Sicherheit:In der U-Bahn ist die Hölle los

Wissenschaftler wollen anhand von Modellen und Simulationen am PC herausfinden, wie sich bei einem Brand in unterirdischen Bauwerken der Rauch ausbreitet. Dazu kokeln sie auch mal im Berliner Untergrund.

Von Marco Völklein

Es geht langsam los. Ein bisschen Qualm; kaum zu erkennen. Doch dann wird es immer mehr. Rauch breitet sich aus auf dem unteren Bahnsteig, über die Treppenhäuser gelangt er in die Ebene darüber. Und nur Minuten, nachdem Holm Klusmann die Anlage eingeschaltet hat, quillt er aus den Treppenzugängen oben an der Oberfläche. "Man sieht", sagt Klusmann, "die Ausbreitung des künstlichen Rauchs ist äußerst komplex."

Noch komplizierter wird es, wenn Versuchsingenieur Klusmann nur leicht von der Seite her in das U-Bahn-Bauwerk hineinpustet - also einen leichten Luftzug im Tunnel simuliert. Dann verwirbelt es den künstlichen Qualm; der Rauch, ausgehend vom Modellbrandherd, benötigt deutlich mehr Zeit, bis er das Bauwerk eingenebelt hat. Auch solche Luftströmungen können also die Ausbreitung des Rauchs stark beeinflussen. "Und damit über Leben und Tod bei einem Brandunglück entscheiden", sagt Klusmann.

Der Versuchsingenieur steht in einem leicht abgedunkelten Raum der Firma ROM Technik im Hamburger Stadtteil Wandsbek. Auf einer Fläche von vier auf fünf Metern haben er und seine Kollegen in den vergangenen Monaten den Berliner U-Bahnhof Osloer Straße im Maßstab 1 : 15 nachgebaut. Um nachverfolgen zu können, wie sich bei einem Brand der Rauch in dem Bauwerk ausbreiten würde, sind fast alle Seitenwände aus Plexiglas. Man erkennt Bahnsteige und Schienenstränge, Säulen auf den Bahnsteigen stützen die Decken ab, kleine Holzfiguren warten auf einfahrende Züge. Und Treppenaufgänge verbinden die einzelnen Ebenen miteinander. Über einen Schlauch kann Klusmann künstlichen Rauch in einen U-Bahn-Waggon beispielsweise auf die unterste Ebene des Bahnhofs einleiten - und dann schauen, wie sich der Qualm ausbreitet.

Sicherheit: Qualm, überall ist Qualm. Was im Normalbetrieb vielleicht zu einer Panik führen könnte, hilft Forschern, neue Erkenntnisse zu gewinnen: Mit Sonden und anderen Messgeräten spüren sie dem Rauch nach.

Qualm, überall ist Qualm. Was im Normalbetrieb vielleicht zu einer Panik führen könnte, hilft Forschern, neue Erkenntnisse zu gewinnen: Mit Sonden und anderen Messgeräten spüren sie dem Rauch nach.

(Foto: Lukas Arnold)

Die Anlage in Hamburg-Wandsbek ist Teil des wissenschaftlichen Projekts "Orpheus", das vom Bundesforschungsministerium mit 3,4 Millionen Euro gefördert wird. Das steht für "Optimierung der Rauchableitung und Personenführung in U-Bahnhöfen: Experimente und Simulationen". Ziel des Projekts ist es, den Brandschutz beziehungsweise die Rettung von Menschen bei einem Brand in einem unterirdischen Bahnhof zu verbessern. Dazu arbeiten in dem Projekt Wissenschaftler aus verschiedenen Instituten und zahlreichen Unternehmen zusammen; mit dabei sind auch Vertreter mehrerer Berufsfeuerwehren sowie von Verkehrsbetrieben. Sie alle wollen herausfinden, wie sich der Brandschutz in unterirdischen Verkehrsbauwerken weiter verbessern lässt. Wenn die Forscher zum Anfang des Jahres 2018 ihren Schlussbericht vorlegen, dann sollen möglichst Konzepte herauskommen, die Sicherheitstechnikern, aber auch Feuerwehrleuten die Arbeit erleichtern.

Brände in unterirdischen Gebäuden sind besonders gefährlich

Als Forschungsobjekt haben sie sich den U-Bahnhof Osloer Straße in Berlin-Mitte ausgesucht. Dort kreuzen sich zwei U-Bahn-Linien, die U 8 und die U 9. Der Bahnhof, gebaut in den Siebzigerjahren, besteht also aus zwei U-Bahn-Stockwerken, die über Treppenhäuser miteinander verbunden sind. Darüber liegt eine Verteilerebene - erst von da aus gelangen die Fahrgäste über Ausgänge an die Straßenoberfläche. Das alles ist ziemlich verwinkelt angeordnet, die beiden Bahnsteige sehen sich zum Verwechseln ähnlich. "Selbst wer sich einigermaßen gut auskennt", sagt Projektkoordinator Lukas Arnold, "der verläuft sich dennoch gerne mal."

Brände in einem unterirdischen Bahnhof gehören zu den schlimmsten Szenarien, auf die sich Feuerwehrleute vorbereiten müssen. Denn anders als bei einem Brand in einem oberirdischen Gebäude bewegen sich untertags die Menschen und der gefährliche weil giftige Rauch in die selbe Richtung - nämlich nach oben. Hinzu kommt, dass gerade in den Berliner wie auch den Hamburger U-Bahn-Bauwerken die Decken relativ niedrig sind. "Der Rauch ist damit recht flott bei den Passagieren", sagt Arnold. Und genau daraus entsteht die große Gefahr. Wer zu viel Rauch einatmet, kann schnell bewusstlos werden. Und stirbt, sofern er nicht von den Rettern rasch aus dem Gefahrenbereich herausgeholt wird, beispielsweise an einer Kohlenmonoxidvergiftung.

Sicherheit: Bei einer Brandsimulation im Berliner U-Bahnhof Osloer Straße prüfen Wissenschaftler, wie sich Rauch und giftige Gase bei einem Brand in einem unterirdischen Bahnhof ausbreiten.

Bei einer Brandsimulation im Berliner U-Bahnhof Osloer Straße prüfen Wissenschaftler, wie sich Rauch und giftige Gase bei einem Brand in einem unterirdischen Bahnhof ausbreiten.

(Foto: Forschungszentrum Jülich)

Die Forscher versuchen, die Wege des Rauchs zu verstehen

Wie aber breitet sich der Rauch exakt aus? Bislang kann dies kaum jemand voraussagen. Die Forscher arbeiten daher an einer mathematischen Berechnungsmethode, um solche Voraussagen treffen zu können. Die Modelle könnten dann später zum Beispiel Sicherheitstechnikern bei der Planung und Konzeption neuer unterirdischer Bauwerke helfen.

Einen zweiten, eher praktischen Ansatz verfolgt Versuchsingenieur Klusmann mit seiner Anlage in Hamburg: Dort lassen sich anhand von Testläufen im Bahnhofsmodell Rauchentwicklung und -ausbreitung nachvollziehen. "Wir verfolgen zwei Ansätze", sagt Projektkoordinator Arnold: "Experimente und Simulationen." Zumal sich U-Bahn-Bauwerke oft ähnelten. Sie bestünden meist aus langen, relativ flachen Schuhschachteln, die über Treppenhäuser miteinander verbunden sind. Erkenntnisse, die sie nun also für den Berliner U-Bahnhof gewinnen, lassen sich auch auf andere Bauwerke in anderen Städten übertragen, hoffen die Forscher um Arnold.

Feuerchen im richtigen Bahnhof

Eine Frage stellen sie sich dabei allerdings auch immer wieder: Stimmen die errechneten oder im Experiment gewonnenen Schlüsse mit der Realität überein? Um das herauszufinden, bleibt den Forschern nichts anderes übrig, als hin und wieder mal ein Feuerchen zu machen. Bereits dreimal haben daher die Berliner Verkehrsbetriebe den Forschern ihren Bahnhof unter der Osloer Straße zur Verfügung gestellt. Jeweils nachts, wenn der Betrieb ohnehin ruht, hatten die Wissenschaftler Prüfgeräte installiert und Kameras aufgebaut - und dann an verschiedenen Stellen kleine Propangasbrenner entzündet. Nebelmaschinen erzeugten Unmengen an (ungiftigem) Rauch, der sich im Bahnhof verteilte.

Das Forscherteam erfasste unter anderem mit 600 Temperatursensoren, wie sich die Wärme auf das Bauwerk auswirkt. Andere Geräte registrierten die CO₂-Konzentration oder die Ausbreitung eines speziellen Spurengases. Die Forscher schickten zudem Testpersonen los, die sich in Sicherheit bringen sollten. Die Fragestellung dabei: Sind die Fluchtwege klar und verständlich gekennzeichnet? Finden die Menschen auch in Panik und bei schlechter Sicht ins Freie? Und würden auch Menschen mit Behinderungen gerettet werden?

Sogar unter der Erde hängt die Rauchentwicklung vom Wetter ab

Psychologen beobachteten das alles, befragten die Probanden anschließend. Nicht zuletzt schickte die Berliner Feuerwehr ihre Leute in den Untergrund und nutzte den Brandversuch für eine groß angelegte Übung. Und auch da ergaben sich Ansätze für die Wissenschaftler: Klappt etwa die Kommunikation zwischen Rettern, Behörden und U-Bahn-Betreibern?

Bei einem der Versuche stellte das Team außerdem fest, dass auch das Wetter und das Mikroklima in dem Bauwerk berücksichtigt werden muss. Als die Forscher die Brenner anfeuerten, stieg der Rauch erst gar nicht in die Höhe, sondern verschwand umgehend in den angrenzenden U-Bahn-Tunneln. Damit hatte keiner gerechnet. Die Wetterlage an der Oberfläche drückte die Gase regelrecht in die Tunnelröhren im Untergrund. "In einer Notfallsituation wäre so etwas natürlich ideal", sagt Projektkoordinator Arnold. Zugleich zeige das Beispiel aber auch, "wie komplex das ganze Thema leider ist."

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