Stadtverkehr:Geld für alle

Die Fahrgastzahlen bei Bus und Bahnen sind eingebrochen. Statt Kaufanreize für Neuwagen fordert der Berliner Sozial- und Verkehrsforscher Andreas Knie deshalb eine Mobilitätsprämie, um die Vielfalt an urbanen Verkehrsträgern zu sichern.

Interview von Thomas Hummel

Andreas Knie

Andreas Knie leitet die Forschungsgruppe "Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung" am Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung (WZB).

(Foto: David Ausserhofer/WZB)

Plötzlich war Stille, der Verkehr war weg. Die Ausbreitung des Virus und die daraus folgenden Ausgangsbeschränkungen führten für ein paar Wochen zu einem ungewöhnlichen Stadterlebnis. In den Quartieren bewegten sich vor allem Fußgänger und Radfahrer. Wird diese Erfahrung einen Impuls zur dauerhaften Reduzierung des Autoverkehrs setzen? Was wird aus dem Öffentlichen Nahverkehr? Der Soziologe Andreas Knie, 59, vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung WZB beschäftigt sich seit Jahren mit Fragen der Mobilität und führt gerade eine erste Studie zum Verkehr in Corona-Zeiten durch.

SZ: Herr Knie, Sie werben seit langem darum, dass in Städten weniger Autos fahren sollen. Nun hat ausgerechnet eine lebensbedrohliche Pandemie die Forderung erfüllt.

Andreas Knie: Das war in diesem Sinne tatsächlich ein Geschenk. Wir haben beim motorisierten Individualverkehr deutschlandweit einen Rückgang von 30 Prozent gesehen, in Großstädten bis zu minus 40 Prozent. Einen solchen Einschnitt hat es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben.

Was bewirkt das bei den Menschen?

Sie erkennen, dass eine Stadt mit weniger motorisiertem Verkehr eine lebenswertere Stadt ist. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Öffentliche Nahverkehr, der Flugverkehr oder der Bahnreiseverkehr noch stärker zurückgegangen sind. Auch der Radverkehr reduzierte sich, wenngleich schwächer. Seit den Lockerungsmaßnahmen der Regierung steigt vor allem der Autoverkehr wieder stark an, teilweise liegt er auf 80 Prozent des Vor-Corona-Niveaus.

Welche Auswirkungen wird die Lockdown-Erfahrung langfristig haben?

Die Menschen glauben nicht, nach Corona werde die Verkehrswelt eine völlig andere sein. Aber in Teilen wird sie sich verändern. Viele Leute überlegen, künftig nicht mehr täglich ins Büro zu fahren, sondern teilweise im Home Office zu bleiben. Wir gehen davon aus, dass die beruflichen Fahrten um etwa 20 Prozent zurückgehen werden. Angesichts der großen Pendlerströme ist das eine relevante Größe.

Werden viele Nutzer des ÖPNV aus Angst vor Ansteckung aufs Auto umsteigen?

Es gibt dafür bislang keine Anhaltspunkte. Wir sehen keinen Trend, dass die Menschen sagen: Oh Gott, jetzt fahre ich nicht mehr mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, weil da die Viren mitfahren. Die Passagiere tragen jetzt einen Mundschutz und wollen Abstand halten. Das kann bei einem schnellen Anstieg der Kundenzahlen kurzfristig zum Problem werden. Deshalb gehen wir davon aus, dass der motorisierte Verkehr vorübergehend anwächst, aber das wird nicht von Dauer sein. Die Menschen werden irgendwann wieder in Kneipen und Bars gehen, also auch mit der U-Bahn fahren.

Wie sieht es mit den Pop-Up-Radwegen aus, also Fahrspuren auf Berliner Hauptstraßen, die quasi über Nacht zu Fahrradstreifen umgewandelt wurden?

Die Gesellschaft diskutiert seit fünf, sechs Jahren über die Ausweitung des Radverkehrs, in Berlin schreibt ein Mobilitätsgesetz seit 2018 die Bevorzugung des Radverkehrs gegenüber dem Pkw-Verkehr vor. Für die neu ausgewiesenen Radwege lagen die Pläne schon in der Schublade. Was der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg als ausführende Behörde tatsächlich im Zuge der Pandemie geschafft hat, war die schnelle Umsetzung dieser Vorhaben. Das sehen wir sonst in keiner deutschen Stadt. Dazu braucht es Mut, denn plötzlich fehlt eine komplette Parkspur auf jeder Seite. Alteingesessene sagen mir, das sei die einschneidendste Veränderung seit Kriegsende. Man kann am Kottbusser Damm praktisch nicht mehr parken.

Was sagen die Gewerbetreibenden?

Auf beiden Seiten der Straße reihen sich Geschäfte und Restaurants aneinander. Die Hälfte der Betreiber klagt, dass niemand mehr vor ihrer Tür parken kann. Die andere Hälfte freut sich über zusätzliche Fahrradfahrer als Kunden. Denn Studien zeigen seit Jahren: Wo viel Urbanität ist, wo viel Fahrradverkehr ist, wo wenig Blech ist, dort steigen die Umsätze.

Der ADAC und Wirtschaftsvertreter fordern dennoch den Rückbau der Radwege. Tun sich die bekannten Gräben auf?

Die Kritik kommt, aber längst nicht so stark wie früher. Wir haben eine deutliche Pro-Fahrrad-Stimmung in der Stadt. Das betrifft auch andere Städte, wie man an den Wahlergebnissen sieht. Der neue Oberbürgermeister von Hannover, Belit Onay von den Grünen, wurde Ende 2019 gewählt mit dem klaren Bekenntnis, die Zahl der Autos zu reduzieren. In München will die neue grün-rote Stadtratsmehrheit diesen Weg gehen. In vielen kommunalen Verwaltungen sehen wir die Tendenz, mehr Fahrradwege zu bauen. Und das geht leider nur, indem man dem Autoverkehr Platz nimmt. Dieser Trend beschleunigt sich nun massiv, da wirkt Corona wie ein Brennglas. Wir werden auch mehr Zebrastreifen oder Tempo-30-Zonen bekommen. Die Akzeptanz in der Bevölkerung dafür ist hoch.

Auf der anderen Seite wird wie 2008 einen Neuwagen-Kaufprämie gefordert. Wie passt das zusammen?

Das passt gar nicht. Die Politik reagiert auch deutlich zögerlicher darauf. Schon bei der Abwrackprämie 2009 haben vor allem ausländische Hersteller profitiert. Auch dieses Mal wird so eine Prämie nicht funktionieren, das sagen eigentlich alle Ökonomen und andere Wissenschaftler. Da wäre es viel schlauer, eine Mobilitätsprämie zu schaffen: Nicht der Kauf eines Autos wird subventioniert, sondern die Fahrt in einem Taxi, in einer U- oder S-Bahn, in einem Mietwagen, einem Carsharing-Wagen. Das wäre ein Anreiz, die Vielfalt an Verkehrsträgern zu sichern. Es würde auch die ganz schlimmen Finanzierungsprobleme des ÖPNV mildern.

Der Flugverkehr erlebt dramatische Einbrüche. Wie geht es hier weiter?

Die Flugindustrie liegt quasi am Boden. Nach letzten Zahlen ging der Flugverkehr um 98 Prozent zurück. Das wird nicht mehr auf das alte Niveau hochfahren. Wir gehen davon aus, dass Lufthansa und Co. dazu gezwungen sind, viele unrentable Inlandsflüge nicht mehr anzubieten. Hier dürfte es künftig deutlich weniger Verbindungen geben. Auch die Billig-Airlines wie Ryanair oder Easyjet werden nicht mehr auf das alte Niveau kommen.

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