Straßenbahn ohne Oberleitung:Die fahrende Zahnbürste

In Augsburg ist die erste Straßenbahn unterwegs, die keine Oberleitungen mehr braucht - die Stromversorgung basiert auf Induktion.

Stefan Mayr

Bislang ist der größte Trumpf der Straßenbahn gleichzeitig auch ihr Nachteil. Denn einerseits schont der elektrische Antrieb die Umwelt; andererseits aber verschandeln die Oberleitungen mit ihren massiven Masten und Halterungen an Häuserwänden das Stadtbild - und das stört nicht nur in historischen Altstädten oder in der Nähe von denkmalgeschützten Gebäuden.

Mobiles Leben Seite 1

Fahr-Bahn: Die erste Tram ohne jede Oberleitung ist derzeit im Testbetrieb. Im Gleisbett sind unterirdisch Kabel verlegt. Jedes Mal, wenn die Straßenbahn darüber fährt, entsteht ein magnetisches Feld. Eine Spule im Unterboden des Zuges nimmt dieses Feld auf und wandelt es in Strom um

(Foto: oh)

"Schön ist das nicht", gibt auch Walter Grawenhoff, Aufsichtsratsmitglied der Bombardier Transportation GmbH, zu. Und so arbeitet der Schienenfahrzeughersteller derzeit an einem Tram-Konzept, das nicht nur dem ästhetischen Empfinden der Bürger, sondern auch deren Geldbeutel zugutekommen soll: In Augsburg fährt neuerdings die weltweit erste Straßenbahn, die keinerlei Oberleitung benötigt.

Noch fährt der wiesengrün und blumengelb gesprenkelte Zug mit der himmelblauen Dachpartie nur auf einer 800 Meter langen Teststrecke, die vom öffentlichen Nahverkehrsnetz abgetrennt wurde. Dennoch glaubt Walter Grawenhoff, dass er und seine Ingenieure mit dem Projekt Primove demnächst "ein neues Zeitalter des elektrischen Straßenbahnverkehrs" aufschlagen werden. Die Zauberformel heißt berührungslose Energieübertragung auf Induktionsbasis.

Derzeit fahren zwar schon in Heidelberg, Bordeaux und Amora bei Lissabon Bahnen ohne Fahrdraht. Doch diese Züge können bislang nur jeweils kurze Strecken ohne eine Oberleitung überbrücken und müssen spätestens nach einem Kilometer wieder an den Fahrdraht andocken, um neuen Strom zu tanken.

Das Konzept in Augsburg geht einen Schritt weiter, weil die Züge in Zukunft ganz ohne Fahrdraht auskommen sollen - also von Endstation zu Endstation. Die Vision ist ein komplettes Nahverkehrsnetz ohne Oberleitung.

"Wir können erstmals kontinuierlich jegliche Entfernung überbrücken", sagt Grawenhoff. Dabei nutzt Bombardier die Induktionstechnik, die Laien vom Küchenherd oder von der elektrischen Zahnbürste kennen.

Im Gleisbett sind unterirdisch Kabel verlegt. Jedes Mal, wenn eine Straßenbahn darüber fährt, entsteht ein magnetisches Feld. Eine Spule im Unterboden des Zuges nimmt dieses Feld auf und wandelt es in Strom um - fertig ist die fahrende Zahnbürste.

Nur für Fernost?

Zusätzliche Energie gewinnen die Primove-Bahnen, indem die beim Bremsen entstehende Energie in Batterien auf dem Dach gespeichert wird. "Damit sparen wir 30 Prozent Strom", rechnet Walter Grawenhoff vor. Dieses System nutzen die Ingenieure von Siemens und Bombardier auch bei ihren Projekten in Amora und Heidelberg.

Der dritte Konkurrent, Alstom, treibt in Bordeaux Züge mit Stromschienen zwischen den Gleisen an. "Das ist sehr witterungsanfällig", sagt Grawenhoff - wie auch das traditionelle System Oberleitung, das oftmals durch Schnee und Eis lahmgelegt wird. Primove sei dagegen "bei jedem Wetter und jeder Bodenbeschaffenheit" einsatzfähig.

Weitere Vorteile seien die einfache Montage unter der Erde statt in luftiger Höhe sowie die deutliche Reduzierung von Verschleiß und notwendiger Wartung. "Im Gegensatz zum Betrieb mit Oberleitungen haben wir keinen Kohleabrieb, also keinen Schmutz und keinen Verschleiß." Doch das wichtigste Argument ist und bleibt: Die so mit Strom versorgten Straßenbahnen garantieren in den Städten stets schöne Aussichten ohne jede optische Störung.

Zunächst wurde Primove auf dem Testgelände von Bombardier in Bautzen erprobt. Nun bewegen sich die Züge in Augsburg erstmals außerhalb des Labors auf einer realen Gleisstrecke. Mit dem mehrmonatigen Pilotbetrieb will Grawenhoff alle erforderlichen Genehmigungen für die Zulassung zum öffentlichen Personenverkehr erlangen sowie den Betrieb unter Alltagsbedingungen demonstrieren.

Wissenschaftlich unterstützt wird das Projekt von der Uni Braunschweig und der Hochschule Augsburg. Grawenhoff: "Wir hoffen, dass wir schon Ende 2010 an den Markt gehen können." Nach Angaben der Stadtwerke Augsburg hat Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) auf der Innotrans in Berlin eine Förderung in Höhe von 2,3 Millionen Euro in Aussicht gestellt.

In welcher Stadt eines Tages das erste komplett oberleitungsfreie Straßenbahnnetz in Betrieb genommen wird, ist noch offen. Die Stadt Augsburg jedenfalls winkt bereits ab, obwohl sie das Projekt auf ihrer Testschleife in der Nähe des Messegeländes unterstützt - die Umrüstung des bestehenden Netzes würde zu viel kosten.

In Frage kommen deshalb vor allem Neubaustrecken im Fernen Osten. Walter Grawenhoff hat auf der Innotrans nach eigenen Angaben mit "einigen Interessenten" gesprochen. Einen unterzeichneten Kaufvertrag kann er aber noch nicht vorweisen.

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