Seilbahnen:Schwebendes Verfahren

Mit neuen Ideen und Konzepten sucht die Seilbahnbranche ihre Zukunft - auch im Stadtverkehr.

Klaus C. Koch

Abseilaktionen aus schwindelnder Höhe, Verfolgungsjagden über Schluchten, Felsen und Grate: Drahtseilbahnen waren schon immer für Nervenkitzel gut - wie im James-Bond-Streifen "Moonraker", wo die Talstation der Seilbahn an Rio de Janeiros Zuckerhut in Schutt und Asche sinkt. Weniger lustig finden es Passagiere, wenn sie plötzlich selbst in solch einer Büchse festsitzen - weil das Antriebsseil klemmt oder weil die Anlage aus Sicherheitsgründen abschaltet.

Da die Kabinen immer mehr Passagiere fassen und viele inzwischen so groß sind wie ein Bus, muss schon auch mal die Feuerwehr in starker Besetzung anrücken, um Fahrgäste aus der Gondel zu bergen. Dabei werden Seilbahnen immer öfter auch in Ballungsgebieten eingesetzt, wo sie - wie am Roosevelt Island entlang der Queensboro Bridge in Manhattan - zwischen Hochhäusern und über Flüsse wie dem Hudson verkehren. Steckt hier eine der Gondeln fest, sehen die Insassen das eher weniger sportlich.

Seit einiger Zeit sind die Hersteller dazu übergegangen, Antriebs- und Umlenkrollen in doppelter Ausführung einzubauen. Trag- und Zugseile sind strikt voneinander getrennt. Der österreichische Marktführer Doppelmayr hat ein Räumungskonzept entwickelt, mit dem garantiert werden soll, dass die Gondeln auch nach Ausfall des Hauptantriebs noch in die nächste Station einfahren können. Als Folge der Brandkatastrophe, die im Jahr 2000 in der Gletscherbahn von Kaprun 155 Menschen das Leben kostete, wurden zwischenzeitlich auch die Brandschutzbestimmungen verschärft. Ohne ausgefeiltes Bergungskonzept nimmt heute keine Seilbahn mehr die Genehmigungshürde.

Seilbahnen sind das Rückgrat einer alpinen Infrastruktur, die lange Zeit vor allem dem Wintersport diente. Knapp eine Milliarde Euro werden weltweit pro Jahr in Neubauten und Spezialkonstruktionen gesteckt. Um in Zeiten des Klimawandels, schwindender Schneehöhen und zunehmendem Sommertourismus die Fahrt selbst zur Attraktion werden zu lassen, drehen sich Gondeln am Schweizer Titlis und demnächst auch am Mont Blanc während der Berg- und Talfahrt um ihre eigene Achse. Sie sind beheizt, bieten Musikberieselung und zusätzliche Fahrgastinformationen. Am Stanserhorn in der Schweiz soll demnächst sogar eine Seilbahn als Cabrio mit Aussichtsdeck den Passagieren erlauben, knapp über der Höhe des Tragseils den Rundblick zu genießen.

Tatsächlich aber kollidieren Seilbahnprojekte in Mitteleuropa zunehmend mit Umwelt- und Naturschutzbelangen. Neue Anlagen im Berggebiet werden nur noch zurückhaltend bewilligt. Seit zwanzig Jahren sind beispielsweise in der Schweiz keine zuvor unberührten Regionen mehr mit neuen Anlagen verbaut worden. Der Trend, heißt es, gehe eher zu qualitativen Verbesserungen, energiesparenden Antrieben und mehr Komfort.

In anderen Teilen der Welt hingegen sind Seilbahnen zunehmend in den öffentlichen Nahverkehr integriert. Sie benötigen nur einen Bruchteil der Investitionen, wie sie für neue U- oder S-Bahntrassen gebraucht würden. Zwar können nicht so viele Passagiere befördert werden, wie im Untergrund, auf der Schiene oder im Straßenverkehr, räumt Martin Leitner, Geschäftsführer des gleichnamigen Seilbahnunternehmens aus Sterzing ein. Eine Metro-Linie transportiert einige Zehntausend Passagiere pro Stunde.

Bei modernen Zwei- und Dreiseil-Umlaufbahnen sind es, ähnlich wie bei einer Buslinie, unter Maximalauslastung der eingehängten Kabinen in derselben Zeit aber auch schon mal bis zu 5000 - was die Gondeln unter günstigen Voraussetzungen durchaus als konkurrenzfähig erscheinen lässt. Schließlich haben die Seilbahnhersteller in Wintersportgebieten lange genug geübt, um in kürzester Zeit möglichst viele Skifahrer auf Gipfel und die dazugehörigen Pisten zu schaufeln.

MIt der Seilbahn in die Stadt

Der Weltkongress der Seilbahnhersteller, der unlängst in Rio de Janeiro stattfand, lenkte die Aufmerksamkeit auf eine wachsende Anzahl von Installationen in citynahen Bereichen. So pflanzte Doppelmayr vor zwei Jahren die Streben für eine Seilbahn mit 50 Kabinen ins Gewühl der venezolanischen Hauptstadt Caracas, um die Favelas von San Agustin del Sur an den öffentlichen Nahverkehr anzuschließen.

Mit seinen Wellblechbuden und Baracken war das Quartier wild in den Hügel hineingewuchert. Erschließungspläne gab es nicht. Die Stadtplaner waren ratlos, bis die Idee entstand, das 40.000 Einwohner zählende Viertel, das in weiten Teilen nur über verwinkelte Treppen und enge Fußwege erreichbar war, per Seilbahn mit den öffentlichen Verkehrsmitteln am Fuß des Hügels zu verbinden. Seit 2009 schweben die Gondeln mit fünf Haltestellen in einem Halbrund auf und über den Hügel. An den Endhaltestellen liegen eine Metro-Station und ein stark belebter Verkehrsknotenpunkt. Gleichzeitig beherbergen die Stationen Bildungseinrichtungen, eine Bibliothek, Geschäfte für den täglichen Bedarf, Restaurants und eine Sporthalle.

In der Drei-Millionen-Einwohner-Stadt Medellin, der kolumbianischen Hochburg der Drogenkartelle, entstanden in den letzten Jahren vier Seilbahnlinien als Teil eines Metrocable-Verbundes, der stadtnahe Gebiete in teils extremer Steillage anbindet - darunter eine Linie K, die heute mehr als eine Million Fahrgäste pro Monat transportiert. "Das hat sich nach drei Jahren amortisiert", sagt Leitner, der nicht nur hier eine regelrechte "Renaissance der Seilbahnen" sieht.

Attraktiv sind für die Seilbahnhersteller auch die osteuropäischen Länder. So wurden allein in den rumänischen Karpaten im Vorjahr fünf Bahnen gebaut; auch in Armenien, Georgien und Kasachstan gingen neue Anlagen in Betrieb.

Pergamon gehörte vor mehr als 2000 Jahren zu den wichtigsten Städten der Antike. Heute heißt Pergamon Bergama, liegt in der Türkei und ist ein beliebtes Ausflugsziel für Touristen. Zu Transportproblemen kam es, als moderne Reisebusse mit ihrem hohen Gewicht die archäologischen Ausgrabungsstätten zu beschädigen drohten. Als Alternative entstand eine Kabinenbahn mit Restaurant, Shop und Souvenirladen.

Nicht nur Umweltverträglichkeitsprüfungen sind inzwischen Standard. Auch das Einholen der Zustimmung durch die Bevölkerung wird empfohlen. Um am Kronplatz im Pustertal die Pkw-Lawine zu verringern, die regelmäßig das Skigebiet ansteuert, wurde die Talstation der neuen Kabinenbahn direkt mit dem Bahnhof verbunden. Die Initiatoren einer Volksabstimmung, die das Projekt, aber vor allem die Nutzung einer bislang unverbauten Bergflanke verhindern wollten, scheiterten am Quorum. Einen Vorteil haben dagegen Landwirte in Engelberg in der Schweiz. Sie können über einen Lift in einer der Seilbahnstützen ihre Almen schneller erreichen.

Der Anteil des nichtalpinen Geschäfts wird bei Doppelmayr und bei Leitner auf derzeit unter 20 Prozent geschätzt. Aber Leitner sieht in den Anlagen auf städtischem Gebiet "ein Riesenpotential". Immerhin sind in anderen Teilen der Welt die Widerstände gegen neue Projekte nicht so groß wie in Mitteleuropa. Ohnehin wurde in den zurückliegenden Jahrzehnten mit heute 169 Kabinenbahnen und 1637 Schleppliften in Deutschland, 1774 Seilbahnen in der Schweiz und mehr als 3000 Anlagen in Österreich gut verdient. In jedem der drei Länder wird mit einer Milliarde pro Jahr im Schnitt so viel mit dem Betrieb der Bahnen verdient, wie mit dem Seilbahnbau selbst.

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