenz angewiesen
Das alles muss im Bruchteil einer Sekunde passieren, wenn Autos hoch automatisiert fahren sollen. Menschen hinter dem Lenkrad können reflexhaft reagieren und wittern dank ihrer Erfahrung viele Gefahren schon im voraus. Roboterautos fehlt dieser siebte Sinn, deshalb sind sie auf Tipps aus dem gesamten Fahrzeugschwarm angewiesen.
Auch die Straßeninfrastruktur funktioniert im Idealfall als Frühwarnsystem: Ignoriert ein Falschfahrer beispielsweise die "Einfahrt verboten"-Schilder an der Autobahn, könnten Kamerasysteme sofort mit dem Verkehrssünder in Kontakt treten. Zum Beispiel durch einen Warnton, einen kurzen Bremsruck und deutliche Hinweise im Kombi-Instrument. Die Warnmeldung von außen bekommt also fast denselben Status wie die Befehle der bordeigenen Assistenzsysteme. Gleichzeitig könnten andere Autofahrer in der Umgebung gewarnt werden.
Bisher ist die Direktkommunikation von Auto zu Auto viel schneller und zuverlässiger als der Mobilfunk: Der Verbindungsaufbau vom Handy zur Mobilfunkstation dauert mindestens eine halbe Sekunde. Bei 100 km/h legt ein Auto in dieser Zeit 15 Meter zurück - die im Falle eines Falles als Bremsweg fehlen. Künftig will der Mobilfunk mit niedrigen Latenzzeiten und höherer Verfügbarkeit aber auf die Überholspur wechseln. "Aufgrund der zunehmenden Angebote, die Kommunikation zwischen Fahrzeugen durch die Mobilfunkunternehmen abzudecken, ändert sich gerade das Alleinstellungsmerkmal von Wlan stark", erklärt ein BMW-Sprecher. Im Klartext bedeutet das: Die zusätzliche Sende- und Empfangstechnik kostet Geld, obwohl gar nicht sicher ist, dass sie bei ihrer Einführung überhaupt nötig ist.
"BMW ist Mitglied im Car2Car-Kontrollgremium, vertritt dort aber die Position, dass der Sicherheitsgewinn durch diese Kommunikationstechnik gegenüber anderen Technologien vor einer möglichen flächendeckenden Integration validiert werden muss", bemängelt der BMW-Sprecher. Hintergrund ist die flächendeckende Einführung des automatischen Notrufs: Der sogenannte eCall ist in Europa ab 2018 vorgeschrieben. Eine fest installierte SIM-Karte gehört in gut drei Jahren also zur Standard-Ausrüstung jedes Neuwagens. Deshalb ist die Bereitschaft gering, neben dieser Funkverbindung auch noch einen Wlan-Sender und -Empfänger im Auto zu installieren. Vor allem, weil die drahtlose Datenübertragung der nächsten Generation absehbar ist: Ende November hat die Weltfunkkonferenz in Genf die Weichen für den neuen 5G-Standard gestellt. Damit ist der Weg frei für bis zu zehnmal schnellere Übertragungsgeschwindigkeiten als im jetzigen LTE-Netz (4G).
An dieser Entwicklung orientiert sich auch die erste Maßnahme auf dem "Digitalen Testfeld Autobahn". In einem Teilbereich der A9 wird das bestehende Mobilfunknetz durch Echtzeittechnik erweitert: Sogenannte "Cloudlets", also kleine Unterzellen, können ohne Umweg über die bisherigen Basisstationen direkt miteinander kommunizieren. Die Funkverbindung muss also nicht durch das Netz geleitet werden, sondern findet lokal innerhalb der jeweiligen Funkzelle statt. Auf diese Weise können die Signallaufzeiten von mehreren Hundert Millisekunden auf etwa 20 Millisekunden drastisch verkürzt werden. Erst derart schnelle Übertragungsraten machen sicherheitskritische Anwendungen für hoch automatisierte Fahrzeuge fast in Echtzeit möglich. Die Mobilfunksignale können dank einer Software des Zulieferers Continental direkt im Fahrzeug-Bordsystem verarbeitet werden.
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Das neue 5G-Netz hat höchste Priorität
Kritiker verweisen auf die Schwächen des LTE-Netzes: Funklöcher und teilweise überlastete Netze machen Verbindungssuchenden das Leben schwer. Genau deswegen hat das 5G-Netz höchste Priorität. Das demonstrierte der Berliner IT-Gipfel im November 2015. Verkehrsminister Alexander Dobrindt will mit 5G auch auf der Straße punkten: "Mit dem ersten Demonstrationsprojekt für Car2Car-Kommunkation über Highspeed-Mobilfunk nahe 5G machen wir den Sprung in das digitale Echtzeitalter auf der Straße."
Noch ist die schöne neue Mobilfunkwelt in der Entwicklung. Ab 2020 soll sie mit Bandbreiten bis in den Gigabit-Bereich neue Geschäftsmodelle ermöglichen. So lange will Mercedes nicht warten und führt erste Car2Car-Funktionen bereits auf 4G-Basis ein: Das intelligente Bordnetz der neuen E-Klasse wird auf der CES in Las Vegas seinen Einstand feiern. Für die Weltpremiere in Detroit kurz darauf bleibt nur noch Blech als Neuheit übrig.