Süddeutsche Zeitung

Per Gondel über den Rhein:Kölscher Schwebezustand

  • Die Stadt Köln befasst sich mit der Idee, mit einer Seilbahn über den Rhein den Verkehr zu entlasten.
  • Das Projekt soll nur einen Bruchteil dessen kosten, was zum Beispiel für eine neue U-Bahn-Linie nötig wäre.
  • Doch da die Gondeln direkt am Kölner Dom vorbei schweben sollen, sind Konflikte mit der Unesco vorprogrammiert.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Das Leben des Kölners auf der Straße ist eine Qual. 99 Stunden im Jahr steckt jeder Autofahrer in der Domstadt laut Statistik im Stau. Die Versuche, dem kölschen Stop-and-go durch neue U-Bahn-Linien zu entkommen, standen selten unter einem guten Stern: Beim Bau der Nord-Süd-Bahn stürzte vor zehn Jahren das Stadtarchiv ein, zwei Menschen kamen unter den Erdmassen ums Leben. Noch nie rollte dort ein Waggon. Und ehe eine neue Ost-West-Achse (angedacht mal mit, mal ohne langem Tunnel) Wirklichkeit wird, dürfte unter exakt jenen Brücken, auf denen täglich der Verkehr stockt, noch sehr viel Wasser den Rhein hinabfließen.

Nun jedoch schaut Köln auf - und entdeckt einen Ausweg, eine Flucht nach oben: Eine Seilbahn - bis zu 33,5 Kilometer lang mit 21 Stationen - soll per Zick-Zack-Kurs 15 Mal den Rhein überqueren und täglich um die 300 000 Menschen über alle Staus hinweg befördern. 300 000 Menschen in Gondeln, das würde rein rechnerisch genügen, um unten am Boden 5880 Busfahrten zu stornieren. Oder um mehr als 117 000 Autofahrten überflüssig zu machen.

"Rheinpendel" heißt das Projekt. Ausgedacht hat sich dieses potenzielle "Herzstück der Kölner Verkehrswende" Thomas Schmeckpeper, der 34-jährige Verkehrsreferent der kleinen Ratsgruppe "GUT". Die öko-liberale Zwei-Mann-Truppe gilt nicht gerade als Machtzentrum im Rathaus, nicht mal als heimliches. Nach Jahren parteipolitisch verkeilter Verkehrsdebatten jedoch äußern sich nun viele Kölner Stadtverordnete wie befreit und geradezu begeistert über die neue Dimension urbaner Mobilität. Auch Henriette Reker, die parteilose Oberbürgermeisterin, ist von den Plänen angetan. Kein Wunder, die OB hatte bereits 2017 öffentlich darüber gegrübelt, ob man nicht das linksrheinische Ufer mit Dom und Hauptbahnhof per Seilbahn mit der Messe auf der "Schäl Sick" verbinden solle. Die nun viel größere Idee der "Guten" werde man "mit sehr großer Ernsthaftigkeit" prüfen, versichert nun Rekers Sprecher. Köln als eine rapide wachsende Metropole brauche jede Form zusätzlicher Beweglichkeit.

So beobachtet Vordenker Schmeckpeper dieser Tage in Kölns Rat und Bürgerschaft dasselbe Staunen, das er seit zehn Wochen bei sich selbst erlebt hat: Im Dezember hatte der studierte Philosoph mit Gedankenspielen für eine Kölner Stadtseilbahn begonnen, "und ich war immer wieder verblüfft, wie günstig und schnell sich das Projekt machen lässt". Die Kosten pro Kilometer Rheinpendel lägen bei sechs bis acht Millionen Euro, nur ein Bruchteil der 250 Millionen Euro für tausend Meter neuer U-Bahn. Die Gondeln, groß genug für die Mitnahme von Kinderwagen und Fahrrädern, kommen mit Tempo 30 schneller voran als ein Pkw im Kölner Berufsverkehr (21 Stundenkilometer). Und Erfahrungen etwa in La Paz, Ankara oder Koblenz zeigen: Eine Stadtseilbahn brauche nicht Jahrzehnte Bauzeit, sondern könnte in 18 bis 24 Monaten fertig sein.

Die Pläne könnten ein Unesco-Veto provozieren

Genau deshalb ist Köln auch nicht die einzige deutsche Stadt, die derzeit mit einer Seilbahn liebäugelt. Wuppertal und Bonn prüfen, ihre Bürger in Gondeln statt in Bussen auf städtische Hügel zu befördern. Auch München sucht inzwischen Verkehrsentlastung in der Luft, und in Berlin kursiert seit Jahren die Idee, das Gelände des irgendwann stillgelegten Flughafens Tegel per Seilbahn-Anbindung für Investoren attraktiver zu machen.

Köln meint es ernst. Im nächsten Haushalt sollen einige Hunderttausend Euro für eine Machbarkeitsstudie bereitstehen. Gleichwohl hängt noch allerhand in der Schwebe, wie auch Ideengeber Schmeckpeper einräumt. Aus Sorge vor Anwohnerklagen versucht seine (bisher nur vorläufige) Streckenplanung zwar zu vermeiden, dass die Stahlseile private Häuser oder Grundstücke überqueren. Nur, diese Entwürfe gelangen flink mithilfe von Google Earth, Grundbücher hat dagegen noch niemand konsultiert. Und es drohen noch andere Zwänge: Auf dem Papier gleiten die Gondeln sehr nah (und attraktiv für Touristen) am Dom vorbei. Nur, genau das könnte neben Bürgerprotesten auch ein Veto der Unesco provozieren, die die gotische Kathedrale als Weltkulturerbe führt. Unklar bleibt zunächst auch, was aus Kölns alter Bummel-Seilbahn zwischen Zoo und Rheinpark werden soll. Ihr Zustand ist kein allzu gutes Omen: Sie steht still, seit wegen einer Panne im Juli 2017 gleich 65 Passagiere mit Höhenrettern gerettet werden mussten.

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SZ vom 20.02.2019/cku
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