Süddeutsche Zeitung

Senioren am Steuer:"Nur wenige sehen ein, dass sie nicht mehr Autofahren sollten"

Verkehrspsychologin Birgit Scheucher spricht sich für verpflichtende Tests für ältere Autofahrer aus. Und sie gibt Tipps, wie und wann Angehörige das heikle Thema Fahrtauglichkeit am besten ansprechen.

Interview von Christina Müller

Seit Jahrzehnten Inhaber eines Führerscheins, im Alter nun aber ein Sicherheitsrisiko auf der Straße? Immer wieder wird über Eignungstests für Senioren diskutiert. Verkehrsminister Andreas Scheuer lehnte das zuletzt kategorisch ab und setzt stattdessen auf "Eigenverantwortung" der älteren Autofahrer. Verkehrspsychologin Birgit Scheucher erklärt, warum das Thema Autofahren im Alter für viele Menschen sehr heikel ist und wie man als Angehöriger einen Senior dazu bringen kann, die Autoschlüssel freiwillig abzugeben.

SZ: Warum ist es so schwierig, in Familien über das Autofahren im Alter zu sprechen?

Birgit Scheucher: Autofahren ist für viele Menschen ein Zeichen ihrer Leistungsfähigkeit. Wenn jemand zu mir sagt, dass ich das nicht mehr kann, dann fühle ich mich gekränkt. Ich muss mir eingestehen, dass ich alt geworden bin. Und genau das wollen viele Senioren nicht wahrhaben. Da haben übrigens Männer oft ein größeres Problem damit als Frauen. Für Männer ist das Autofahren oft noch mehr ein Ausdruck ihrer Identität.

Wann ist der richtige Zeitpunkt, um das Thema anzusprechen?

Es ist dann soweit, wenn ich mich als Beifahrer nicht mehr sicher fühle. Wenn ich neben meinem älteren Familienmitglied im Auto sitze und merke, dass er oder sie häufig etwas übersieht oder sehr spät reagiert. Dann wird es Zeit, darüber zu reden.

Und dann am besten gleich im Auto das Gespräch suchen?

Das wäre eher kontraproduktiv. Suchen Sie sich lieber eine neutrale Situation. Am besten dann, wenn es gar nicht um das Thema Autofahren geht. Zum Beispiel wenn der Opa erzählt, dass er es im Kreuz hat. Dann kann man dort einhaken und sagen: "Ja, das ist mir neulich auch beim Autofahren aufgefallen, dass du dich vor lauter Schmerzen kaum drehen kannst." Und natürlich ist das kein Thema für die große Familienrunde, sondern etwas, dass man unter vier Augen anspricht. Denn von seinem Kind oder Enkel gesagt zu bekommen, dass man etwas nicht mehr gut kann, ist oft auch verletzend für die ältere Person.

Gibt es eine Strategie, wie ich diese Menschen am besten erreiche?

Manchmal reicht es, erst einmal Kompromisse zu suchen. Zum Beispiel zu vereinbaren, dass der ältere Mensch nicht mehr zur Hauptverkehrszeit fährt, oder nur noch kurze Strecken im Ort. So kann man erstmal das Risiko minimieren, ohne ihm gleich das Gefühl zu geben, er bekommt alles weggenommen.

Sollten überhaupt Familienangehörige solche Gespräche führen?

Am besten man findet eine neutrale Person, die den Senior auf seine Defizite hinweist. Gut geeignet wäre da zum Beispiel der Hausarzt. Der kann dann aus einer anderen Position heraus mit dem Betroffenen sprechen als jemand aus der Familie. Oder wenn man es schafft, mit seinem Angehörigen zu einer Fahrschule oder einem speziellen Seniorenfahrtraining zu gehen, um einfach zu schauen, wie er sich dort schlägt. Aber alles ohne die Angst, dass ihm sofort der Führerschein abgenommen wird.

Wie reagieren ältere Menschen, wenn sie auf das Thema Fahrtauglichkeit angesprochen werden?

Nur wenige sehen ein, dass sie nie mehr fahren sollten. Die meisten reagieren eher empört, weil sie sich nicht eingestehen wollen, dass sie körperlich mit 80 nicht mehr so fit sind wie mit 30. Und selbst wenn sie zugeben, dass alles ein bisschen langsamer geworden ist, dann fehlt die Einsicht, dass das irgendwelche Auswirkungen aufs Autofahren hat. Denn das machen sie ja schon lange und es ist noch nie etwas passiert.

Kann ich als Angehöriger etwas gegen den Willen eines Seniors ausrichten?

Das ist das Verzwickte an der Situation in Deutschland. Der Führerschein ist auf Lebenszeit gültig. Erst, wenn etwas passiert, kann eine Behörde anordnen, die Fahrtüchtigkeit eines Menschen zu überprüfen. Vorher sind Sie machtlos. Ich kenne Fälle, in denen verzweifelte Angehörige die Autoschlüssel verstecken oder selbst Kratzer ins Auto machen, damit endlich jemand überprüft, ob ihr älterer Verwandter noch selbst am Steuer sitzen sollte.

Was halten Sie davon, wenn es wie in anderen Ländern ab einem gewissen Alter verpflichtende Tests für Senioren gäbe?

Es sollte überprüft werden, ob jemand noch gut genug sieht, hört, reagiert und ausreichend beweglich ist. Der Verkehr ist heute viel komplexer als früher und es geht oft um Sekunden. Und gerade beim Thema Autofahren handeln viele Menschen nicht rational und sagen von sich aus "ich kann das nicht mehr".

Autos werden auch immer sicherer, es gibt viele Assistenzsysteme, die unterstützen. Ist das nicht gerade für ältere Fahrer eine gute Kompensation?

Man sollte sich gut überlegen, welche Assistenzsysteme man wirklich braucht. Wenn es überall im Auto nur noch blinkt und piepst, sind gerade ältere Menschen auch schnell von der Technik überfordert. Und dann ist am Ende auch keinem geholfen.

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