Sicherheit im Flugzeug:Auf der Suche nach dem Limit

Moderne Werkstoffe im Flugzeugbau verlangen nach veränderten Crashtests, um Katastrophen zu vermeiden.

Klaus C. Koch

Wieder und wieder zeigt Allan Abramowitz, Crash-Experte bei der US-Flugaufsichtsbehörde FAA die Aufnahmen vom kontrollierten Absturz einer Turboprop-Maschine, die auf den Asphalt prallt. Auf dem Bildschirm gut zu erkennen: Der Rumpf des zweimotorigen Regionalfliegers knickt ein, Scheiben bersten, Trümmerteile fliegen umher. Glücklicherweise keine Katastrophe, sondern ein Crashtest, denn: Männer wie Abramowitz zerstören Maschinen, in denen keine Passagiere sind, sondern nur Bits, Bytes und Dummys, die per Kabel mit einer Auswertungseinheit verbunden sind.

Sicherheit im Flugzeug: Hoher Einsatz: Um das Risiko von Abstürzen zu minimieren, werden die Bauteile während der Prototypen-Phase extremen Belastungen ausgesetzt.

Hoher Einsatz: Um das Risiko von Abstürzen zu minimieren, werden die Bauteile während der Prototypen-Phase extremen Belastungen ausgesetzt.

(Foto: Foto: oH)

Bei der Simulation von Flugzeugabstürzen versteckt sich das Entsetzen nach tatsächlichen Crashs hinter nüchternen Zahlen und rechnergestützten Systemen. Und hinter Tausenden Messdaten und Beschleunigungswerten verbirgt sich die Hoffnung, dass Schwachstellen und Fehler erkennbar sind, die vielleicht schon bei der Konstruktion gemacht worden sind - und sich möglicherweise rechtzeitig ausbügeln lassen. Bei der FAA mündet das in höflich formulierte Empfehlungen, die tunlichst befolgt werden sollten.

Flugzeughersteller wie Boeing oder Airbus testen die Prototypen neuer Modelle wie 787 Dreamliner oder A380 auf Biegen und Brechen, bevor sie in Serie gehen. "Da werden die Tragflächen mit dem Mehrfachen der beim späteren Flugbetrieb auftretenden Kräfte belastet, bis die Flügelspitzen übers Höhenleitwerk hinausragen", erklärt ein Lufthansa-Techniker. Aber, so beklagt Gil Wittlin, Chef und Gründer des 1991 von Lockheed ausgegliederten Flugzeug-Crash-Spezialisten Dynamic Response: "Sie rücken die Ergebnisse nicht raus. Passagieren und weiten Teilen der Öffentlichkeit bleibt also nicht viel mehr übrig, als blind in die Zuverlässigkeit dieser Tests zu vertrauen."

Wittlin erstellt Analyse-Programme für die FAA und die Raumfahrtagentur NASA. Zur Kundschaft gehören neben Eurocopter und Bombardier auch zum Beispiel das britische Verteidigungsministerium. "1972 haben wir mit einem Hubschrauber-Crashtest für die Army begonnen", sagt er. Später wurde eine Cessna zertrümmert, eine Boeing B 707 und eine McDonell Douglas DC-10 folgten. Die Kosten waren enorm. Also setzte sich Wittlin an den Computer und entwickelte "ein eigentlich recht einfaches Programm für komplizierte Sachverhalte", das der Materialverschwendung ein Ende setzen sollte. Weil es bereits eine solche Software namens Crash gab, wurde das neue Krash getauft. Es sei "nicht gerade bedienerfreundlich", gesteht Wittlin - denn jedes Detail, jeder Impuls und jede Bewegungsrichtung muss anhand eines Zahlenschlüssels eingegeben werden, um die Kräfte zu berechnen, die auf Flugzeuginsassen, Sitz, Wirbelsäule und den Kopf wirken. Aber es funktioniert.

Überleben kann nicht vorausgesagt werden

Trotzdem: Bei aller Wahrscheinlichkeitsrechnung, sagt Wittlin, "können wir und alle anderen nicht voraussagen, ob es bei einem bestimmten Aufschlagswinkel 23 Opfer gibt oder 15 überleben - das geht nicht". "Das Problem ist", meint der FAA-Experte Abramowitz, "dass die Auslegung von Flugzeugrümpfen oft auf abstrakten Berechnungen fußt, deren Tauglichkeit sich erst unter realer Belastung erweist." So müssen dann doch wieder komplette Maschinen herhalten und im Versuch gecrasht werden, um die Gültigkeit einzelner Resultate bestätigen und hochrechnen zu können. Allerdings sind auch dann die Erkenntnisse nicht immer eindeutig - oder muten banal an. Etwa die Tatsache, dass bei der Turboprop-Maschine, die im Test auf das Rollfeld des William J. Hughes Technical Centers, des Testzentrums der FAA aufschlug, das Gewicht der Tragflächen den Rumpf gerade dort am stärksten in Mitleidenschaft zieht, wo der Notausgang liegt - und der würde im Ernstfall für die schnelle Evakuierung der Fluggäste gebraucht, ist dann aber möglicherweise blockiert.

Eine wichtige Rolle bei der weltweiten Suche nach mehr Sicherheit spielt auch das Institut für Bauweisen und Konstruktionsforschung des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums DLR in Stuttgart, das in der vergangenen Woche Gastgeber für 40 Crash-Experten aus zahlreichen Ländern war. Das Institut konzentriert sich auf Hochleistungs-Verbundstoffe, die zunehmend bei der Flugzeugtechnik und beim Bau neuer Flugzeuge zum Einsatz kommen.

Dass immer mehr Bauteile aus Kohlefaserverbundstoffe (CFK) entwickelt werden, die sich beim Aufprall völlig anders verhalten als das klassische Aluminium, hat für eine Flut von neuerlichen Analysen gesorgt. Denn Verbundstoffe bieten zwar die Möglichkeit, größere Bauteile aus einem Stück herzustellen, was Arbeitszeit und Personalkosten spart. Aber sie haben eine lebensbedrohende Eigenschaft, wenn sie an ihre Belastungsgrenze geraten: Das Material wird am Limit übergangslos spröde und fängt an zu bröseln. Metall dagegen fängt die Wucht eines Aufpralls durch Verformung auf.

Während Piloten von Segelflugzeugen und Ultraleichtfliegern aus Gründen der Gewichtsersparnis schon lange auf Kompositmaterial setzen, das bei moderaten Temperaturen in Spezialöfen, sogenannten Autoklaven, gut formbar und zu verarbeiten ist, bauen große Flugzeughersteller wie Boeing erst seit dem Dreamliner 787 in größerem Stil auf CFK. Und bei Airbus soll der Rumpf des neuen A350, der noch einige Jahre bis zu seinem Erstflug braucht, weitgehend aus Verbundstoff bestehen.

Hoch ist der Aufwand, um das Risiko von Blitzschlägen zu bannen

Die Lufthansa führt bereits Buch über Beschädigungen an Sekundärstrukturen wie Flügelklappen und Triebwerksverkleidungen, in denen der Anteil an CFK- Bauteilen seit einiger Zeit zunimmt. Leider lässt sich im Gegensatz zu Metallteilen oft nur schwer erkennen, ob und wie schwer ein Bauteil aus Verbundstoff lädiert wurde. Die Ablösung von Faserschichten, Delamination genannt, Einschlüsse von Flüssigkeiten oder Schäden an den Wabengitterkonstruktionen sind oft nur mit Ultraschall oder Infrarot auszumachen - was von den Technikern immer mehr Aufmerksamkeit verlangt.

Hoch ist auch der Aufwand, um das Risiko von Blitzschlägen zu bannen; nicht immer können Piloten Unwettern auf der Route ausweichen. Denn anders als bei Metallflugzeugen ist der Vorzug des Faraday'schen Käfigs, der hohe Spannung um die Karosserie herum ableitet, mit der Einbettung des Kunststoffs in weitere Schichten wie etwa Polyester erstmal dahin. Strukturteile in Maschinen wie der Boeing 787 und dem A350, die aus CFK bestehen, werden deshalb mit einem feinmaschigen Gewebe aus hauchdünnem Draht überzogen - was allerdings den Vorteil des ursprünglich geringen Gewichts, von dem das CFK profitiert, wieder relativiert.

Welch furchtbare Folgen es haben kann, wenn moderne Passagierjets wie ein Airbus A330 in Extremsituationen an ihr Limit kommen, zeigte der Absturz des Air-France-Fluges 447 am 1. Juni über dem Südatlantik, bei dem 228 Menschen ums Leben kamen. Eine Katastrophe, die sich jederzeit wiederholen kann. Denn, so Gil Wittlin: "Was auch immer wir tun - hundertprozentige Sicherheit wird es nie geben."

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