Stickoxid-Belastung:Die blaue Plakette wäre ein echter Gewinn

Feinstaub-Alarm in Stuttgart

Die "blaue Plakette" soll in Zukunft schmutzige Diesel aus Innenstädten verbannen.

(Foto: Bernd Weissbrod/dpa)

Verkehrsminister Dobrindt ist strikt gegen das neue Instrument, mit dem alte Diesel aus den Innenstädten verbannt werden. Doch hätte die Republik stets auf Politik und Autoindustrie gehört, wäre sie nicht weit gekommen.

Kommentar von Michael Bauchmüller

In Deutschlands Städten gibt es ein Problem. Wenn frühmorgens vor den Kindergärten leise die SUVs wummern, wenn Lastwagen über Hauptstraßen brettern und der Berufsverkehr hin- und herrollt, dann kommt eine unangenehme Fracht ins Herz der Stadt: das Stickstoffdioxid. Experten machen es für Hustenreiz, Atemwegsbeschwerden und gereizte Augen verantwortlich, die Zahl der Opfer lässt sich nur grob schätzen. Weil es aber eben mitten in den Städten anfällt, ist das Opfer meistens der Bürger.

Die Umweltminister von Bund und Ländern haben deshalb vorige Woche die Einführung einer "blauen Plakette" vereinbart. Analog zu den bisherigen Feinstaub-Plaketten - diesen roten, gelben oder grünen Aufklebern, die zur Einfahrt in eine Umweltzone berechtigen - soll sie künftig die Einhaltung von Stickoxid-Grenzwerten bei Dieselautos garantieren. Städte könnten damit Zonen ausweisen, die sie von Stickoxiden entlasten wollen; so könnten sie die Konzentration des Gases absenken. Für die Gesundheit der Anwohner wäre das ein echter Gewinn.

Dem Bundesverkehrsminister ist dazu nichts Intelligenteres eingefallen als das Wort "mobilitätsfeindlich". Die Ausweisung solcher Umweltzonen bedeute ein "faktisches Einfahrtverbot" für Dieselautos, befand Alexander Dobrindt: So nicht.

Freie Fahrt und Werterhalt

Hätte die Republik stets auf Verkehrsminister und Autoindustrie gehört, dann wäre sie bis heute nicht weit gekommen. Mit aller Macht bekämpften sie die Einführung des Katalysators, warnten vor immensen Mehrkosten, der kurzen Lebensdauer der Abgasreiniger, höheren Spritkosten. Am Ende war die Angst vor einem sterbenden Wald größer. Die Einführung von Rußpartikelfiltern widerstrebte der Industrie, bis klar wurde, dass auch in der Nachrüstung alter Dieselfahrzeuge ein Geschäft liegen könnte. Himmel und Hölle setzten die Unternehmen in Bewegung, um von strengen Klimaauflagen verschont zu bleiben, oft mit Erfolg. Auch ein Tempolimit wussten sie hierzulande bis zum heutigen Tag zu verhindern.

Kein Wunder, denn ihr Verbündeter ist mächtig: der Autofahrer. Im konkreten Fall sind ihm die freie Fahrt in die City und der Werterhalt seines Fahrzeugs wichtig: Ob es sich noch verkaufen lässt, wenn es irgendwann von Innenstädten ausgesperrt bleibt? Solche Ängste sind verständlich und zeugen doch von einem bemerkenswerten Interessenkonflikt. Als Bewohner von Städten wünscht ein jeder Autofahrer reine Luft und eine Zukunft ohne Lungenerkrankung. Als Halter eines älteren Fahrzeugs aber ist jede neue Auflage nah dran an der Freiheitsberaubung. Dobrindt darf sich insofern breiter Unterstützung gewiss sein, denn das Stickoxid in der Luft sieht man nicht, das Auto vor dem Haus dagegen schon. Nur bringt sein Gerede von der "Mobilitätsfeindlichkeit" die Dinge nicht voran.

Das letzte Mittel der Kommunen

Die blaue Plakette ist, wenn sie denn irgendwann zur Auflage wird, das letzte Mittel der Kommunen. Sie können die Luft unter anderem deshalb nicht rein halten, weil das Dieselauto fast alle Versprechen gebrochen hat. Jahrelang galt es als saubere, klimafreundliche Alternative zum Benziner. Inzwischen ist klar, dass viele Autos selbst jene Normen nicht einhalten, die ihnen in den Fahrzeugpapieren attestiert werden. Die Hoffnung, dass sich die Luft mit höheren Euro-Normen peu à peu bessert, hat sich zerschlagen. In Wahrheit ist das gesundheitsfeindlich.

Ein Fahrverbot für alte Dieselautos hat gravierende Folgen, auch soziale. Es trifft diejenigen am härtesten, die sich ein neues Fahrzeug nicht leisten können; ob sich ältere Autos sinnvoll nachrüsten lassen, ist noch unklar. Es wird Übergangsfristen brauchen und womöglich Förderprogramme, wie es sie etwa für die Nachrüstung von Rußfiltern gab. Aber Autobesitzer können sich ab sofort darauf einstellen, dass die Regeln schärfer werden. Deshalb hilft es nicht, wenn der Verkehrsminister nun die blauen Plakette zu bekämpfen beginnt. Bund, Länder und Gemeinden sollten lieber alles daransetzen, dass sie nie großflächig zum Einsatz kommt: Die Kommunen könnten Radwege ausbauen und Tempo-30-Zonen ausweiten, die Länder könnten sich für einen kostengünstigeren Nahverkehr starkmachen. Die Einhaltung geltender Grenzwerte müsste strenger kontrolliert werden, und zur Abwechslung könnte sich der Bund mal tatsächlich für die Förderung der Elektromobilität einsetzen, statt immer nur groß zu tönen. Verkehr mit immer weniger Abgasen, das wäre mal freundlich. Für alle.

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