Smart Vision EQ:Maschine mit menschlicher Gestik

Smart Vision EQ: 2022 soll die Vision vom selbständig fahrenden, elektrisch angetriebenen Smart Fortwo Wirklichkeit werden.

2022 soll die Vision vom selbständig fahrenden, elektrisch angetriebenen Smart Fortwo Wirklichkeit werden.

(Foto: Daimler AG)
  • Daimler stellt mit der Smart Vision EQ ein selbstfahrendes Robotertaxi für den dauerhaften Carsharing-Einsatz vor.
  • Von 2022 an sollen solche elektrisch angetriebenen Kleinwagen helfen, den Individualverkehr in den Städten zu halbieren.
  • Der Smart kann mit seiner Umgebung über Monitore kommunizieren. Das soll mehr Akzeptanz für die Technologie schaffen und Ängste mindern.

Von Joachim Becker

Bei diesem Auto stimmt aber auch gar nichts. Die Türen haben weder Griffe noch sichtbare Scharniere. Stattdessen werden sie elektrisch geöffnet und drehen sich flügelartig über der Hinterachse. Auch die angedeutete Motorhaube und das große Kühlermaul sind irreführend. Die schwarze Front, die bei konventionellen Autos den Motor verbirgt, ist hier ein großer Bildschirm. Die Türen werden mit programmierbarer Folie ebenfalls zu Projektionsflächen in Richtung Außenwelt.

Auf freie Sicht muss der Smart Vision EQ keine Rücksicht mehr nehmen: Als vollautonomes Fahrzeug verzichtet er ohnehin auf Lenkrad und Pedale. Der Zweisitzer zeigt, wie urbanes Carsharing in Zukunft aussehen könnte: Mit Robotertaxis, die ihre Passagiere wie Chauffeure abholen und punktgenau am gewünschten Zielort abliefern.

Solche Konzepte sind komfortabler als ein privates Auto, weil die leidige Parkplatzsuche entfällt. Billiger als ein eigenes, im Schnitt sehr oft stehendes Fahrzeug sind sie sowieso: Statt 23 Stunden pro Tag ungenutzt am Straßenrand auf die nächste Tour zu warten, rollt der Fahrroboter gleich weiter zum nächsten Kunden. Bei Leerfahrten können Informationen zu lokalen Events, zum Wetter oder schlicht Werbung angezeigt werden: Das Robotertaxi muss permanent Geld verdienen, um günstiger zu sein als die von Menschen gesteuerte Konkurrenz.

Den Städten verspricht Daimler eine Halbierung des Individualverkehrs, wenn alle Autofahrer in solche Kabinenroller ohne Lenkrad umsteigen. Angesichts der steten Urbanisierung werden viele Metropolen um innovative Verkehrslösungen nicht herumkommen. Fragt sich nur, ob die Stadtbewohner mitspielen.

Mit Carsharing verdient Daimler aktuell noch kein Geld

"Wir wissen aus Befragungen, dass es einen großen Bedarf an Robotertaxis gibt", sagt Smart-Chefin Annette Winkler, "viele Carsharer entscheiden sich bewusst gegen Bus und Bahn, weil sie die Privatsphäre eines Autos genießen wollen." Allerdings geht der Wunsch nach einem Eigenraum auf überfüllten Straßen nicht so weit, dass der durchschnittliche Car-Sharer mehr als 300 Meter zu Fuß zurücklegen würde. Das musste Daimler von seinen mittlerweile 2,7 Millionen car2go-Kunden lernen. Zehn Jahre nach dem Start des sogenannten Free Floating Carsharing ohne festes Stationsnetz sind 14 000 Spontanmietwagen von car2go unterwegs. Geld verdienen die Stuttgarter damit immer noch nicht. Jede der bislang 26 versorgten Städte muss erst mit ihren individuellen Strukturen aufwendig erobert werden.

Trotzdem glaubt Daimler an eine Zukunft des Carsharings - gerade in Kombination mit der Elektromobilität und dem autonomen Fahren. "Wenn es eine Marke gibt, die ideal zur E-Mobilität passt, dann ist es Smart", glaubt Annette Winkler. Der Stadtflitzer komme mit relativ kleinen Batterien und gut 100 Kilometer elektrischer Reichweite aus. Mit seinen 2,69 Metern Länge sei der Smart Fortwo ein radikales Stadtauto, "erst Recht als Robotertaxi, das ständig in Bewegung ist".

Smart kehrt zu seinen Wurzeln zurück

Mit der Vision EQ kehrt Smart zu den Wurzeln der Marke zurück. Schon vor gut 20 Jahren sollten Flotten der rollenden Eier die Städte von Staus und schlechter Luft befreien. Das Mobilitätskonzept setzte sich zögerlich durch. Daimler schrieb nicht nur mit dem Carsharing, sondern auch mit der Marke Smart jahrelang rote Zahlen.

Jetzt soll alles anders werden. Die Nachfrage nach dem neuen Smart Fortwo electric drive ist groß, kurz nach seinem Start hat er Platz zwei der Zulassungsstatistik für Batterieautos erobert. Auch als Robotertaxi soll der Cityflitzer ein Erfolg werden: "Wir gehen davon aus, dass autonomes Fahren im Jahr 2025 in Städten rentabel sein wird", sagt Daimler-Zukunftsforscherin Marianne Reeb.

Baby-Face statt aggressiver Front

Allerdings zunächst nur im dauerhaft eingesetzten Carsharing-Taxi. Vollautonome Fahrzeuge werden in Herstellung und Technologie erheblich teurer sein als konventionelle. Stand heute würde das Computer-Hirn für eine komplette Umfelderkennung und Fahrwegsplanung gar nicht zusätzlich zu den Passagieren und etwas Gepäck in einen Smart Fortwo passen. Außerdem wäre der Bedarf an elektrischer Energie so groß, dass die Reichweite des Stromers empfindlich leiden würde. Aber das sind lösbare Probleme angesichts rasanter Fortschritte bei den Miniatur-Rechenzentren.

Kritischer könnten die Akzeptanzprobleme in Bezug auf die autonomen Autos sein: Wer lächelt Passanten am Zebrastreifen aufmunternd zu, wenn kein Fahrer mehr das Bremsen und Lenken übernimmt? Um das Image des freundlichen Stadtautos zu pflegen, sendet das Show-Fahrzeug Video- und Text-Botschaften an die Umstehenden. Nicht nur der schwarze Monitor, wo bei heutigen Autos der Kühlergrill sitzt, auch die Frontscheinwerfer werden zur Simulation menschlicher Gesten eingesetzt. Weil ein autonomes Fahrzeug sein Umfeld mit Lidar-Scannern aktiv ausleuchtet, kann das Stadtauto auf konventionelle Scheinwerfer verzichten - und mit seinen LED-Leuchtdioden zwinkern. Das Baby-Face soll die Angst vor einem PS-starken, technoiden Wesen mindern, das den Menschen so verunsichern kann wie kein anderer Roboter zuvor.

Ein blauer Teddy mimt den "Travel buddy"

Auch der Innenraum des Smart Vision EQ wird von einem Bildschirm im Breitwand-Format dominiert. Wer sich im abwaschbaren Kunstleder-Cocon trotzdem einsam fühlt, kann mit einem blauen Teddy knuddeln. Bei einer verspielt-verrückten Marke sei so ein "Travel buddy" oder Reisebegleiter mit Augenzwinkern erlaubt, finden die Smart-Designer.

Inwieweit das blaue Bärchen gegen die Angst vor autonomen Autos hilft, werden erste Testerfahruungen zeigen müssen. Sicher ist nur, dass Daimler und Bosch ernsthaft an Robotertaxis arbeiten. 2022 sollen der Smart und andere selbständig fahrende Mobile serienreif sein. Bereits vorher werden Pilotprojekte in aller Welt starten. Großstadtbewohner sollten also darauf achten, ob ihnen demnächst ein Auto zuzwinkert.

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