Stau vor deutschen WM-Spielen:So kommen Sie rechtzeitig zum Fußballschauen

Autokorso bei der Fußball-WM 2006

Deutsche Fußballfans stehen oft im Stau - meist jedoch eher vor dem Spiel als nach Abpfiff im Autokorso.

(Foto: FRG)

Der Stau ist lang, der Ärger groß: Am Abend spielt Deutschland, aber viele Fans hängen im dichten Verkehr fest. Dabei könnte es viel schneller gehen - wenn Autofahrer ihren Egoismus überwinden.

Von Thomas Harloff

Freitag, kurz vor 18 Uhr: Die deutsche Elf wird gleich gegen Frankreich um den Einzug ins WM-Halbfinale kämpfen - und Deutschland sitzt vor Fernsehern oder Großbild-Leinwänden.

Ganz Deutschland? Zumindest die, die es rechtzeitig an ihr Ziel schaffen. Viele Fans stehen dagegen zum beschriebenen Zeitpunkt im Stau. Auf Autobahnen, den Ring- und Ausfallstraßen der Metropolen, an den Kreuzungen der Innenstädte - eigentlich überall. Das Verkehrsaufkommen ist laut einer Studie des Verkehrsinformationsdienstes Inrix in den zwei Stunden vor Anpfiff besonders hoch. In der Analyse, die beim deutschen Auftaktspiel gegen Portugal durchgeführt wurde, erreicht es zwischen 17 und 18 Uhr seinen Höhepunkt.

Die Straßen sind voller als früher

Nur wenige können sich ihre Zeit so flexibel einteilen, dass sie dem dicksten WM-Verkehr aus dem Weg gehen. Früher Feierabend wegen des Deutschland-Spiels? Nur wenige Chefs haben Verständnis für diese Art der Fußballbegeisterung - nicht nur "Schraubenkönig" Reinhold Würth fürchtet deshalb negative Auswirkungen auf die Produktivität der deutschen Wirtschaft.

Das Phänomen verstopfter Straßen vor WM-Spielen mit deutscher Beteiligung ist heute ein deutlich größeres als früher. Bis 2002 waren Fans vor allem bestrebt, rechtzeitig auf dem heimischen Sofa zu sitzen, wenn der Anpfiff zum Deutschland-Spiel ertönt. Auch damals waren die Straßen in den beiden Stunden vor Anpfiff meist voller als sonst, doch nicht so arg wie heute. Denn inzwischen ist Public Viewing ein Massenphänomen und diejenigen, die in einer möglichst großen Gruppe Fußball schauen wollen, bringen den ohnehin schon zähen Feierabendverkehr zusätzlich ins Stocken. Hinzu kommt das in den vergangenen Jahren enorm gestiegene generelle Verkehrsaufkommen in Deutschland.

Am schnellsten sind die Öffentlichen und das Fahrrad

Vor diesem Hintergrund ist es nicht ganz leicht, Tipps zu geben, wie man sich den Stress im WM-Stau sparen kann. Naheliegend: U- und S-Bahnen mögen überfüllt sein, kommen aber trotzdem meist rechtzeitig an. Wer die Möglichkeit hat, auf diese Verkehrsmittel umzusteigen, fährt so am pünktlichsten. Auf dem Fahrrad kann man sich an den stehenden Autos vorbeischlängeln, aber das ist nur für diejenigen eine Alternative, deren Arbeitsweg nicht zu weit ist. Auch auf dem Motorrad kann man sich theoretisch durch Autoschlangen hindurchzwängen, allerdings haben nur wenige ein Zweirad samt passendem Führerschein. Zudem ist dieses Verhalten rechtlich umstritten und kann zu Strafen führen.

Was also tun, um den Anpfiff nicht im Autoradio hören zu müssen? Wer sich auskennt, kann Schleichwege nutzen, nimmt dadurch aber meist einen längeren Weg in Kauf. Zudem ist es fraglich, ob das Umfahren von Staus wirklich Zeit spart. "Es gibt eine große Auseinandersetzung mit den Herstellern von Navigationssystemen darüber, ob man Wohnstraßen oder verkehrsberuhigte Zonen überhaupt noch als Ausweichrouten empfiehlt, da das Umfahren eines Staus meist eh nichts bringt", sagt Stauforscher Prof. Dr. Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen.

Im Stau am besten die Spur halten

Prof. Dr. Michael Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen

Prof. Dr. Michael Schreckenberg erforscht Staus und deren Entstehung.

(Foto: Fank Preuss; Universität Duisburg-Essen)

Auch das Verlassen von Autobahnen sei höchstens bei einer Vollsperrung sinnvoll. Ansonsten sei das "Stop and Go" effektiver, da die umliegenden Straßen den Verkehr schwer aufnehmen können und der Verkehrsfluss dort durch Knotenpunkte wie Kreuzungen bestimmt werde. Zwar suggeriere die eigene Bewegung das Gefühl, flotter voranzukommen, aber schneller sei man meist, wenn man auf der Autobahn bleibe.

Wenn sich der Stau schon nicht vermeiden lässt, dann soll man doch wenigstens möglichst schnell durchkommen. Hier hat der Experte einen simplen Tipp: "Am besten, man bleibt auf der eigenen Fahrbahn, dann geht es für alle am schnellsten", sagt Schreckenberg. Zwar hätte man im Stau viel Zeit, seine Umgebung zu beobachten und deshalb immer das Gefühl, sich auf der langsameren Spur zu befinden. Trotzdem lohne es sich, dort zu bleiben, denn Spurwechsel erzeugten immer Stauwellen, die sich nach hinten ausbreiten und dort für einen zähen Verkehrsfluss sorgen würden.

Der Stau - kein Ort für Egoisten

Dass der Verkehr stärker stockt als nötig, liegt laut Experten vor allem am Egoismus der einzelnen Fahrer. Schreckenberg schätzt, dass ein kooperativeres Verhalten auf der Straße zehn bis 20 Prozent weniger Staus verursachen würde. "Aber die Stauwellen bekommt man ja nicht mehr mit, deshalb sind sie den meisten Leuten egal." Auch Verkehrspsychologen sehen in der Ich-Bezogenheit der Autofahrer ein großes Problem: "Die Egozentrik, die man im Fahrzeug auslebt, müsste man zurückstellen und einsehen, dass die Teilnahme am Verkehr auch eine soziale Komponente hat", sagt Prof. Dr. Wolfgang Fastenmeier von der Psychologischen Hochschule Berlin. "Wer stets auf seinem Recht beharrt, zum Beispiel bei Grün in eine Kreuzung einfährt, die noch nicht geräumt ist, verhält sich völlig kontraproduktiv."

Für den Freitagnachmittag, den Termin des Viertelfinales Deutschland gegen Frankreich, kommt ein weiterer Aspekt erschwerend hinzu: In Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, beginnen die Sommerferien. Die ersten Urlaubsfahrten summieren sich also zum normalen Pendler-, Berufs- und WM-Verkehr. Dafür verteile sich das Verkehrsaufkommen erfahrungsgemäß an Freitagnachmittagen besser als an anderen Wochentagen, da viele Arbeitnehmer an diesem Tag früher Feierabend machen, sagt eine Sprecherin des Verkehrsinformationsdienstes Inrix.

Grillen auf der Autobahn, wenn Deutschland spielt

Wer während der WM-Zeit freie Fahrt haben möchte, muss auf andere Zeiten ausweichen - und am besten dann starten, wenn die deutsche Elf gerade spielt. Laut Inrix-Statistik nahm der Verkehr am Tag der Partie gegen Portugal in Berlin, Köln und München pünktlich zum Anpfiff stark ab. In Düsseldorf und Hamburg schafften es viele Autofahrer nicht rechtzeitig zum Spielbeginn vor den Fernseher, weshalb das Verkehrsaufkommen erst im Laufe der ersten Halbzeit signifikant abnahm.

Schreckenberg hat ähnliche Beobachtungen während der WM 2002 gemacht. "Während des Finals zwischen Deutschland und Brasilien haben wir auf der A40 gerade einmal durchschnittlich zwei Autos pro Minute gezählt. Da können Sie auf der Straße grillen", sagt der Stauexperte. Die A40, bekannt als "Ruhrschnellweg", verbindet die Metropolen des Ruhrgebiets und gilt als dessen Schlagader. An einem gewöhnlichen Tag bewältigt die Straße am Dreieck Essen-Ost etwa 125 000 Autos am Tag. Rechnet man die Zahlen des WM-Finales 2002 hoch, waren es weniger als 3000.

Kaum Behinderungen durch Autokorsos

Auch die Gefahr, durch Autokorsos aufgehalten zu werden, ist in diesem Jahr gering. Zwar stieg laut Inrix am 16. Juni in Köln, Hamburg und Düsseldorf der Verkehr nach Spielende wieder an, aber in deutlich geringerem Maße als bei früheren Fußball-Großereignissen. In Berlin und München war das Verkehrsaufkommen direkt nach Spielschluss sogar geringer als an einem normalen Montag im Juni.

Kein Wunder: Autokorsos sind ein aus den südlichen Staaten Europas nach Deutschland exportiertes Phänomen, aber Italien, Portugal, Spanien oder die Türkei sind bereits ausgeschieden oder waren bei der WM gar nicht erst dabei. Bleibt zu hoffen, dass der DFB-Elf ein ähnliches Schicksal erspart bleibt. Denn Erfolge der deutschen Mannschaft lassen den Stauärger vor dem Spiel schnell vergessen.

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