Silberpfeil und das Lack-Gerücht:Das Ende der Legende

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Weil die Rennwagen von Mercedes einst zu schwer waren, kratzte man den Lack ab. Ein Stück deutsche Geschichte. Und nichts, als ein Märchen.

Eberhard Reuß

Der 3. Juni 1934 ist ein wichtiges Datum in der Geschichte von Mercedes-Benz. An jenem Sonntag gewinnt Manfred von Brauchitsch in einem silbernen W25-Rennwagen auf dem Nürburgring das Eifelrennen vor dem silbernen Auto Union von Hans Stuck. Der erste Sieg für einen der beiden neuen deutschen Nationalrennwagen, deren Konstruktion mit wesentlicher finanzieller Hilfe von Hitlers Reichsregierung auf den Weg gebracht worden war.

Zur Farbe der Silberpfeile
:Die silbernen Renner

Der Lack ist ab - von der Geschichte. Dem Ruf wird's nicht schaden: Die Silberpfeile sind und bleiben legendär.

1958 geht Mercedes-Rennleiter Alfred Neubauer in den Ruhestand. Pünktlich hat der Journalist Harvey T. Rowe in Zusammenarbeit mit der beleibten Respektsperson den Erinnerungsband "Männer, Frauen und Motoren" abgeliefert.

Auf Seite 346 steht über das Eifelrennen des Jahres 1934 zu lesen: "Am Abend vor dem Rennen werden die Wagen gewogen und - zu schwer befunden. Nur 750 Kilogramm dürfen die Silberpfeile nach der neuen Formel wiegen - ohne Sprit, Kühlwasser, Öl und Reifen. Aber als die Mechaniker den Wagen auf die Waage schieben, zeigt sie 751 Kilogramm. Was tun? Morgen ist das Rennen."

Laut Neubauer sagt der Fahrer Manfred von Brauchitsch: "Lassen Sie sich doch einen Ihrer berühmten Tricks einfallen. Sonst sind wir die Lackierten . . ." Es ist das Stichwort für Neubauer: "Natürlich - der Lack, das ist die Lösung! Die ganze lange Nacht schrubben die Mechaniker den schönen weißen Lack von unsern Silberpfeilen. Und als sie morgens noch mal auf die Waage kommen - da wiegen sie haarscharf 750 Kilogramm."

Die Legende von der Entstehung der Silberpfeile ist geboren - und wird bis heute liebevoll gepflegt. Sie hat nur einen Schönheitsfehler. Sie stimmt nicht. Denn für Neubauers 24 Jahre nach dem besagten Eifelrennen kolportierte Anekdote gibt es weder einen zeitgenössischen Bericht noch einen fotografischen Beweis.

Niemand hat im Juni 1934 bemerkt, dass die Mercedes-Benz W25 im Training und bei der Abnahme noch weiß lackiert, am Rennsonntag jedoch in silberner Farbe gestartet sind. Ein solch auffälliger Farbwechsel hätte doch registriert werden müssen. Im Jahr 2004 dazu befragt, sagte uns Harvey T. Rowe, er hätte damals keinen Anlass gehabt, Neubauers Schilderungen anzuzweifeln.

Manfred von Brauchitsch, der Anfang der fünfziger Jahre für seine in einem DDR-Verlag erschienene Biographie "Kampf um Meter und Sekunden" von Ost-Berlin 80 000 DM-West erhalten hat, bestätigt Neubauers Anekdote erstmals in seinem zweiten, 1964 in der DDR erschienenen Buch "Ohne Kampf kein Sieg". Anfang der siebziger Jahre kommt er wieder in Kontakt mit seinen alten Arbeitgebern in Untertürkheim. Der ehemalige Rennfahrer fährt - wahrscheinlich als einziger Bürger der DDR - einen Mercedes.

Alfred Neubauer stirbt 1980, Manfred von Brauchitsch 2003. Der Rennfahrer ist 1996, im Alter von 91 Jahren, noch einmal für das Werksarchiv der damaligen Daimler-Benz AG von deren früherem Pressechef Günther Molter interviewt worden.

Molter hat auch nach dem Eifelrennen von 1934 gefragt: "Habt ihr die Farbe abgekratzt?" - Brauchitsch: "Ja." - Molter: "Und Du hattest die Idee?" - Brauchitsch: "Wir hatten beide die Idee." - Molter: "Alle zusammen?" - "Aber der Dicke wollte damit halt ein bisschen prahlen - na, lass ihn prahlen", lacht von Brauchitsch in die Kamera.

Silberpfeile
:Historische Rennwagen-Legenden

Silberpfeil - so nannte der Volksmund die Grand-Prix-Rennwagen von Mercedes-Benz und Auto Union aus den Jahren 1934 bis 1939 und des berühmten Formel-1-Renners von Mercedes von 1954 und 1955. Ein Überblick

2004, anlässlich der Wiederkehr des 70. Jahrestages des Eifelrennens von 1934, haben wir bei Harry Niemann, dem Archivchef der DaimlerChrysler AG, noch einmal nachgefragt, ob die Anekdote vom Lackabkratzen plausibel sein kann. Seinerzeit antwortete er: "Wir müssen zugeben, es gibt keine Farbbilder, es gibt keine Dokumente, die diesen Vorgang zeigen. Als einziges gibt es eben das Buch von Neubauer/Rowe. Und es gibt eben die Aussage von Brauchitsch. Und er hat es mehrere Male zu anderen Jahren bestätigt, diese Geschichte. Und deshalb sehe ich in dieser Aussage eine hohe Glaubwürdigkeit."

Im neuen Mercedes-Benz-Museum wird die Lack-ab-Anekdote wie selbstverständlich als historisches Faktum präsentiert, auch wenn auf Fotos von den Testfahrten seit Anfang des Jahres 1934 immer wieder silberne Mercedes-Benz W25 zu sehen sind - so silbern wie die Konkurrenz der von Ferdinand Porsche konstruierten Auto-Union-Rennwagen. Wir treffen deshalb Renate Erhart, die das Archiv des Berufsfotografen Heinz von Perckhammer (1895-1965) betreut, der nahm beim Berliner Avus-Rennen 1934, das eine Woche vor dem Eifelrennen stattfand, auch Fotos der neuen Mercedes-Benz W25 auf, die nur beim Freitagstraining auf der Avus fuhren, dann jedoch wegen technischer Probleme zurückgezogen wurden.

"Die Mercedes-Benz-Rennwagen auf diesen Bildern sind silbern", bestätigt Renate Erhart und überlässt uns Abzüge, die wir im Untertürkheimer Werksarchiv präsentieren. Nach längeren Diskussionen gibt es erneut keine offizielle Stellungnahme, man hält an der Neubauer-Version fest.

Wir haben weitere Bilder von silbernen W25 aus dem Archiv der SZ dabei, aufgenommen vor dem Eifelrennen 1934. Auch ein Foto mit gleich drei W25-Exemplaren vor dem Forsthaus auf dem Nürburgring. Es bleibt dabei: keine offizielle Stellungnahme aus Untertürkheim.

Den entscheidenden Hinweis liefert die ADAC-Bibliothek in München. Dort liegen die Original-Ausschreibungen für das Eifelrennen am 3. Juni 1934 und den "Großen Preis von Deutschland" am 15. Juli 1934 vor. Beide Rennen fanden auf dem Nürburgring statt. Auf Seite zwei der Ausschreibung zum deutschen GP über 25 Runden heißt es: "Zugelassen sind nur Rennwagen, die der internationalen Rennformel der AIACR, gültig für 1934-1936 entsprechen."

Am 15. Juli 1934 dürfen die Rennwagen also maximal 750 Kilogramm wiegen. Alles andere, auch die Hubraumgröße des Motors, ist bei dieser Rennwagenformel frei. Beim Eifelrennen, sechs Wochen zuvor, handelte es sich hingegen laut Ausschreibung um ein "Rundstreckenrennen", das für "Kraftwagen bis 1500 ccm" über zwölf Runden und für "Kraftwagen über 1500 ccm" über 15 Runden ausgeschrieben wurde. Das Höchstgewicht der 750-kg-Rennformel spielte beim Eifelrennen 1934 also gar keine Rolle.

Diese Tatsache erklärt denn auch, warum auf zeitgenössischen Fotos von der Abnahme der "Kraftwagen" am 2. Juni 1934 sowohl die Mercedes-Benz W25 als auch die Auto-Union-Wagen mit montierten Reifen auf der Waage standen. Wenn es wirklich darum gegangen wäre, beim Eifelrennen das zulässige Höchstgewicht von 750 kg nicht zu überschreiten, hätten die armen Mercedes-Benz-Rennmechaniker einfach die Gummipneus entfernen, aber keinesfalls den Lack abkratzen müssen.

Laut Ausschreibung des Eifelrennens von 1934 wäre ein solcher "Farbwechsel" sogar Grund für eine Disqualifikation gewesen: "Während des Trainings müssen die Fahrzeuge in der für das Rennen vorgesehenen Ausrüstung (mit Startnummern) fahren."

Auch das Avus-Rennen 1934 wurde nicht nach der neuen 750-kg-Rennformel ausgetragen: Die Ausschreibung entsprach sogar jener des Avus-Rennens von 1932, das Manfred von Brauchitsch mit einem silbernen, etwa 1300 kg schweren Mercedes-Benz SSKL gewonnen hatte. Ein Gefährt, das von Rundfunkreporter Paul Laven in seiner Direktübertragung von der Avus damals als "silberner Pfeil" bezeichnet wurde. Übrigens ohne dass sich die Rennfunktionäre damals darüber beklagt hätten, dass die "deutsche Rennfarbe" eigentlich Weiß sein müsste.

Wieso hat Alfred Neubauer das Märchen vom Lackabkratzen in die Welt gesetzt? In seinen Erinnerungen hat er noch ganz andere Dinge dazu erfunden, doch offenbar will man dem Vater der Silberpfeil-Rennsiege bis heute nicht widersprechen. Das Vorbild für seine Story vom abgekratzten Lack mag Neubauer bereits im Jahr 1951 in seinem Büchlein mit dem Titel "Heute lacht man darüber!" zum Besten gegeben haben.

Dort streift er im Kapitel "Oh - diese Gewichtsformeln!" kurz die 750-kg-Rennformel, ohne mit einer Silbe das Eifelrennen 1934 zu erwähnen. Stattdessen zitiert er aus einer "lustigen Artikelserie", die anno 1906 in der Zeitschrift L'Auto veröffentlicht wurde: "So musste einmal vor zwei oder drei Jahren ein Fahrer, dessen Name mir nicht mehr erinnerlich ist, die Lackierung von seinem Wagen herunterkratzen, um ein oder zwei Kilogramm zu gewinnen."

© SZ vom 16.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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