Sekundenschlaf:Wenn der Kopf aufs Lenkrad fällt

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Schwere Augenlider, plötzliches Frösteln und Tunnelblick: Laut Autobahnpolizei hat jeder zweite Autofahrer in Deutschland mit den Vorboten des Sekundenschlafs schon einmal Bekanntschaft gemacht.

Schichtarbeiter und Fernfahrer haben wegen ihres Zeitdrucks ein erhöhtes Unfallrisiko. Wie gefährlich die Übermüdung am Lenkrad ist, haben jetzt Schlafexperten und Autobahnpolizisten Fernfahrern auf einem Rastplatz bei Münster demonstriert.

Spätestens, wenn die Anzeigen so aussehen, wird es kritisch: Jetzt ist ausruhen unverzichtbar! (Foto: Foto: Archiv)

Die Autobahnpolizei im Regierungsbezirk Münster hat ermittelt, wie häufig Müdigkeit als Unfallursache in Betracht kommt. Das Ergebnis war verblüffend. Jeder vierte tödliche Verkehrsunfall ist auf Müdigkeit zurückzuführen.

Eine Wachdauer von 17 bis 19 Stunden am Steuer ist mit einer Blutalkohol-Konzentration von 0,5 Promille zu vergleichen, sagt Tilmann Müller. Der Psychologe ist Schlafexperte an der Universität Münster. Müdigkeitsattacken überwältigen die Autofahrer nach seiner Beobachtung oft bei übermäßig langen, monotonen oder abwechslungsarmen Fahrten, vor allem nachts.

Körperreaktion versus Erkrankung

"Man kann sich schnell selbst überschätzen, unterschätzt dabei jedoch die Gefahr plötzlicher Schlafattacken", sagt der Neurologe Peter Young vom Schlaflabor der Universitätsklinik in Münster. Sekundenschlaf ist nach landläufiger Auffassung ein ungewolltes Einnicken, das oft nur wenige Sekunden dauert, schildert Young. Der Organismus reagiert mit einem Schutzmechanismus gegen Müdigkeit.

Die Medizin unterscheidet diese Reaktion auf Schlaflosigkeit von einer seltenen Erkrankung der Schlaf- und Wachstruktur des Gehirns. Narkolepsie ist eine Funktionsstörung der Schlafzentren. Eine unüberwindbare Schläfrigkeit führt urplötzlich und ohne Vorboten zu Schlafanfällen innerhalb weniger Sekunden.

"Wenn wir im Volksmund von Sekundenschlaf reden, dann meinen wir aber nicht die Erkrankung, sondern das ledigliche Einnicken, das sich zuvor durch Müdigkeitsmerkmale zu erkennen gibt", sagt Neurologe Young.

Nur Schlaf hilft

Ursache für die plötzlichen Aussetzer ist nicht immer unverantwortlich langes Ausharren am Steuer. Häufig lässt sich die blitzartige Müdigkeit auf das Schlafapnoe-Syndrom zurückführen, das sich durch Schnarchen äußert. Durch Verengung der Atemwege wachen Betroffene nachts häufig kurz auf, der Schlaf wird unruhig. Wer sich dann ans Steuer setzt, hat selbst mit Kaffee, Traubenzucker oder Frischluftzufuhr wenig Chancen. "Das einzige Mittel gegen Schlaflosigkeit ist der Schlaf selbst", sagt Psychologe Tilman Müller.

Aber was tun, wenn ein übermüdeter Fahrer auf der Autobahn vor einem selbst Schlangenlinien fährt? Klaus Laackmann von der Autobahnpolizei bei der Bezirksregierung Münster empfiehlt, genügend Abstand zu halten und hinter dem jeweiligen Wagen zu bleiben.

Sicherheitsabstand beachten

Durch mehrmaliges Hupen oder Betätigen der Lichthupe sollte man versuchen, die Aufmerksamkeit des einschlafenden Fahrers zu erregen. "Der Sicherheitsabstand ist in diesem Fall sehr wichtig, da die Reaktion des Fahrers beim plötzlichen Aufwachen unkalkulierbar ist", sagte Laackmann.

Das Straßenverkehrsamt verlangt von Fahrern, die mehrmals wegen Müdigkeit an Unfällen beteiligt waren, ein schlafmedizinisches Gutachten. Weiß ein Betroffener von seiner Krankheit und verursacht einen Verkehrsunfall, handelt er grob fahrlässig und bekommt ein höheres Strafmaß, sagt Polizeihauptkommissar Rainer Bernickel.

Nach Angaben des Schlafmediziners und Vorsitzenden der Deutschen Akademie für Gesundheit und Schlaf, Jürgen Zulley (Regensburg), soll es bald sogar möglich sein, mit einem Müdigkeits-Test erstmals Übermüdung zu messen.

© sueddeutsche.de/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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