Sportwagen im Fahrbericht:Der 812 Superfast fordert die Vernunft heraus

Ferrari 812 Superfast

Der neue Ferrari 812 Superfast kostet mindestens 282 934 Euro.

(Foto: Ferrari S.p.A.)

Bei diesem Ferrari ist die Grenze zwischen Gut und Böse verdammt schmal: Erlebnisse mit einem Auto, in dem der Horizont in einem Tempo näherkommt, das Angst macht.

Von Georg Kacher

Es gibt Autos, die verursachen Zündaussetzer im Herzen. Lassen den Blutdruck in den Grenzbereich schnellen. Stellen unseren Adrenalin-Haushalt auf den Kopf. Ein solches Auto ist der Ferrari 812 Superfast. Und für die, die eher auf nackte Zahlen stehen, sei dieser Hochleistungs-Gran-Turismo so beschrieben: 340 km/h Höchstgeschwindigkeit, 7,0 Sekunden von 0 auf 200 km/h, 8900 Umdrehungen Höchstdrehzahl. Weder emotionale noch faktenorientierte Auto-Enthusiasten dürfte dieser neue Ferrari kalt lassen.

Das gilt erst recht für jene, die ihn einmal fahren dürfen. Denn erst dann werden die Worte und Zahlen erlebbar. Ein kurzer Druck auf den Start-Engine-Knopf, und der Motor brummt sich untertourig warm, das Getriebe wartet leise sägend auf seinen Einsatz, die Monitore beidseits des großen, gelb hinterlegten Drehzahlmessers füllen sich mit Balken, Skalen und Zahlen. Head-Up-Display, Assistenzsysteme, zukunftsweisende Connectivity? Ci dispiace, tut uns leid, haben wir nicht, kommen Sie doch in ein paar Jahren wieder. Dafür gibt es bequeme Sitze und die Ferrari-typische Position hinter dem Lenkrad, die selbst bei gestreckten Armen dazu zwingt, die Beine anzuwinkeln.

In der weitläufigen, zerklüfteten Hügellandschaft westlich der Ferrari-Heimat Maranello könnten die meisten Kurven unter Denkmalschutz stehen, so holprig ist der Asphalt. Gegen das schroffe Terrain ist der Ferrari 812 durch verstellbare Dämpfer gewappnet. Ein Tastendruck, und das Fahrwerk schaltet von ziemlich unerbittlich auf beinahe geschmeidig um. Hinzu kommen die üblichen Verstellmöglichkeiten für die elektronische Fahrdynamikregelung, einzustellen an einem kleinen Rädchen am Lenkrad, das Ferrari-Fans als Manettino geläufig ist.

Wer den 812 bändigen möchte, sollte damit verantwortungsbewusst umgehen. Denn die 800 PS sind 600 PS zu viel für all die blinden Kuppen und scharfen Ecken, die es hier gibt. Aber sobald die Straße aufmacht, durchstößt der Superfast sekundenschnell die Schallmauer zu einem surrealen Paralleluniversum. Vor allem oberhalb von 6000 Umdrehungen stellt der Ansaugtrakt auf Durchzug, brüllen sich die vier Auspuffrohre heiser, wirkt das von 690 auf 718 Newtonmeter gestiegene maximale Drehmoment. Da kommt der Horizont mit einem Tempo näher, das Angst macht.

In 2,9 Sekunden beschleunigt Ferraris Neuer von null auf 100 km/h, und dieser Schub lässt zwischen 130 und 250 km/h kaum nach. Das liegt nicht nur am Motor mit seinen 6,5 Litern Hubraum, sondern auch am Getriebe, das im Vergleich zum Vorgänger F12 enger gestuft ist und um 30 Prozent schneller schaltet.

Die Fliehkraft raubt einem fast den Atem

Das körperlich erlebbare fahrdynamische Talent des 812 Superfast bedarf dagegen keiner numerischen Bestätigung. Zuerst raubt die Fliehkraft fast den Atem, dann kreischen sich die Reifen warm, und irgendwann, an der schmalen Grenzlinie zwischen Gut und Böse, setzt das Ferrari-Heck zum Überholen an. Das ist der Moment, in dem endgültig klar wird: Dieses Auto ist eine Droge fürs Ego und eine Kampfansage an die Vernunft.

Neben den mitlenkenden Hinterrädern ist die ausgefeilte Aerodynamik des 812 ein Hauptgrund für dessen Kurvenkünste. Er leitet die anströmende Luft nicht einfach nur um - er filetiert, portioniert und ziseliert sie. Durch Schlitze und Waben, die Backen der Bugschürze und die doppelwandigen C-Säulen, das Zusammenspiel von Deflektoren, Diffusoren und drei verstellbaren Flügelchen. Bei hohem Tempo baut der Unterboden eine spürbare Saugwirkung auf. Hat da jemand "Formel-1-Technik" gesagt?

Das Design dürfte zur Diskussion einladen

Als maximalen Verzögerungswert von 100 auf Null nennt Ferrari 32 Meter, hervorgerufen von einer extragroßen Bremsanlage und noch extraklebrigen Reifen. Das ist Weltklasse, wird aber erkauft mit erhöhtem Kraftaufwand, entsprechend mäßiger Dosierbarkeit und leicht verzögertem Zupacken. Auf einer ebenen Rennstrecke reduziert die steifere Aufhängung Karosseriebewegungen auf ein Minimum. Auf einer unebenen Landstraße gerät die Abstimmung jedoch an ihre Grenzen - bei vollem Leistungseinsatz wohlgemerkt.

Dass der 812 mit 14,9 Liter auf 100 Kilometer etwas weniger verbraucht als der F12, wird die Zielgruppe ebenso wenig interessieren wie der auf 282 934 Euro angehobene Listenpreis. Das neue Interieur mit dem höheren Aluminium- und Karbonanteil dürfte bei den meisten Kunden gut ankommen, doch das Design polarisiert. Lange Schnauze, gestauchtes Heck, das kennt man von einem Zwölfzylinder-Ferrari. Aber über das zerklüftete Heck, das extrovertierte Zusammenspiel von Falzen und Fugen, die teils prolligen Anbauteile und die im Winkel versetzten Rückleuchten, Endrohre und Diffusorklingen dürfte an den einschlägigen Stammtischen angeregt diskutiert werden.

Klar, der 812 ist zu breit, zu wenig effizient und natürlich viel zu schnell für diese Welt. Doch dann ist da diese Farbe: Ferrari-Rot. Genauer: 70-Jahre-Jubiläums-Rot, das die 1947 gegründete Marke eigens anmischen ließ. Eine Farbe, die dem V12-Coupé mit dem selbstbewussten Superfast-Schriftzug dann doch ganz hervorragend steht. Nach einen halben Tag 812 ist man sowieso angefixt. Ein Glück, dass einen die Schufa-Auskunft vor Schlimmerem bewahrt. Man würde sich sonst schlicht ins Unglück stürzen mit diesem Ferrari.

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