Stickoxid-Emissionen:Die Luft bleibt dreckig - mindestens bis 2030

Feinstaub-Alarm

Großstädte wie Stuttgart leiden besonders unter den hohen Abgaswerten. Selbst mit Einführung der Umweltzone ist jedoch keine schnelle Besserung in Sicht.

(Foto: Marijan Murat/dpa)

Der Straßenverkehr ist hauptverantwortlich für die schlechte Luft in den Städten. Die Industrie sieht in modernen Euro-6-Dieseln die Lösung. Doch die sind nicht immer so sauber wie versprochen.

Analyse von Joachim Becker

Von wegen grüne Welle: Deutschlands Städte sehen rot. Wie Blutbahnen leuchten die Hauptstraßen in der Schadstoffstatistik. Rot bedeutet Reizklima: Nicht nur für die Atemwege der Menschen, die an den Verkehrsadern wohnen und arbeiten. Die Alarmfarbe macht auch den kommunalen Behörden gehörig Stress. In 29 Regionen Deutschlands liegt die Luftbelastung seit vielen Jahren über den zulässigen Schwellen. Mehr als die Hälfte der verkehrsnahen Messstationen überschreiten den Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid (NO₂) von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Die Weltgesundheitsorganisation WHO fordert zum Schutz der Gesundheit eine Halbierung dieses Grenzwerts. Doch Städte wie Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln, München oder Stuttgart wissen nicht einmal, wie sie die bisherigen EU-Vorgaben einhalten sollen.

"Damit in Zukunft keine Verbotsszenarien im Zusammenhang mit der Luftreinhaltung entstehen, muss der Anteil der emissionsarmen und emissionsfreien Fahrzeuge drastisch gesteigert werden", forderte Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz bei einem Krisentreffen des Bundes, der Städte und der Automobilindustrie zu Anfang der Woche. Angesichts von 12 363 Elektrofahrzeugen, die 2015 in Deutschland zugelassen wurden, sind die Stromer aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Lokal abgasfreie Autos werden nicht verhindern können, dass viele Städte noch in diesem Jahr vor den Europäischen Gerichtshof zitiert werden. Pro Tag Überschreitung der NO₂-Limits drohen mehrere Hunderttausend Euro Strafe. Das wäre zumindest umweltpolitisch eine Bankrotterklärung der Kommunen.

Dobrindt fordert Beschränkungen für Autos mit Verbrennungsmotor

Alexander Dobrindt ficht das alles nicht an: "Mit unserem Elektromobilitätsgesetz haben die Kommunen die Möglichkeit bekommen, Elektroautos im Stadtverkehr zu privilegieren - etwa durch Sonderspuren oder kostenfreies Parken. Nun müssen sie diese Möglichkeiten auch nutzen", verkündete er frohgemut nach dem Krisentreffen in Hamburg. Implizit fordert der Bundesverkehrsminister damit Beschränkungen für den konventionell motorisierten Verkehr: In den ohnehin überlasteten Innenstädten lassen sich Sonderspuren für E-Mobile nur auf Kosten der anderen Verkehrsteilnehmer realisieren. Weitere Staus treiben aber die NO₂-Werte in die Höhe - was Dobrindt mit seiner Heile-Welt-Rhetorik bewusst ausblendet: "Besserer Verkehrsfluss heißt weniger Staus, heißt weniger Abgase." Sollen die Städte doch sehen, wie sie zurande kommen.

Längst kämpfen die Kommunen mit Luftreinhalteplänen und Umweltzonen gegen die Abgase. Doch es ist ein Kampf gegen Windmühlen: "Die Umweltzonen waren erfolgreich, aber die schiere Masse der Dieselfahrzeuge relativiert alle Fortschritte", sagt Axel Welge. Dem umweltpolitischen Sprecher des Deutschen Städtetags ist der Frust wegen der dicken Luft deutlich anzumerken: "Der Deutsche Städtetag hat schon 1996 darauf vertraut, dass die Luft durch die angekündigten Emissionsstufen bei Pkw und Lkw besser wird. Im Nachhinein waren wir vielleicht zu naiv." Jetzt sei es den Bürgern unendlich schwierig zu vermitteln, dass selbst Dieselfahrzeuge mit einer grünen Plakette nicht notwendig sauber seien, so Welge.

"Alte Diesel müssen schrittweise raus aus der Innenstadt", fordert das Umweltbundesamt. Bosch-Chef Volkmar Denner sieht Selbstzünder mit moderner Abgasreinigung dagegen als "Luftreinigungsmaschinen": Was aus deren Auspuff herauskomme, sei weit weniger belastet als die Luft, die der Motor zuvor angesogen habe. Steht die Dieseltechnologie also zu Unrecht am Pranger? Tatsächlich leistet der Partikelfilter gute Arbeit: In Stuttgart sind Autoabgase nur noch zu sechs Prozent an der Feinstaubbelastung (PM 10) beteiligt. Kleine und mittlere Feuerungsanlagen - also die immer beliebteren Holzkamine - tragen mehr zur staubigen Luft bei.

Tempo-30-Zonen sind keine Lösung

Beim Stickstoffdioxid sieht die Wahrheit jedoch ganz anders aus: In den Städten stammt mehr als die Hälfte der lokalen NO₂-Belastung direkt aus dem Straßenverkehr. In ländlichen Gebieten liegen die Werte um zwei Drittel niedriger und überschreiten nur selten eine Konzentration von 30 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. "Wir wollen, dass Familien mit Kindern nicht wegen der Luftqualität aus den Städten wegziehen", betont Axel Welge. Doch kaum ein Experte bezweifelt, dass Stadtluft krank machen kann. Kinder, Jugendliche und alte Menschen sind durch Atemwegserkrankungen besonders gefährdet. Nach Aussage der Europäischen Umweltagentur können in Deutschland jährlich etwa 10 000 vorzeitige Todesfälle auf die hohe NO₂-Belastung zurückgeführt werden. Beim besonders kleinen Feinstaub (PM 2,5) in der Atemluft geht die EU-Behörde sogar von 59 500 vorzeitigen Todesfällen in Deutschland aus.

Wie im VW-Abgas-Skandal geht es um Glaubwürdigkeit: Sind die Euro-6-Diesel wirklich so sauber wie moderne Benziner - oder sind sie Teil des Problems? Dürfen sie die blaue Plakette erhalten, die Baden-Württemberg für die nächste Stufe der Umweltzone vorbereitet? Der jüngste Feinstaubalarm mit freiwilligem Fahrverzicht in Stuttgart war nur ein Vorgeschmack. Schon jetzt ist absehbar, dass die bisherigen Maßnahmen nicht greifen. Auch eine Absenkung der Tempolimits kann kontraproduktiv sein: In Tempo-30-Zonen sind viele Fahrzeuge im ersten und zweiten Gang hochtourig unterwegs. Entsprechend mies sind die Abgaswerte. Selbst an Orten mit besonders schutzbedürftigen Menschen liegen die NO₂-Emissionen in Stuttgart weit über dem Limit: Zum Beispiel am Katharinenhospital mit einem Mittelwert von 106 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft (µg/m³), am Zeppelin-Gymnasium mit 82 µg/m³ oder an der Kindertagesstätte Lukas mit 63 µg/m³.

Man müsse der pauschalen "Diskreditierung der Dieseltechnologie die Stirn bieten", hält VDA-Präsident Matthias Wissmann dagegen. Doch die Autohersteller haben sich die Ausweitung des Dieselskandals selbst zuzuschreiben. Sobald die meisten Selbstzünder aus dem mollig warmen Prüflabor auf normale Straßen gelangen, steigen die Abgaswerte drastisch: Eine Mercedes C-Klasse 220 CDI, die vom holländischen Prüfinstitut TNO getestet wurde, überschritt den Stickoxidgrenzwert ausgerechnet bei innerstädtisch gefahrenen Geschwindigkeiten um mehr als das Zehnfache (SZ berichtete). Die Straßentests führte TNO bei Außentemperaturen von sieben bis zehn Grad Celsius durch. Also Werten, die ungefähr im Jahresdurchschnitt für Mitteleuropa liegen.

AdBlue-Technologie ist innerorts suboptimal

Für die Abgasnachbehandlung mit Harnstoff (AdBlue) ist das schon frostig. SCR-Katalysatoren, die Stickoxide in harmloses Wasser und Stickstoff verwandeln, brauchen Temperaturen um 200 °C, damit sie funktionieren. "Dies wird gerade beim Fahren in Innenstädten zum Problem. Hier werden die optimalen Temperaturbedingungen nicht erreicht und es wird somit weniger NOx reduziert als beispielsweise bei Fahrten auf der Autobahn", erklärt das Umweltbundesamt. Besserung ist erst bei den künftigen Straßenmessungen für Euro 6c (Real Driving Emissions, RDE) in Sicht: Ab September 2017 darf der Stickoxidausstoß neuer Pkw-Typen unter realen Fahrbedingungen maximal das 2,1-Fache des Laborwerts von 80 mg/km erreichen.

Offiziell begrüßt der VDA den RDE-Beschluss des Europaparlaments vom vergangenen Mittwoch. Doch gerade bei vergleichsweise billigen Dieselkleinwagen wissen die Autohersteller noch gar nicht, ob sich die Mehrkosten für die Abgasreinigung überhaupt lohnen. Der Konformitätsfaktor von 2,1 klingt zwar relativ hoch. Doch in derzeitigen Straßentests liegen die meisten Fahrzeuge weit über dem NOx-Ausstoß von 168 mg/km. Ab dem Jahr 2020 müssen neue Fahrzeugtypen die Prüfstandgrenzwerte eins zu eins auf der Straße einhalten. Zulässig ist dann nur noch der Aufschlag für die Messungenauigkeit von 0,5. Das würde das Ende der Dieselstinker bedeuten - wenn nicht der Altbestand von rund 14 Millionen Dieselfahrzeugen in Deutschland wäre. Nach Rechnungen des Umweltbundesamtes wird die Luft in den Innenstädten trotz der neuen Abgasgrenzwerte frühestens 2030 spürbar sauberer.

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