Smart Cities:Diese Ideen können unsere Städte lebenswerter machen

Smart Cities: undefined
(Foto: Illustration Stefan Dimitrov)

Transport, Luftqualität und Energieverbrauch sind Probleme für überfüllte Ballungsräume. Die Digitalisierung soll sie lösen. Doch nicht alle Ansätze führen zum Erfolg.

Von Joachim Becker

Wirklich smart sind autogerechte Städte nicht. Staus und überlastete Zentren halten 80 Prozent der Befragten für die größten Probleme. Das zeigt eine neue Allensbach-Umfrage im Auftrag von Acatech (Deutsche Akademie der Technikwissenschaften). Laut der Studie liegen Luftverschmutzung und Lärm mit jeweils über 60 Prozent auf den weiteren Plätzen. Geteilter Meinung sind die Befragten, wie die Verkehrsprobleme zu lösen sind. 46 Prozent fordern ein systematisches Umdenken im Verkehrssektor; 43 Prozent halten Korrekturen in einzelnen Bereichen für ausreichend.

Wie sind die Deutschen am liebsten unterwegs - und wie sollte sich die Mobilität in der Stadt verändern? In der Allensbach-Umfrage geben drei Viertel der Befragten an, dass sie kostengünstiger, unabhängiger und flexibler ans Ziel kommen wollen. Internet-Plattformen wie Uber wollen genau das bieten: Die verschiedenen Verkehrsmittel über eine App, ein Ticket und ein Abrechnungssystem kundenfreundlich koordinieren. Bisher wehren sich viele Länder in Europa gegen einen solchen Monopolisten. Mit seinen schier unerschöpflichen finanziellen Mitteln könnte er die Mobilität in den Städten allerdings schneller und radikaler ändern als die dauerklammen Kommunen.

Digitaler Rufbus

Günstiger als Taxis, schneller und komfortabler als öffentliche Verkehrsmittel und nachhaltiger sowie Platz sparender als private Pkw: Kleinbusse und Sammeltaxis sind überall auf der Welt eine wichtige Ergänzung zum öffentlichen Nahverkehr. Statt fester Fahrpläne und Taktzeiten gilt das Prinzip der individuellen Nachfrage: Die 200 Moia-Shuttles, die seit April in Hamburg unterwegs sind, lassen sich mit einem Druck auf die Smartphone-App herbeirufen. "Wir wollen für Verkehrsprobleme wie Staus, Luftverschmutzung, Lärm und Platzmangel eine Lösung anbieten und damit den Städten dabei helfen, ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen", sagt Moia-Chef Ole Harms.

Die Frage ist, ob und wie diese "Mobilität auf Bestellung" zum Geschäftsmodell wird. Selbst Carsharing-Anbieter verdienen bisher kaum Geld. Klar ist, dass die Menschen ohne lange Wartezeiten und lästige Parkplatzsuche in Städten mobil bleiben wollen. Dafür werden nicht nur Algorithmen gebraucht, die in Sekundenschnelle maßgeschneiderte Fahrpläne entlang der gewünschten Routen erstellen. Letztlich geht es um autonome Fahrzeuge, die günstiger als Taxis mit Fahrer sind und keine Parkplätze in der Innenstadt benötigen. Zumindest in der Theorie.

In der Praxis sind viele Fragen offen. Absehbar ist allerdings, dass der Börsengang des US-Fahrdienstvermittlers Uber einen Tech-Giganten mit Millionen von Fahrern in 700 Städten und einem Marktwert von knapp 100 Milliarden Euro schaffen könnte. Wenn die Amerikaner ihr Ziel erreichen, "den Transport auf dem ganzen Planeten zu revolutionieren", können nur wenige Wettbewerber aus China wie Didi Chuxing mithalten. Wie bei jeder Plattform-Ökonomie stellen sich dann auch bei Smart-City-Anwendungen zwei zentrale Fragen: Wer hat die Kontrolle und wem gehören die Daten in der total vernetzten Stadt?

Smart Cities: undefined
(Foto: Illustration Stefan Dimitrov)

City-Maut für die Luftqualität

Eine Metropole wie keine andere - mit Smogwerten, die sonst nur aus Peking oder den Entwicklungsländern bekannt sind: London ist nicht nur eine der lebendigsten, sondern auch eine der dreckigsten Städte Europas. Offiziellen Angaben zufolge leben dort rund acht Millionen Menschen in Gebieten, deren Feinstaubbelastung die Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) deutlich übersteigt. Im Kampf gegen die schmutzige Stadtluft bittet die englische Hauptstadt nun energisch zur Kasse: Der Transportsektor ist für rund die Hälfte der Luftverschmutzung verantwortlich, Dieselfahrzeuge haben daran einen Anteil von 40 Prozent. Doch sie sind beileibe nicht die einzigen Dreckschleudern.

Anfang April hat die Stadt eine "Ultra Low Emission Zone (ULEZ)" mit neuen Abgasgrenzwerten eingeführt. Grüne Schilder weisen darauf hin, dass in der Innenstadt eine Umweltmaut von umgerechnet rund 14,50 Euro pro Tag für deutlich mehr Fahrzeuge erhoben wird. Die Strafabgabe trifft Fahrer von Dieselmodellen, die nicht die Abgasnorm Euro 6 erfüllen, Benziner bis einschließlich Euro 3 sind ebenfalls mautpflichtig. In einer zweiten Phase soll die Umweltzone ab Oktober 2021 auf den Großraum London ausgeweitet werden, der 18 Mal größer ist als die Innenstadt. Dann soll die Umweltgebühr täglich rund 100 000 Pkw, 35 000 Transporter und 3000 Lkw treffen. Londons Bürgermeister Sadiq Khan, der die Luftverschmutzung wiederholt als "nationale Gesundheitskrise" bezeichnet hat, will damit Tausende frühzeitiger Todesfälle durch schlechte Luft vermeiden.

London ist Europas Vorreiter für Straßennutzungsgebühren in der Stadt. Die emissionsabhängige City-Maut ist der Versuch, die Blechflut marktwirtschaftlich und umweltpolitisch in den Griff zu kriegen. Mit kamerabewehrten Maut-Terminals kontrolliert Englands Hauptstadt eine der strengsten Umweltzonen weltweit. Auch Singapur sah vor 15 Jahren keine andere Möglichkeit mehr, als das Autofahren gezielt zu verteuern. "Zwölf Prozent der Fläche von Singapur werden schon jetzt für Straßen und ihre Infrastruktur genutzt, und mit 14 Prozent kaum mehr für Wohnungen. "Mehr Straßen können wir nicht bauen", sagt Wee Shann Lam, Direktor für Technologie und Industrie-Entwicklung der Land Transport Authority (LTA). Der asiatische Stadtstaat steuert seinen Verkehr mittels Electronic Road Pricing (ERP). Bei dem elektronischen Mautsystem wird vollautomatisch bezahlt. Der Betrag variiert je nach Uhrzeit: Zur Rush-hour sind die Preise so hoch, dass viele Autofahrer dankend auf den gut getakteten öffentlichen Nahverkehr umsteigen.

Wimmelbild mit Robotern

Innenstädte voller Lieferautos, genervte Kunden und Paketdienste kurz vor der Pleite: Das rasante Wachstum des Onlinehandels setzt Expresszusteller unter Zugzwang. Bis 2021 soll die Zahl der jährlich ausgelieferten Päckchen allein in Deutschland die Vier-Milliarden-Marke übersteigen. Unwahrscheinlich, dass künftig Schwärme von Transportdrohnen den Himmel über den Metropolen verdunkeln. Wahrscheinlicher (weil günstiger) sind straßengebundene Logistiklösungen. Online-Versandhändler experimentieren genauso mit dem automatisierten Lieferverkehr wie Kurier-, Express- und Paketdienste sowie viele Technik-Zulieferer. Geld für die Entwicklung von autonomen Systemen ist jedenfalls genug vorhanden.

Wie wäre es zum Beispiel mit kleinen, autonomen Lieferrobotern? Seit Anfang des Jahres testet Amazon sechs Kühlbox-große Wägelchen in der Metropolregion Seattle im US-Bundesstaat Washington. Vor dem Haus des jeweiligen Bestellers bleiben die Mini-Packstationen stehen, bis die Abholer ihre Ware zum Beispiel mit Hilfe eines einmal gültigen, digitalen Smartphone-Schlüssels entnommen haben. Hübsch anzusehen ist es zweifellos, wenn die sechsrädrigen Baby-Lkw in Schrittgeschwindigkeit durch eine adrette, amerikanische Vorstadt zuckeln. Doch wie sollen sie sich ohne Konflikte mit dem (nicht immer kooperativen) Straßenverkehr und den Fußgängern schnell und sicher bewegen?

Gut ausgebaute und aufgeräumte Bürgersteige gibt es nur wenige in den autogerechten Vorstädten der USA. In Europas Ballungszentren sind die zahlreichen Fußwege dagegen meistens verstopft. Momentan drängt mit den E-Rollern die nächste Welle von Mobilitätsalternativen auf die Trottoirs. Wo Fußgänger zu Hürdenläufern werden, haben kleine Roboter keine große Zukunft - zumindest diesseits von Science-Fiction-Filmen. Hilfreicher könnten teilautonome Lieferwagen sein, die dem Paketboten von Haus zu Haus folgen und dabei selbständig sichere Parkplätze suchen. Eine zügige Serieneinführung wäre möglich, weil die menschlichen Fahrer kniffelige Situationen durch manuelle Eingriffe lösen könnten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: