Spritpreise in Deutschland:Alles auf teuer

Kaum ein Markt ist so undurchsichtig wie das Geschäft an den Tankstellen. Der SZ-Spritmonitor erklärt die Geheimnisse hinter den Kraftstoffpreisen und zeigt, welche Macht die großen Ketten haben.

Von Wolfgang Jaschensky und Thomas Harloff

Wittener Straße 45 in Bochum. Hier residiert die Aral AG, mit 2364 betriebenen Tankstellen Deutschlands größte Kraftstoffmarke. Wenn hier an der Preisschraube gedreht wird, beeinflusst das die Benzin- und Dieselpreise in ganz Deutschland.

So wie jetzt, kurz vor Ostern. Das lange Wochenende steht an und prompt gehen die Preise an den Tankstellen um mehrere Cent in die Höhe - Tendenz steigend. Ein Phänomen, hinter dem viele illegale Preisabsprachen der großen Tankstellenketten vermuten.

Doch die brauchen die großen Mineralölkonzerne gar nicht. Das Bundeskartellamt stellte im Mai 2011 nach einer eingehenden Analyse fest, dass sich die fünf großen Unternehmen BP (mit der Marke Aral), Phillips 66 (Jet, zum damaligen Zeitpunkt ConocoPhillips), ExxonMobil (Esso), Shell und Total keine wesentliche Konkurrenz machen, da sie ein marktbeherrschendes Oligopol bilden. "Es bedarf bei solchen Marktstrukturen nicht zwingend einer Absprache", sagt der Präsident des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt. "Die Unternehmen verstehen sich ohne Worte. Das führt zu überhöhten Preisen."

Aral ist am teuersten

Eine Konsequenz aus dem Kartellamtsbericht war eine neue Behörde: die Markttransparenzstelle für Kraftstoffe. Hierhin müssen die Tankstellen ihre aktuellen Preise melden. Bei der Auswertung dieser Daten, die SZ.de erstmals strukturiert vorlegt, zeigt sich eindeutig: Die beiden Marktführer sind auch die teuersten Anbieter. Ganz vorne liegt Aral mit Durchschnittspreisen von 1,523 Euro pro Liter Super E10 und 1,402 Euro je Liter Diesel. 0,4 Cent dahinter liegt Shell, mit etwa 1900 Tankstellen auch bei der Zahl der Tankstellen die Nummer 2 in Deutschland. In ähnlichen Abständen folgen die anderen teuren Premiummarken, in der Branche A-Marken genannt: OMV, Total, Esso und Agip.

Am günstigsten ist der SZ-Analyse zufolge Jet. Die Marke, die immerhin knapp 600 Tankstellen in Deutschland betreibt, liegt beim Super E10 4,6 Cent und beim Diesel sogar fünf Cent unter den Preisen von Aral. Der Preisunterschied ist damit deutlich größer als sich vor Ort feststellen lässt, wo meist weniger als zwei Cent zwischen der B-Marke Jet und der A-Marke Aral liegt. "Die Strategie der B-Marken lautet eigentlich: Ein, zwei Cent günstiger ist okay, das löst noch keinen Preiskrieg aus", sagt Steffen Bock, Geschäftsführer des Preisvergleichsportals clever-tanken.de, der den Markt seit 15 Jahren genau beobachtet.

Der Effekt wird allerdings dadurch verstärkt, dass die Marktführer Aral und Shell die Preise vor der Konkurrenz erhöhen. Eine weitere Erklärung für den großen Preisunterschied könnte die Lage der Tankstellen sein. Für Zapfsäulen an Autobahnen oder in Stadtzentren kann jeder Anbieter mehr verlangen als etwa am Stadtrand, wo günstige Supermarkttankstellen um die Gunst der einkaufenden Autofahrer buhlen. Da die Strategie der A-Marken klar auf die teuren Lagen abzielt, verstärkt das den Preisunterschied zur Konkurrenz. Ketten wie Jet bieten zudem immer wieder Aktionspreise an. Die Marktführer Aral, Shell und Esso verzichten auf solche Maßnahmen.

Aral erklärt seine gehobenen Preise mit dem Premiumanspruch. Das Unternehmen investiere viel Geld in Kraftstoffforschung und Qualitätskontrollen, sagt Pressesprecher Detlef Brandenburg. "Unser Anspruch diesbezüglich ist sehr hoch. Wir bieten ausschließlich Qualitätskraftstoffe und dementsprechend umfangreiche Garantien an." Außerdem, so scheint es, lässt sich Aral nicht so sehr auf regionale Preiskämpfe ein.

Neben den großen Ketten bestimmen unzählige freie Tankstellen den Markt in Deutschland mit. Allerdings ist aus der Datenbank der Meldezentrale nicht klar einzugrenzen, welche Tankstelle wirklich eigenständig ist, welche zu einer Supermarktkette gehört oder einem Autowaschkonzern wie Mr. Wash. Deshalb sind all diese Tankstellen in einer Kategorie zusammengefasst. Im Schnitt ist diese Sammelkategorie teurer als die günstigen Ketten Jet und Oil. Ein Blick in die Daten zeigt jedoch, dass gerade die Wasch- und Supermarkt-Tankstellen die günstigsten sind. Das Kalkül der Betreiber: Wer zum Tanken kommt, bleibt zum Einkaufen oder Autowaschen.

Das System der Kraftstoffpreise

Hinter den Kraftstoffpreisen steckt ein ausgeklügeltes System. Grundsätzlich gilt: Preiserhöhungen werden zentral für ganz Deutschland aus der jeweiligen Firmenzentrale gesteuert. Diese werden zwar regional verteilt, sozusagen an die Gegebenheiten eines Teilmarktes angepasst. Allerdings hat der Tankstellenbetreiber im ersten Schritt keinen Einfluss auf die Preisgestaltung an seiner Station.

Erst im zweiten Schritt, bei der Feinabstimmung der Preise, kommt er ins Spiel: "Unsere Preise sollen stets wettbewerbsfähig sein", sagt Aral-Sprecher Detlef Brandenburg. Ein Tankstellenbetreiber schaut sich in seiner Region an, welche Station den Kraftstoff zu welchen Preisen verkauft und meldet das der Aral-Zentrale in Bochum und bittet gegebenenfalls, den Preis zu senken. Das passiere laut Brandenburg so lange, bis die Preise nicht mehr wirtschaftlich sind und "zum Zeitpunkt x" wieder angehoben werden.

Ein Blick in die Statistik zeigt, wann der "Zeitpunkt x" erreicht ist und welche Gesetzmäßigkeiten bei der Preissetzung herrschen. Aral dreht zwischen 19 und 20 Uhr massiv an der Preisschraube. Dann steigt der Preis an manchen Tagen gleich um mehr als zehn Cent. Stellt sich später heraus, dass der Preis für ein bestimmtes Gebiet zu hoch eingestellt wurde, justiert Aral die Preise so nach, dass es für die jeweilige Region wieder passt. Bis zum nächsten Morgen bleiben die Preise stabil. Im Laufe des folgenden Tages fallen sie dann kontinuierlich bis zum "Zeitpunkt x", und das Spiel geht von vorne los.

Shell ändert seine Preise deutlich öfter als Aral, im Schnitt pro Station 13,26 Mal am Tag. Wie der Marktführer justiert auch Deutschlands zweitgrößte Kette zwischen 19 und 20 Uhr besonders oft, führt aber auch noch zwischen 11 Uhr und 12 Uhr sowie zwischen 14 Uhr und 15 Uhr Preisrunden durch.

Die beiden großen Gesellschaften haben also offensichtlich unterschiedliche Strategien, auch wenn sie letztlich zu ähnlichen Durchschnittspreisen führen. Und ihre Preise bestimmen, was die anderen Ketten machen: "Nur die Marktführer haben die Macht, ihre Preise durchzusetzen. Das sind Aral und Shell", sagt Spritpreis-Experte Steffen Bock. "Alle anderen richten sich nach den Marktführern und ziehen ihre Preise nach."

Was er damit meint, zeigt die Kurve von Jet, die exemplarisch für die A-Marken Agip, Esso, OMV und Total sowie für fast alle B-Marken steht. Diese Gesellschaften führen ihre größte Preisrunde zwischen 21 und 24 Uhr durch. Sie warten also, bis die Marktführer ihre Preise festgesetzt haben und werden dann selbst aktiv.

Die österreichische Regelung als Vorbild?

Doch warum die Mühe, wenn laut Bundeskartellamt zwischen den Tankstellenketten sowieso kein Wettbewerb herrscht? Die Gesellschaften versuchen so, trotz eines schrumpfenden Marktes weiterhin Gewinn zu machen. "Ende der Neunzigerjahre gab es zwischen 50 und 60 Preisänderungen pro Jahr", sagt Detlef Brandenburger von Aral. "Seitdem ist der Kraftstoffabsatz kontinuierlich gesunken, aber es gibt kaum weniger Tankstellen. Über die Preisänderungen wird versucht, das aufzufangen." Zudem ist es heute dank Internet und weitreichender Vernetzung deutlich einfacher als früher, die Preise zu ändern und - aus Sicht der Tankstellenketten - zu optimieren.

Den Autofahrern ist dieses Verhalten schwer zu vermitteln. "Die Verbraucher ärgern sich mehr über die Preisänderungen als über die Preise an sich", sagt Richard Enning, als Vorstand zuständig für das Tankstellengeschäft des Autowäsche-Anbieters Mr. Wash. "Die Preissensibilität ist zwar da, aber sie könnte noch größer sein. Das zeigt das Beispiel E10: Viele Kunden könnten das billigere E10 tanken, greifen aber zum teureren E5."

Österreich versucht derzeit, die Preisgestaltung an den Tankstellen verbraucherfreundlicher zu gestalten. Bei unseren Nachbarn dürfen die Preise nur einmal täglich erhöht werden, und zwar immer mittags um zwölf Uhr. Experten bezweifeln jedoch, dass dieses Modell einen echten Nutzen bringt. "Wir sind nicht der Meinung, dass die österreichische Lösung gut ist", sagt Jürgen Albrecht, der beim ADAC Referent für Verkehrswirtschaft und -politik ist. "Das führt zu Staus an den Tankstellen, kurz bevor das passiert, zum Beispiel um 11.30 Uhr." Das Bundeskartellamt verzichtet auf eine Wertung. "Das ist ein Modell, das man machen kann", sagt ein Sprecher des Amtes. "Wir stehen dem neutral gegenüber."

Und so werden die Autofahrer in Deutschland weiter mit vielen Preisänderungen leben müssen. Doch der SZ-Spritmonitor macht es einfacher, trotzdem günstig zu tanken. Die hier beschriebenen Analyseergebnisse zeigen, wie man das deutsche Spritpreissystem für sich nutzen kann.

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