Sicherheit moderner Autos:Risiko im Eisenpanzer

VW E-Up im ADAC-Crashtest

Den ADAC-Unfallexperten zufolge verfügen vor allem Kleinwagen über immer steifere Karosserien. Im Bild: der VW E-Up.

(Foto: ADAC)
  • Statt über eine Knautschzone verfügen moderne Autos immer öfter über besonders harte Karosseriestrukturen im Frontbereich.
  • Weil die Insassen bei einem Aufprall deshalb mit größerer Wucht nach vorne geschleudert werden, steigt die Schwere von Brustkorbverletzungen.
  • Bei solchen Unfällen leiden jedoch nicht nur die Knochen, sondern auch Organe wie Lunge, Leber und Nieren.
  • Frauen, Jugendliche und Senioren sind bei Unfällen besonders gefährdet. Experten fordern deshalb, sie bei Crashtests stärker zu berücksichtigen.

Von Christof Vieweg

Arme Ritter. Ihre harten Rüstungen schützten zwar vor scharfen Schwertern. Doch die Wucht der Schläge federten die Eisenpanzer kaum ab. So ähnlich ergeht es auch den Passagieren bei einem Autounfall: Hier beobachten Unfallforscher und Mediziner eine Zunahme sogenannter Beschleunigungsverletzungen. Frauen und Jugendliche fahren vor allem wegen ihrer geringeren Körpergröße mit höherem Risiko, aber auch alte Menschen sind von Schleudertraumata und Mehrfach-Knochenbrüchen besonders bedroht.

Dabei hatte schon Sicherheitspionier Béla Barényi vor mehr als 50 Jahren vorgeschlagen, harte Strukturen durch ein Auto in "Zellenbauweise" zu ersetzen. 1959 ging der erste Mercedes mit Barényis Sicherheitskarosserie in Serie, die Kollisionsenergie durch gezielte Deformation abbaut: Die "Knautschzone" wurde zum Grundsatz des Insassenschutzes.

Harte Frontkonstruktionen bei Klein- und Kompaktwagen

Neuerdings kritisieren Unfallforscher des ADAC jedoch "Nachholbedarf bei der Knautschzone". Schuld sind ausgerechnet die Crashtests nach dem Euro-NCAP-Verfahren, die in den vergangenen Jahren maßgeblich dazu beigetragen haben, das Sicherheitsniveau insgesamt zu steigern. Wer als Autohersteller die werbewirksame Fünf-Sterne-Auszeichnung erhalten will, muss für eine rundum gestaltfeste Fahrgastkabine sorgen.

Gerade bei vielen modernen Klein- und Kompaktwagen setzen europäische Autobauer laut ADAC "auf harte Frontkonstruktionen, die Aufprallenergie weniger gut abbauen können". Der Verband der Automobilindustrie (VDA) hält dagegen, dass sich die Struktursteifigkeit der Fahrgastzellen durch Tests wie das Euro-NCAP-Verfahren in den letzten Jahren "noch einmal stark verbessert" habe. "Dies kommt den Insassen bei besonders schweren Unfällen zugute", heißt es vom Verband. Unfallforscher und Mediziner sehen das jedoch differenzierter.

Vor allem der Brustkorb ist gefährdet

Nach Auswertung Tausender Unfallakten und zahlreicher Crashtests erkennt der ADAC bei Fahrzeugen aus den Modelljahren 2001 bis 2010 eine leicht steigende Gefahr lebensbedrohlicher Verletzungen - vor allem im Bereich des Brustkorbs. Als Folge der immer steiferen Fahrzeugstrukturen werden die Insassen mit großer Wucht nach vorne katapultiert und dabei enorm belastet.

Der Automobilclub nennt Zahlen: Bei Frontal-Crashtests mit Klein- und Kleinstwagen in den Jahren 2005 bis 2010 wurden Beschleunigungswerte von bis zu 49,7 g gemessen, die auf die Oberkörper von Fahrer und Beifahrer einwirken. Das waren 27 Prozent mehr als bei Crashtests vergleichbarer Neuwagen in den Jahren 2000 bis 2004. Die Insassen größerer Autos sind nur wenig besser geschützt: Hier stiegen die Belastungen um zwei bis 13 Prozent auf Werte zwischen 40 und 43,5 g. Zum Vergleich: Formel-1-Rennfahrer werden in Kurven Beschleunigungswerten von bis zu fünf g ausgesetzt, Astronauten beim Wiedereintritt ihrer Raumkapseln in die Erdatmosphäre rund 10 g.

Auch die Organe leiden

Weil die Insassen beim Unfall mit höherer Wucht nach vorne schleudern, müssen auch Airbags blitzschnell - also "aggressiv" - aufgeblasen werden und die Gurtstraffer mit immer größerer Kraft zupacken, um eine ausreichende Rückhaltewirkung zu erzielen. Wissenschaftler der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald berichten, dass der Airbag zwar die Schwere und die Häufigkeit von Kopfverletzungen verringert, doch das dürfe nicht über Risiken für andere Körperregionen hinwegtäuschen. "Umgekehrt nämlich sind Brustverletzungen nach Auslösen eines Airbags häufiger und schwerer", stellen die Forscher fest.

Unter den hohen G-Kräften, die beim Unfall auf die Insassen einwirken, leiden nicht nur die Knochen, sondern auch die Organe, allen voran Lunge, Leber und Nieren: Die Folge sind innere Blutungen, weil die Arterien und Venen den extremen Belastungen nicht gewachsen sind. Senioren, Jugendliche und Frauen sind besonders gefährdet. Schon ab dem 55. Lebensjahr steigt die Gefahr lebensbedrohlicher Verletzungen um 14 Prozent und nimmt danach kontinuierlich zu. 70-Jährige haben ein 22 Prozent höheres Verletzungsrisiko. "Ein wichtiger Grund dafür ist die abnehmende Belastungsfähigkeit des Gewebes und des Skeletts", erklärt ADAC-Unfallexperte Thomas Unger. "In Anbetracht der ständig älter werdenden Gesellschaft muss dieses Problem aufgegriffen und gelöst werden."

Bei Crashtests gelten männliche Maßstäbe

Frauen und Jugendliche dagegen fahren vor allem wegen ihrer geringeren Körpergröße mit höherem Risiko: In den vom ADAC untersuchten Frontalkollisionen erlitten 54 Prozent der weiblichen Autoinsassen schwere bis lebensbedrohliche Verletzungen des Brustkorbs, während solche Unfallfolgen nur bei 36 Prozent der Männer diagnostiziert wurden. Unfallforscher der deutschen Autoversicherer geben ihren ADAC-Kollegen recht: "Die Ergonomie und der Insassenschutz - vor allem in Kleinwagen - werden kleinen Personen nicht gerecht", vermuten die Fachleute nach einer umfangreichen Unfallstudie in Süddeutschland.

Kein Wunder: Bei den Euro-NCAP-Crashtests gelten vor allem männliche Maßstäbe. Der Test-Dummy ist ein sogenannter 50-Prozent-Typ, dessen Größe und Gewicht rund die Hälfte der männlichen Bevölkerung repräsentiert. Dummys mit weiblichen Dimensionen setzt man hingegen nicht ein, sodass die Tester auch keine Handicaps für kleinere und leichtere Insassen feststellen. "Neue Testmethoden könnten helfen, die Probleme aufzudecken und bei Unfällen Leben zu retten", kritisieren die ADAC-Unfallforscher das Euro-NCAP-Verfahren, bei dem der Club allerdings selbst als Prüforganisation mitmacht.

Wer bei Crashtests etwas verändern will, braucht Geduld. Das zeigt die Arbeit einer UNECE-Expertengruppe aus Industrie und Behörden, die sich seit nunmehr drei Jahren darum kümmert, den Insassenschutz für Frauen und Senioren zu verbessern. Künftig soll zumindest bei einem der gesetzlich vorgeschriebenen Crashversuche (nicht beim Euro-NCAP-Verfahren) ein weiblicher Dummy als Beifahrer an Bord sein.

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